Gehen, liegen, sitzen: Was mühelos erscheint, ist für den menschlichen Körper durchaus Arbeit. Gelenke ermöglichen jede einzelne Bewegung des Skeletts und halten dabei enorme Kräfte, wie Druck, Zug und Reibung, aus. Dieses gigantische Zusammenspiel wird einem erst bewusst, wenn ein Glied dieses Bewegungsablaufs aussetzt.
Reiben Knochen ohne Schmierschicht beim Strecken und Beugen aneinander, nützen sie sich ab und die Stelle schmerzt. Die Humanmedizin kann dem entgegenwirken, weil über die Funktionsweise der Säugetierskelette viel bekannt ist. Über Gliederfüßler weiß man so gut wie nichts.
Obwohl Insektenforscher die Beine zur Artbestimmung nutzen, sind die Gelenke dieser Klasse unerforscht. Ein Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat entdeckt, dass ein Schmiermittel am Beingelenk des amerikanischen Großen Schwarzkäfers (Zophobas morio) Reibung verringert und den Verschleiß des Gelenks reduziert.
Geschlossene und offene Gelenke
Was das menschliche Skelett und somit auch die Gelenke aller Wirbeltiere ausmacht, ist ihr nach außen von der Haut abgeschlossenes System. Im Gelenk selbst folgt auf den Knochen ein weicher Knorpel, der Stöße abfedern kann und als Reibungsfläche dient. Eine Gelenkkapsel aus feiner Haut umhüllt alle Bauteile des Gelenks und die darin befindliche Flüssigkeit. Sie dient als Schmiermittel und ist wasserbasiert.
Bei der evolutionär viel älteren Tiergruppe der Gliederfüßler ist das Skelett das äußerste System, dessen Gelenke offen liegen. Dieses Exoskelett ist Umwelteinflüssen wie Wasser, Luft oder Schmutz direkt ausgesetzt.
Die Evolution der Insekten begann vor 480 Millionen Jahren und neben Schwimmen, Graben, Fliegen und Klettern können sie viele weitere Aktivitäten ausführen. Die Säugetiere entstanden vor erst 250 Millionen Jahren und sind dennoch besser erforscht, was nicht zuletzt an den extremen Größenunterschieden liegen mag. Während Leonardo da Vinci schon vor 500 Jahren anatomische Untersuchungen am Menschen durchführte, gab es das erste Lehrbuch für Mikroskopie erst 150 Jahre später.
Das Rasterelektronenmikroskop (REM), mit dem die hier beschrieben Entdeckung gelang, wurde im Zweiten Weltkrieg etabliert. Konstantin Nadein der CAU hat unter dem REM unzählig viele Poren auf den Kontaktflächen des Kniegelenks entdeckt. Sie sind ein tausendstel Millimeter groß. Durch diese winzigen Öffnungen in der Kutikula, dem aus Chitin bestehenden Exoskelett, werden zylinderartige Größeneinheiten mit einer noch undifferenzierten Zusammensetzung aus Proteinen und Fetten abgesondert. Sie sind über dünne Bindungen verbunden und an der Luft konstant. Zudem ist die Substanz in Wasser unlöslich, dafür aber in Ethanol wie für Fette und Öle üblich.
Glatt wie Teflon, gleitfähig wie Talkum
Das Gelenk-Schmiermittel verhält sich wie natürliches Talkum und hat ähnliche Eigenschaften wie künstliches Teflon. Talkum ist von Geräteturnern bekannt, die sich zu Beginn ihrer Übungen damit die Hände einreiben, damit ihre Haut unter diesen enormen Kräften nicht reißt. Künstliches Teflon hat derzeit den kleinstmöglichen Reibungskoeffizienten: Alles perlt ab. Das bedeutet, dass die Haft- Gleitreibungskraft zwischen zwei Oberflächen hier so gering wie nur möglich ist. Wie Puder besteht auch das Gelenk-Schmiermittel der Insekten aus Partikeln, die zusammenwirken. Sie können verteilt über das gesamte Gelenk zerbrechen und klumpen. Nach der Entdeckung der Gelenkschmiere und dessen Eigenschaften sei als nächster Schritt die genaue Zusammensetzung in Erfahrung zu bringen sowie die Frage zu beantworten, ob diese sich zwischen im Wasser und an Land lebenden Tieren unterscheidet. Bei Millionen von Gliederfüßlern, zu denen die Insekten gehören, scheint damit ein Mammutprojekt zu starten: "Allein das Sammeln von größeren Mengen dieser Substanz, um diese an Chemiker zu übermitteln, ist ein großes Unterfangen", sagt Stanislav Gorb, Professor für Funktionelle Morphologie und Biomechanik an der Universität. "Beim Bearbeiten der Gelenke werden andere Substanzen von außen sowie Körperflüssigkeiten oder auch Futterreste eingetragen. Derzeit wissen wir nicht einmal, wie wir alle Stoffinhalte aufreinigen sollen."
Bedeutung für Bionik und Industrie
Gorb war vor Jahren Postdoktorand bei dem Wiener Neurobiologen Friedrich Barth, der sich mit der Mechanik von windsensorischen Härchen bei Spinnen beschäftigt hat. Auch hier waren kleinste Kutikulaspalten von Bedeutung, die bei Spinnen Nervensignale weitergegeben.
Nachdem das Exoskelett der Gliederfüßler oftmals mit Roboterbeinen verglichen wird, könnten die Eigenschaften des Schmiermittels für die Industrie genauso von Bedeutung sein wie der Vibrationssinn der Spinnen. "Unsere Forschung verfolgt das bionische Prinzip. Wir wollen die Komplexität dahinter verstehen, um sie für technische Anwendungen entwickeln zu können", sagt Gorb. Der Forschungszweig der Kieler, deren Messeinrichtungen seit 20 Jahren im Einsatz ist, geht auf Untersuchungen der Haftkraft von Fliegenfüße zurück.