Das Marmarameer ist jetzt ein "totes Meer". Zu dieser Einschätzung kommt der Hydrobiologe Levent Artüz, Projektleiter von MAREM (Marmara Environmental Monitoring).
Die Meeresschleimkatastrophe im türkischen Marmarameer hat deutliche Auswirkungen auf das Ökosystem des Binnenmeeres. "Insgesamt sind bereits 60 Prozent der Spezies verschwunden", sagte Artüz der Deutschen Presse-Agentur. Im Mai dieses Jahres war die Schleimkatastrophe deutlich sichtbar im Marmarameer ausgebrochen. Der Schleim trieb an vielen Stellen an der Oberfläche, wurde an Küsten gespült und machte etwa Fischern zeitweise das Fischen unmöglich.
Das Marmarameer verbindet über den Bosporus und die Dardanellen das Schwarze Meer mit der Ägäis. Historisch begünstigte es an seinem Nordufer die Entstehung des ehemaligen Konstantinopel und damit des heutigen Istanbul.
Die schleimige Masse, die das Marmarameer heimgesucht hat, ist das Ausscheidungsprodukt bestimmter Algen. Sie setzt sich über kurz oder lang am Meeresboden ab. Die Algen vermehren sich laut Experten etwa durch höhere Temperaturen, unbehandeltes Abwasser, das direkt ins Meer abgelassen wird, und geringe Fließgeschwindigkeit.
Besonders für Organismen, die auf dem Meeresboden leben, hat das negative Folgen. Das Wachstum von Muscheln werde verlangsamt, weiche Korallen könnten von Schleim bedeckt nicht ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen, nämlich das Wasser zu filtern, sagte Ekin Akoglu, Meeresbiologe an der türkischen Odtü-Universität. Auf lange Sicht nehme durch den fehlenden Sauerstoff auch das Zooplankton im Wasser ab, von dem sich viele Fische ernähren.
Der Schleim bleibt
Auch wenn der Schleim seit August nicht mehr sichtbar an der Oberfläche treibe, sei die Katastrophe keineswegs vorüber, sagte Mustafa Sari, Professor für Wasserressourcenmanagement an der türkischen Universität Bandirma Onyedi Eylül. Die Schichten seien abgesunken und begännen, sich zu zersetzen. Bei der Zersetzung des Meeresschleims werde unter anderem Sauerstoff im Wasser verbraucht, was wiederum die Bildung von neuem Meeresschleim befördere.
Im Oktober seien die Bedingungen für eine neue Ausbreitung besonders günstig, sagte Sari. Er rechnet darum damit, dass im November erneut Schleim an der Oberfläche sichtbar sein werde. Artüz etwa fürchtet, der Schleim könne sich auch auf das Schwarze Meer und die Ägäis ausweiten, und warnt vor einer regionalen ökologischen Krise. Gemeinsam mit 20 Experten überwacht Artüz bereits seit Anfang des Jahres an 450 Stellen die Ausbreitung der Plage. Der Meeresschleim habe das Ökosystem des Marmarameeres "irreversibel" beschädigt.
Die Regierung ließ Teile des Schleims abschöpfen. Experten sind sich jedoch einig, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Die Einleitung unbehandelten Abwassers müsse sofort gestoppt werden, sagt Artüz. "Nach drei Jahrzehnten intensiver Verschmutzung ist das Marmarameer jetzt ein totes Meer." Er hoffe, den umliegenden Gewässern drohe nicht eine ähnliche Zukunft.