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Der Schatz im Untergrund

Von Eva Stanzl

Wissen

Höhlen eröffnen der Forschung zu Klima- und Erdgeschichte faszinierende Welten und liefern Wasser und Lebensraum.


Er ist etwa 15 Zentimeter lang, rosa und blind. Der Grottenolm ist ein in Larvenform verbleibender europäischer Schwanzlurch und die einzige Art der Gattung Proteus. Er lebt in den Höhlengewässern des Dinatischen Karst, wie beim Besuch der Tropfsteinhöhle im slowenischen Postojna zu erfahren ist. Die beeindruckende 20 Kilometer lange Schauhöhle, die einen Bruchteil des unterirdischen Systems darstellt, beherbergt auch einen von Tropfsteinskulpturen gesäumten Ballsaal, in dem Kaiser Franz Joseph I. getanzt haben soll. Schon er soll um die Faszination und den Wert von Karsthöhlen - geologische Gedächtnisse der Erde mit unverzichtbaren Ressourcen - gewusst haben.

Nicht nur in Wien, sondern auch in Rom und Damaskus fließt Wasser aus Karsthöhlen aus den Leitungen. Karst ist eine geologische Form von Kalkstein. Sie verwittert zu wildromantischen Formen und Zacken und bildet tiefe Spaltenrinnen, deren Entstehung auf der Wasserlöslichkeit von Kalk beruht. Unter der Erde formieren sich ausgedehnte Systeme mit Wasserspeichern und Höhlen.

Trinkwasser aus dem Karst

"Weltweit werden 20 Prozent des Trinkwasserbedarfs aus Karsthöhlen gedeckt, in Österreich der Bedarf der halben Bevölkerung", informierte Katrin Vohland, Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien, diese Woche bei der Präsentation eines neuen Lehrpfads zur Höhlenforschung im Museum. Der Lehrpfad mit dem Titel "Höhlen - Schatzkammern der Wissenschaft" umfasst 21 Stationen in einer Vielzahl der Schausäle des Hauses am Ring. So wie die Höhlenwelten spannen auch die Objekte einen Bogen: von erstaunlich zahlreichen Höhlenbewohnern über moderne Klima- und Erdbebenforschung unter Tag bis zur Wiener Wasserversorgung.

Dabei könnte man ja glatt der Ansicht sein, dass Höhlen gar nicht existieren. Streng genommen gibt es nur das Gestein rundherum. "Höhlen sind natürlich entstandene, unterirdische Hohlräume", sagte Lukas Plan, wissenschaftliche Mitarbeiter der Karst- und Höhlen-Arbeitsgruppe des NHM und Obmann des Landesvereins für Höhlenkunde in Wien und Niederösterreich. Damit aber nicht jeder Zwischenraum in jedem Geröllhügel als Höhle durchgeht, wurde eine Mindestgröße festgelegt. "Wie so oft wurde der Mensch als Maßstab genommen und definiert, dass er in eine Höhle passen muss", sagte Plan.

Für Wissenschafter, die unterirdische Wasserflüsse oder Sedimente erforschen, ist diese Festlegung ausschlaggebend. Auch im 21. Jahrhundert müssen Höhlenforscherinnen und -forscher nämlich in den Untergrund absteigen, um die Querschnitte jener Hohlräume untersuchen zu können, die über die Höhlen- und Erdgeschichte erzählen.

Die größten Karst-Höhlen entstehen durch Wasser. "Kohlensäurehaltiges Wasser versickert auf dem Berg entlang winziger Fugen in das Gestein", erklärte Plan. Vereinfacht gesagt sucht es sich seinen unterirdischen Weg zur Quelle im Tal. Dabei spült es die millimeterbreiten Fugen aus und erweitert sie zu immer größeren Spaltenrinnen. Auf diese Weise können im Laufe der Jahrmillionen großräumige, mit Wasser gefüllte Höhlen entstehen. Zugleich schneidet der Fluss sich durch Erosion tiefer ins Tal. Mit der Quelle verlagert sich der Karstwasserspiegel nach unten, was obere Aushöhlungen trockenlegt.

Mit der Vermessung solcher Strukturen beschäftigen sich hierzulande etwa 2.000 Hobbyforscher. Sie leisten laut Plan unverzichtbare Erkundungs- und Dokumentationsarbeit. Derzeit sind in Österreich 18.100 Höhlen und 2.450 unterirdische Kilometer vermessen - das ist die Strecke von Wien nach Jerusalem. Immerhin die fünfttiefste dokumentierte Höhle liegt mit dem Lamprechtsofen nahe Lofer in Österreich. 1.727 Meter Höhenunterschied lassen sich in dem verzweigten System in Salzburg zurücklegen.

"Höhlen fungieren vielfach als Zeitkapseln, die Information aus der Vergangenheit konservieren", erläuterte Plan. Es ist dunkel und nährstoffarm bei stabilen Temperaturen um ein Grad Celsius.

Unter Paläo-Klimaforschern gelten Tropfsteine als besonders präzise Gratmesser der Klimageschichte. Sie wachsen langsamer und werden älter als Eisbohrkerne. Über Wasser, das als Niederschlag durch das Gestein in die Höhle sickert, speichern sich temperaturabhängige Veränderungen des Wasserkreislaufs und somit Warum- und Kaltperioden, die sich exakt datieren lassen.

Auch Spuren vergangener Erdbeben werden im Untergrund ausgewertet. Um die tatsächliche Erdbebengefahr einer Region abschätzen zu können, muss länger in der Zeit zurückgeblickt werden, als moderne Erdbebenmessungen es könnten. Vor allem starke Erdbeben wiederholen sich nur in Zeitabständen von etwa 100 Jahren. In den Höhlen bleiben Spuren tektonischer Störungen, die auf der Oberfläche längst von anderen geologischen Prozessen verwischt wurden, erhalten.

Außerdem lebt selbst in der unwirtlichen Unterwelt eine große Vielfalt an Arten, von winzigen Tausendfüßlern über kleine Grottenolme und Karpfenfische bis zu Höhlenbären, sagte NHM-Zoologin Nesrine Akkari.

Höhlenfische und -bären

Museumsforscherin Luise Kruckenhauser präsentierte einen der häufigsten Höhlenfische, einen Karpf namens Garra longipinnis. "Sie sind blind und rosa, weil sie kein Pigment haben und ihr Blut durchschimmert", sagte Kruckenhauser, die die Art bei einem Tauchgang in der Al-Hoota-Höhle im Oman unter die Lupe genommen hat. "Das Besondere ist, dass die Jungtiere Augen haben, die im Laufe des Fischlebens überwachsen, Linse und Sehnerv degenerieren", berichtete sie.

In der Evolutionsforschung ist es eine wichtige Frage, wie der Verlust von Merkmalen an vielen verschiedenen Orten der Welt unabhängig entstanden ist, zumal Merkmale üblicherweise durch Selektion in eine Richtung getrimmt werden. 280 beschriebene Arten von Höhlenfischen sollen der Forschung auf die Sprünge helfen.

Dass Hobby-Höhlenforscher in der Kartierung der Unterwelt Pionierarbeit leisten, zeigt auch ihre Hingabe an ihre Arbeit. NHM-Geografin Pauline Oberender verbrachte einmal 21 Tage in der vierttiefsten Höhle der Welt, der Woronja-Höhle in Abchasien. "Bei einer langen Expedition hat man einen Plan, den man erfüllen will. Oft sind die Schächte zu lang, um abends heimzukehren", erzählte sie. "Man versucht, es sich im Biwak mit warmen Schlafsäcken, genug zu essen und der guten Gesellschaft von Freunden so gemütlich wie möglich zu machen."