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Blüte, Blatt und Blut

Von Edwin Baumgartner

Wissen

Der heutige Welttag der Pflanze weist auf die Mitbewohner der Erde hin, die sie für den Menschen bewohnbar machten.


Schon mit der Amaryllis geplaudert? Die Mimose gestreichelt? Was macht der Turbinicarpus knuthianus? Ist er immer noch angerührt, weil ihn der Nachbar unlängst schnöde einen Kaktus genannt hat?

Natürlich soll man mit Pflanzen reden! Schließlich ist nicht alles völlig gaga, was Prinz Charles macht. Und gerade heute, am internationalen Tag der Pflanzen, haben sich die Blumen, Gräser und Bäume etwas Lob und Zuspruch verdient.

Irgendwie nimmt man sie einfach hin. Als Allergiker beniest man sie im Frühling (und wünscht ihren Blüten einen heftigen April-Frost an die Pollen), als Gourmet nützt man sie für Gerichte als Hauptzutat oder als Gewürz, man begärtnert sie, Messalina, Lucrezia Borgia und Agatha Christie nützten sie real und in Romanen zur Leichenerzeugung, man nützte sie als Spekulationsobjekt wie in der niederländischen Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts, man raucht sie mit und ohne Rauschzustand als Folge, man trinkt sie als Tee, Kaffee und Limonade, man verschenkt sie als Schnittblumen (die Schriftstellerin Lotte Ingrisch redet von Blumenleichen), man stellt sie zu Weihnachten geschmückt in die Wohnung.

Dass es aber uns alle ohne sie nicht gäbe, dass Prinz Charles nicht nur mangels Volk niemals König würde, sondern quasi mangels seiner selbst, das vergisst sich.

Ohne Pflanze kein Sauerstoff

Doch so ist es: Ohne Pflanzen kein Leben auf der Erde. Pflanzen sind wahre Lebenskünstler. Um zu gedeihen, brauchen sie Licht, Wasser und Kohlendioxid. Mittels Photosynthese (das Wort bedeutet "Erschaffung aus Licht") gewinnen sie mit der Lichtenergie aus Wasser und Kohlendioxid Zucker. Sauerstoff ist das höchst willkommene Nebenprodukt.

Und weil dem so ist, lassen Forscher ihre Sonden auf den Planeten und Monden des Weltalls weder nach den kleinen grünen Männchen suchen noch nach gelben Elefantenwesen mit drei Rüsseln und zwei Paar Flügeln und was man sich sonst noch vorstellt als Sci-Fi-Autor oder -Filmregisseur, sondern nach Flechten, zumindest nach Resten davon. Denn wo Flechten sind (oder waren), könnte doch etwas Amöboides herumkriechen, und das würde letzten Endes außerirdisches Leben bedeuten. Und wer hätte es geschaffen? - Die Pflanzen!

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Nur, wenn solche Pflanzen, solche extraterrestrischen, mittels Meteoren auf die Erde kommen, kann es ein rechtes Desaster geben, eines wie mit den Triffids. Zugegeben, die entsprossen nicht dem Blumentopf, sondern der Schreibmaschine des englischen Schriftstellers John Wyndham, zweimal verfilmt, einmal als Kinofilm ("The Day of the Triffids" / "Blumen des Schreckens"), einmal als TV-Miniserie ("The Day of the Triffids" / "Die Triffids - Pflanzen des Schreckens").

Apropos: Böse Pflanzen. Weil es scheinbar nichts Harmloseres gibt als eine Pappel oder einen Knaulgrashalm, sind ein paar Schriftsteller und Filmregisseure darauf verfallen, gerade deshalb die Pflanzen zum Monster zu machen, zu echten "Blumen des Bösen", wie Charles Baudelaire seinen Giftcocktail der Dekadenz nannte.

Es beginnt mit dem US-Amerikaner Nathanael Hawthorne (nomen est omen: Hawthorne ist der Weißdorn), in dessen Erzählung "Rappaccinis Tochter" eben ein gewisser Rappaccini seine Tochter gegen Pflanzengifte immunisiert - mit einem entsetzlichen Resultat. Es setzt sich fort über die bizarren Pflanzen des H.-P.-Adepten Clark Ashton Smith und geht weiter mit "Das Rosenbeet" des US-Autors Lewis Gannett (antiquarisch zu bekommen - ein Fest für Fans bizarrer Horrorliteratur). Und sicher hab‘ ich mindestens ein halbes Dutzend von solchen üblen Blatt-Blüten-Blut-Bestien vergessen.

Filme? - Bittesehr: Den "kleinen Horrorladen" kennt man doch. Das ist die Geschichte, in der der ganz junge Jack Nicholson eine fleischfressende Pflanze statt mit Wasser mit Blut gießt. Das hat später auch als Musical Spaß gemacht.

Böse Blumen

Aber es gibt auch Filme ganz ohne augenzwinkernden Spaß beim Pflanzenhorror: In "Die Saat des Bösen" lässt Paul Ziller Pflanzen Amok laufen. Trash, zugegeben, aber M. Night Shyamalan hatte mit seinem, ja, sicher auch ziemlich trashigen "The Happening" über Pflanzen, die mittels Nervengift vor Umweltschäden warnen, einen erheblichen Erfolg an der Kassa. Der ist James H. Kays "Die Saat des Todes" (Pflanzen als Giftspritzen) versagt geblieben. Weit origineller ist "Ruinen" von Carter Smith, der eindrucksvoll zeigt, was südamerikanische Pflanzen mit doofen Nordamerikanern anstellen, die unbefugt eine Azteken-Ruine besteigen - Achtung, die Sache ist ziemlich blutig.

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Aber es gibt auch vier echte Pflanzenhorrorfilmjuwele: Wie war das mit dem alten Baum, dem Babys geopfert werden? - Das hat kein Geringerer als William Friedkin in "Das Kindermädchen" in Szene gesetzt. Unvergessen auch die heimische Produktion: In "Little Joe" von Jessica Hausner züchtet Alice ganz besondere Pflanzen. Nach diesem Film betritt man einen Blumenladen nur noch mit ganz und gar gemischten Gefühlen. Jessica Hausners Film liefert sich einen Wettkampf um den raffiniertesten Pflanzenhorror mit "The Woods" von Lucky McKee, in dem es um ein Mädcheninternat in einem ganz besonderen Wald geht. Besten Abenteuer-Horror verbreitet die Hammer-Produktion "Bestien lauern vor Caracas", womit nicht etwa Hauptdarstellerin Hildegard Knef gemeint ist, sondern die absonderliche Flora und später Fauna der Sargassosee.

Pflanzen riechen

Wer jetzt glaubt, all diese Blut-Blumen und Baum-Bestien seien in ihrem monströsen Wuchs und groteskem Verhalten (Verhalten? - Bei Pflanzen? - Und ob!) absonderliche Erfindungen von Autoren und Regisseuren, den mag ein Blick auf eine erblühte Titanwurz eines Anderen belehren. Ihren Geruch hätte Lovecraft wahrscheinlich mit "blasphemischem Gestank" beschrieben, und das ganz und gar zutreffend.

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Oder was ist von einer Pflanze zu halten, deren Reizleitung mit der Geschwindigkeit von etwa einem Zentimeter pro Sekunde erfolgt? Natürlich hat die Mimose kein richtiges Nervensystem. Aber sie reagiert auf Berührungen und entwickelt einen pawlowschen Reflex, wie die Tübinger Pflanzenforscherin Katja Tielbörger nachgewiesen hat.

Und bei all dem ist noch keine Rede von fleischfressenden Pflanzen wie der Venusfliegenfalle, die auf Berührungen ihrer Beutefliegen mit einem Reizleitungstempo von 20 Zentimeter in der Sekunde reagiert.

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Den Pflanzenneurobiologen Stefano Mancuso von der Universität Florenz haben seine Experimente zudem sogar davon überzeugt, dass Maispflanzen hören können und dass der Keimling des Teufelszwirns über eine Art Geruchssinn verfügt.

Das wirft auf vegetarische Ernährung ein neues Licht - und keineswegs nur in Roald Dahls grandioser Kurzgeschichte "The Sound Machine" ("Der Lautforscher"), in der ein akustisches Gerät die Schmerzensschreie von Blumen hörbar macht, wenn sie geschnitten werden. Merkt auf, Ihr Vegetarier und Veganer: Euer Salat hatte Gefühle. Werdet Frutarier, die essen nur, was Pflanzen hergeben, ohne dabei abzusterben.

Und vor allem: Halten wir den Dialog zwischen Mensch und Pflanze aufrecht. Heute. Immer. Schließlich ist nicht alles völlig gaga, was Prinz Charles macht . . .