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Alle Spezies auf einen Blick

Von Gregor Kucera

Wissen

Zwei Wissenschafter erstellten in neun Jahren eine "Landkarte des Lebens". Sie bildeten 2,2 Millionen Spezies und deren Beziehungen zueinander ab.


Neun Jahren arbeiteten die beiden britische Forscher James Rosindell vom Imperial College London und Yan Wong von der Universität Oxford an einer Visualisierung der Beziehung aller gegenwärtigen Spezies zueinander. Mehr als 2,2 Millionen Arten finden sich auf ihrem nun fertiggestellten "Baum des Lebens", der unter OneZoom.org abrufbar ist und einen unglaublichen Überblick über das Leben auf der Erde bietet.

Das ehrgeizige Projekt startete im Jahr 2012 - damals noch lediglich mit 5.000 Säugetierarten, doch haben Rosindell und Wong neue Algorithmen entwickelt und Big Data aus verschiedenen Quellen einbezogen, denn eine händische Sammlung wäre schier unmöglich gewesen. Der interaktive Überblick kann stufenlos vergrößert werden und zeigt mehr als 2,2 Millionen auf der Erde lebende - beziehungsweise erst vor kurzem ausgestorbene - Spezies. Interessierte können sich in den schier endlosen Ästen und Blättern des Baumes verlieren und alle bekannten Arten von Lebewesen und ihr Verhältnis zueinander - etwa wann der letzte gemeinsame Vorfahr gelebt hat - erkunden. Die für das Projekt verantwortlichen Biologen sprechen vom "Google Earth der Biologie".

Ausgestorben oder gefährdet?

Für 85.000 Spezies ist in dem Projekt ein Bild hinterlegt, für viele ist außerdem angegeben, wie gefährdet sie sind. Alle bekannten Spezies werden durch ein Blatt symbolisiert. Wenn es grün ist, ist die entsprechende Art nicht gefährdet, rot steht für gefährdet und schwarz für "kürzlich ausgestorben". Die meisten der Blätter sind jedoch grau, weil es keine Einstufung gibt. Der "Baum des Lebens" kann einfach per Zoom und Klick oder auch mittels Touchscreen erkundet werden, auch ein Suchfeld ist integriert, will man direkt zu einer bestimmten Spezies springen. Es können auch deutschsprachige Suchanfragen gestellt werden. Auch die beliebtesten Abfragen bei der englischsprachigen Wikipedia wurden in das Tool integriert. Unter den Säugetieren belegt der Mensch Platz 1 in den populärsten Suchanfragen. Der Wolf ist ebenso sehr beliebt, die Hauskatze schafft es mit Rang 12 hingegen nicht in die besten zehn. Bei den Pflanzen führt der Hanf.

Auch Fragen, die man sich noch gar nicht gestellt hatte, lassen sich beantworten: Wer sich also gefragt hat, wann der letzte gemeinsame Vorfahr der Menschen und der Stiel-Eiche gelebt hat, der wird die Antwort finden - nämlich vor 2,15 Milliarden Jahren. Mensch und Löwe entwickelten sich hingegen "erst" vor war dagegen vor 85 Millionen Jahren Zeitgenosse der Dinosaurier. Wer einmal begonnen hat, sich durch die Äste zu forschen, der wird sich nicht so schnell davon lösen können.

Die beiden Forscher planen nach der Finalisierung nun eine Expansion außerhalb akademischer Sphären. So soll der fertige Baum des Lebens zum Beispiel in Zoos und Museen dem Publikum vorgestellt und die Thematik nähergebracht werden. Eine eigene Stiftung soll zudem einer breiteren Öffentlichkeit die Themen Artenschutz, Biodiversität und Evolution näherbringen. Wer das Projekt finanziell unterstützen will, kann einzelnen Blätter "adoptieren". Den aktuellen Stand des Projekts haben sie im Fachmagazin Methods in Ecology and Evolution vorgestellt.

Während der "Baum des Lebens" bekannte Spezies im Fokus hat, setzt das Projekt "Map of Life" der Forscher Mario Moura und Walter Jetz von der Universität Yale auf noch unentdeckte Arten.

Laut wissenschaftlichen Schätzungen sind nur 10 bis 20 Prozent aller Spezies überhaupt erst formal beschrieben. Moura und Jetz haben sich bei ihrer Arbeit der Frage gewidmet, wo es unentdeckte Tiere geben dürfte und von welcher Tierklasse. Das Ergebnis ist unter anderem eine interaktive Weltkarte, auf der sich Interessierte anzeigen lassen können, wo das Potenzial für Entdeckungen besonders hoch ist. Wer mag, kann unterteilt nach Amphibien, Vögeln, Reptilien und Säugetieren suchen, wobei fast die Hälfte aller unentdeckten Tiere Reptilien sein sollen, ein Viertel Amphibien. Bei den Vögeln sei das Potenzial für Entdeckungen am geringsten, so die Forschung. Insgesamt sei die Wahrscheinlichkeit am größten, in Brasilien, Indonesien, Madagaskar und Kolumbien fündig zu werden. Ein Viertel aller möglichen Entdeckungen konzentriert sich auf diese Staaten. In Europa und bei Säugetieren wird es eher schwer, Neues zu finden.