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Schneeball Erde

Von Eva Stanzl

Wissen
Fossilien aus dem Ordovizium vor 485 bis 443 Millionen Jahren, gefunden auf Anticosti, Quebec, Kanada.
© University of Ottawa / Andre Desrochers

Nicht nur Wärme, sondern auch Kälte kann Massensterben verursachen.


Big Five, zu Deutsch die "Großen Fünf", nannten Großwildjäger in Afrika früher Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Für Paläo-Zoologen steht der Begriff für die fünf großen Massensterben der Erdgeschichte. Angesichts der Erderwärmung und der Unfähigkeit der führenden Wirtschaftsmächte, sich auf ehrgeizige Klimaziele zu einigen, warnen viele Forschende vor einem sechsten Massensterben.

Forscher weltweit suchen zu ergründen, welche Umweltbedingungen in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass drei Viertel aller lebenden Arten in bestimmten Perioden verschwanden. Ein internationales Team berichtet im Fachmagazin "Nature Geosciences", dass aber nicht nur Wärme, sondern auch Kälte Massensterben verursachen kann. Die Geo-, Umwelt- und Klimaforscher aus den USA, Frankreich und China haben unter Federführung der University of California in Riverside das spät-ordovizische Massensterben vor 445 Millionen Jahren untersucht, das als das erste gilt. Damals starben 85 Prozent der in Küstennähe lebenden Meeresbewohner aus. Das Team um den Klimaforscher Alexandre Pohl untersuchte mit Hilfe von Simulationen den marinen Lebensraum vor, während und nach dem tödlichen Ereignis.

Das Ordovizium ist das zweite chronostratigraphische System des Paläozoikums in der Erdgeschichte. (Die Chronostratigraphie gliedert Gesteinskörper nach dem Alter ihrer Entstehung.) "Wenn Sie im Ordovizium schnorcheln gegangen wären, hätten Sie Muscheln, Schnecken und Schwämme gesehen, asselartige Trilobiten, Bracheopoden (das sind Armfüßler, wie etwa Seesterne) und Stachelhäuter (Seelilien, Haarsterne)", beschreibt Ko-Autor Seth Finnegan, Assistenzprofessor an der University of California in Berkeley, in einer Aussendung seiner Uni das Ökosystem in dieser Zeit. Es gab erste Riffe, Wirbeltiere fehlten aber noch weitgehend.

Anders als die schnellen Massernsterben, wie jenes an der Kreide-Tertiär-Grenze, das das Aussterben der Dinosaurier markiert und vor 65,5 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag ausgelöst wurde, nahm das spät-ordovizische Massensterben seinen unaufhaltsamen Lauf in getragenen Schritten. Laut den Forschern dauerte es bis zu zwei Millionen Jahren, bis drei Viertel der Arten verschwunden waren.

Sauerstoffgehalt, Strömung

Einige Wissenschafter sind der Ansicht, dass ein abnehmender Sauerstoffgehalt in den Meeren die Ursache war. Das Team prüfte diese Idee mit Hilfe von geochemischen Tests, numerischen Simulationen und Computermodellen. Umweltforscher Zunli Lu von der Syracuse University im US-Staat New York maß den Jodgehalt in ordovizischem Kalkstein, um die Menge an Sauerstoff in verschiedenen Meerestiefen zu errechnen. Das Vorhandensein von Jod gilt als Indikator für Veränderungen im Sauerstoffgehalt in den Ozeanen. Im Flachwasser, wo die meisten untersuchten Fossilien lebten, ist laut den Forschern der Sauerstoffmangel während des Massensterbens nicht angestiegen. Daraus schließen sie, dass etwas anderes schuld gewesen sein muss.

Pohl und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Abkühlung des Klimas im Spätordovizium das erste Massensterben mit auslöste. Sie fanden Hinweise, dass der Sauerstoffgehalt in der Tiefsee nämlich damals sehr wohl absank. Und das,sagt Pohl als Experte für Klimamodellierung, ließe sich mit klassischen Modellen nicht erklären. "Eine Sauerstoffanreicherung in den oberen Schichten der Ozeane als Reaktion auf die Abkühlung hatten wir erwartet, da sich atmosphärischer Sauerstoff bevorzugt in kaltem Wasser auflöst. Wir waren jedoch überrascht, dass die Anoxie (Sauerstoffmangel) sich in der Tiefsee ausweitete, da sie in der Erdgeschichte im Allgemeinen mit vulkanisch bedingter globaler Erwärmung in Verbindung gebracht wird."

Die Forscher führen den Sauerstoffmangel in den Meerestiefen auf die Meeresströmungen zurück. Sie gehen davon aus, dass die Abkühlung des Klimas die Meeresströmung so verändert hat, dass sauerstoffreiches Wasser nicht mehr in die Tiefen gelangte. "Jahrzehntelang war die vorherrschende Meinung, dass die globale Erwärmung zu einem Sauerstoffverlust in den Ozeanen führt, die Bewohnbarkeit der Meere beeinträchtigt und zu einer Destabilisierung des Ökosystems führen kann", erklärt Lu. "Es häufen sich Hinweise auf mehrere Episoden in der Erdgeschichte, in denen der Sauerstoffgehalt in abkühlenden Klimazonen ebenfalls abnahm."