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Die faszinierende Welt unter Eis

Von Alexandra Grass

Wissen
Das Eis ist 45 Zentimeter dick. Ausgang gibt es nur einen.
© Matthias Bruckner

Jährlich pilgern Eistaucher an den Weissensee. Eine oberflächige Reportage.


Wie Astronauten schweben sie mit ihren mächtigen Anzügen und Druckluftflaschen scheinbar schwerelos durch das Wasser. Es herrscht absolute Stille. Lediglich Luftblasen steigen empor, die sich an der Oberfläche sammeln. Hie und da hört man ein Knacksen. Die eindringenden Sonnenstrahlen verwandeln die Tiefe des Sees in eine Kathedrale.

Die Welt der Eistaucher ist eine völlig andere und eine Faszination sondergleichen - sowohl für die Taucher selbst als auch die anwesenden Beobachter. Rund um die dreieckigen Eislöcher, die mit Motorsägen in die 45 Zentimeter dicke Eisdecke geschnitten werden, stehen Zuschauer, die mit Spannung die beginnenden Tauchgänge beobachten. Es ist Anfang Februar am Weissensee. Bei minus zehn Grad Celsius und strahlendstem Sonnenschein wird das Abtauchen ins Wasser vorbereitet.

Das Warten auf den Tauchgang.
© Matthias Bruckner

Innerhalb eines Teams sind die Aufgaben strikt verteilt. Zwei Taucher, davon einer der Leinenführer, werfen sich in die Montur. Der Leinenführer, der das Sicherheitsseil, an dem die Taucher miteinander verbunden sind, unter Wasser führt, versteht sich als Kommunikator zur Oberwelt. Jeder Zug beziehungsweise die Art und Abstände des Ziehens sind eine Nachricht. Über der Eisdecke nimmt der Signalmensch diese Morsezeichen aus der Unterwelt entgegen und kommuniziert mittels Seil wiederum in die Tiefe. "Ein Standbyteam steht für Notfälle zur Verfügung", erklärt Dieter Aigner, Tauchlehrer und Ausbildungsleiter im Tauchzentrum Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Absolute Ruhe

Jede Nacht friert das Eisloch erneut zu und muss vor dem Tauchgang neu aufgesägt werden.
© Matthias Bruckner

"Im Winter herrscht eine andere Ruhe als im Sommer. Die Fische halten Winterschlaf. An der Eisunterfläche sammeln sich Luftblasen und die Risse im Eis geben ihr eine individuelle Zeichnung. Man kann an der Eisdecke gehen - in diesem Moment steht die Welt kopf", zeichnet Dieter ein stimmungsvolles Bild.

Die oberste Schicht ist Schneeeis - der größere Teil Klareis.
© Matthias Bruckner

"Du bist unten und kannst nur bei dem Eisloch wieder heraus und trotzdem fühlt man sich sicher, weil man an der Leine fixiert ist", schildert Steffi ihre Eindrücke. Die Welt unter Eis ist auch für die erprobte Taucherin eine neue Erfahrung. "Und jeder Tauchgang ist ein Erlebnis für sich, weil man nicht weiß, was passiert." Der Weg nach oben führt über die Leine hin zum dreieckigen oder auch sternförmigen Eisloch. Die Form ist von Bedeutung, denn sie muss sich klar von der Geometrie der Luftblasen abheben, um an die richtige Stelle gelangen zu können.

Ein zu frühes Auftauchen kann ob des durchsichtigen Klareises an der Unterseite auch mal einen herben Kopfstoß bedeuten. Denn sichtbar ist von unten lediglich die oberste Schicht der Eisdecke - das Schneeeis. Dieses ist gerade mal an die acht Zentimeter dick. Der Rest ist durchsichtig.

Das Tauchteam bereitet sich auf den Tauchgang vor. Immer mehr Frauen finden Interesse daran.
© Matthias Bruckner

"Trockis" mit Heizung

Das Wasser hat in der Tiefe vier Grad Celsius. Wer meint, dort unten sei es klirrend kalt, der irrt. Unter ihren Trockentauchanzügen, die mit Silikonmanschetten dicht abgeschlossen sind und keinen Tropfen Nässe darunter lassen, tragen die Taucher mehrere Schichten Skiunterwäsche. Die absoluten Profis unter ihnen sind mit einem elektrisch beheizbaren Unterzieher ausgestattet. Damit kann man sich zusätzlich für Tauchgänge in kaltem Wasser vorbereiten. Im gewöhnlichen Trocki, wie die Sportler ihren Anzug liebevoll nennen, befinden sie sich je nach persönlichem Temperaturempfinden bis zu einer Stunde unter Wasser.

Dort haben die Taucher ein versunkenes Holzboot entdeckt, das an diesem Tag Anziehungspunkt für die Unterwassergänge ist. Aber auch die präparierten Eisbahnen, auf denen die Eisläufer und Fußgänger unterwegs sind, üben auf sie Faszination aus.

Die Welt unter Eis ist eine andere als im Sommer.
© Matthias Bruckner

Bricht der Winter herein, beginnt am Weissensee das Eis vom Westen her zu wachsen, schildert Ernest Turnschek, Leiter der ansässigen Tauchschule Yachtdiver und einer der Eismeister des Sees. Er ist für die Eisunterfläche verantwortlich und bewegt sich täglich auf den Berg, um das Frieren und den Zustand der Fläche zu beobachten. Und noch viel mehr: Wo wird der See als Erstes aufgehen? Wo ist eine Schattierungsbildung? Wo steigt Sumpfgas auf? Fragen wie diese zu beantworten, ist für die Sicherheit der Eistaucher, aber auch für all jene anderen, die sich auf dem zugefrorenen See bewegen, von immenser Bedeutung.

Taucher plus 40 Kilogramm

Zum Eigengewicht des Tauchers kommen rund 30 bis 40 Kilogramm Tauchausrüstung hinzu. Deshalb "muss man gut vorbereitet sein, um zu wissen, wo und wie ich mich über das Eis bewege", so Turnschek. Die Einstiegslöcher selbst müssen von Zeit zu Zeit versetzt werden, denn die Luftblasen der Taucher machen das Eis dünn. "Die Luftpölster sind ja wärmer und höhlen das Eis aus." Zwar werden Sicherheitslöcher gebohrt, durch die diese Luft austreten kann, dennoch sammelt sie sich in verschiedenen Bombierungen an der Eisunterfläche.

Auch Schnee führt zu einem Wegschmelzen. Er ist ein Isolator und frisst sich regelrecht durch das Eis. "Da können daneben 35 Zentimeter Dicke sein. Aber dort, wo das Schneehauferl liegt, bricht man durch", schildert der erfahrene Taucher.

An der Eisunterfläche gehen - wenn die Welt kopfsteht.
© Matthias Bruckner

Die Welt unter dem Eis übt auch auf ihn eine spezielle Faszination aus. "Wenn das Licht durch die Eisdecke strahlt und sich in den Eiskristallen bricht - das ist total lässig." Wenn sich die Luftblasen noch auf der Eisunterfläche sammeln, dann ergibt das wunderschöne Bilder, die beliebte Motive für Fotografen darstellen. Im Spiegeleis an der Unterseite lassen sich quasi Selfies hervorzaubern. Und dadurch, dass es keinen Wind und keine Welle gibt, setzen sich alle Schwebstoffe auf dem Boden ab. Dadurch verdoppeln sich die Sichtweiten.

Im Jahr 1976 wurde am Weissensee der erste Rekord im Eistauchen aufgestellt, erklärt Ernest Turnschek. "Dann ist James Bond gekommen." 1987 fanden die Dreharbeiten zum Film "Der Hauch des Todes" mit Timothy Dalton statt, in dem er sich mit seinem wintertauglichen Aston Martin auf dem gefrorenen See eine wilde Verfolgungsjagd lieferte. "Das haben wiederum die Holländer gesehen" und pilgern seither jährlich zum Eisschnelllaufen an den Weissensee. Seit dem Jahr 2005 wird professionelles Eistauchen angeboten.

Klimawandel kaum Thema

Die Saison dauert von 1. Jänner bis 1. März. Der Schutz der Berge hält Wind und damit auch Wellen fern. Dadurch friert das Wasser Jahr für Jahr relativ rasch. Hinzu kommt ein optimaler PH-Wert, der die Eisbildung begünstigt. Der Klimawandel ist kaum Thema - zumindest nicht für das Eis, so der Experte.

Aufgeregt sitzen die Eistaucher an der Kante des Eisloches, um endlich ins Wasser gleiten zu können. Ein kurzes gegenseitiges Zunicken und sie verschwinden in der Tiefe. Eistauchen klingt frostig. Doch ist es eines definitiv nicht - nämlich kalt.