Zum Hauptinhalt springen

Wundersames aus dem Wald

Von Christina Mondolfo

Wissen
Nicht nur schön und essbar, sondern in der TCM oft verwendet – der Igelstachelbart.
© fotografiecor.nl / stock.adobe.com

Pilze sind ein begehrtes Nahrungsmittel, machen aber auch in der Medizin von sich reden. Ganz zu schweigen von den "magic mushrooms", die man in Österreich gerne als "narrische Schwammerl" bezeichnet…


In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) werden Pilze seit etwa 5.000 Jahren eingesetzt, um Krankheiten zu bekämpfen, das Immunsystem zu stärken und die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren und zu unterstützen. Ihr medizinischer Wert ist in Asien bis heute unbestritten – ganz im Gegensatz zur westlichen Schulmedizin.

Dabei ist ein Pilz die Grundlage für eines der bahnbrechendsten Medikamente, das je entdeckt wurde: Penicillium chrysogenum (synonym Penicillium notatum), eine Art der Schimmelpilze aus der Gattung der Pinselschimmel (Penicillium). Penicillium chrysogenum lebt überwiegend in toter, sich zersetzender, organischer Substanz, hat einen großen Anteil am Stoffkreislauf in Ökosystemen – und ist die Grundlage von Penicillin.

Diese Entdeckung ist wie so vieles dem Zufall zu verdanken: Der schottische Mediziner und Bakteriologe Alexander Fleming (1881-1955) hatte es 1928 offenbar sehr eilig, auf Urlaub zu fahren, denn er ließ eine Bakterienkultur mit Staphylokokken in einer unverschlossenen Petrischale in seinem Labor liegen. Nach der Rückkehr sah er, dass sich der Schimmelpilz Penicillium notatum gebildet und die Bakterien vernichtet hatte. Fleming war fasziniert und testete am 9. Jänner 1929 eine Penicillin-Lösung an seinem Assistenten Stuart Craddock – die zeigte allerdings keinerlei Wirkung. Doch Fleming gab nicht auf und 14 Jahre später kam das Antibiotikum auf den Markt. Penicillium chrysogenum wird bis heute zur industriellen Penicillin-Herstellung verwendet.

Schätze aus dem Wald

Doch von diesen Pilzen soll hier nicht die Rede sein, sondern von denen, die uns im Wald faszinieren. Denn sie sind es, die in der TCM zum Einsatz kommen, in der westlichen Medizin jedoch mit Skepsis betrachtet werden. So wurde etwa in Deutschland der Begriff "Vital- oder Heilpilz" als reiner Marketingbegriff definiert, der rechtlich nicht geschützt ist. Nahrungsergänzungsmittel, die aus Pilzen hergestellt werden, dürfen nicht zur Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten wie Krebs, HIV oder Asthma beworben werden und sie sind in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen, da bisher weder Wirksamkeit noch Sicherheit in einem Zulassungsverfahren nachgewiesen wurden. Die Begründung: "Der Wissensstand zu möglichen Wirkungen von Vitalpilzprodukten ist noch mehr als lückenhaft. Es fehlt an aussagekräftigen klinischen Studien zu Wirksamkeit und Risiken. Wirkungen isolierter Stoffe im Reagenzglas und bei Versuchstieren können nicht einfach auf den Menschen oder auf Produkte übertragen werden."

Eine Expertenkommission, bestehend aus Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), kam immerhin zu dem Schluss, dass Heilpilze eine medizinische Zweckbestimmung aufgrund der ausschließlichen Verwendung und bestehenden Verkehrsauffassung als "Naturarzneimittel" aufweisen – auch ohne eine explizite arzneiliche Auslobung. In einem Gutachten gelangten sie zur Auffassung, dass Vitalpilze als sogenannte Präsentationsarzneimittel anzusehen sind, die unabhängig von ihrer tatsächlichen Wirkung den Regelungen des Arzneimittelrechts unterliegen (nachzulesen unter https://www.verbraucherzentrale.de). In Österreich ist die Situation gleich, die genauen Bestimmungen und Definitionen finden sich unter https://www.verbrauchergesundheit.gv.at/lebensmittel/buch/codex/A1_Judikatur.pdf.

Die Forschung geht weiter

Ophiocordyceps sinensis ist vielversprechend bei der Behandlung von Tumoren.
© View Stock / Getty

Viele Mykologen sehen das anders. Einer von ihnen ist der US-Amerikaner Paul Stamets, der auf Pilze wie Chinesischer Raupenpilz, Igelstachelbart, Maitake, Reishi, Lärchenporling, Chaga, Shiitake oder Schmetterlings-Tramete setzt. Auch der Mediziner Andrew Weil, ebenfalls US-Amerikaner, schwört vor allem auf die anti-entzündlichen Eigenschaften verschiedener Pilze. Er führt ihre heilsamen Kräfte auf bestimmte, von Pilzen produzierte Moleküle zurück, die zu den Rezeptoren des menschlichen Gehirns und Körpers passen, was seiner Ansicht nach auf eine genetische Verwandtschaft schließen lässt. Dies scheint Weil umso logischer, als sich Menschen mit Pilzen mehr DNS-Sequenzen teilen würden als mit Pflanzen und sich aus demselben Ast des evolutionären Stammbaums entwickelt hätten, Pflanzen dagegen aus einem anderen. Da die Mykologie jedoch immer noch ein Forschungsfeld mit vielen weißen Flecken ist, braucht Weils Ansatz wohl noch einen hieb- und stichfesten Beweis.

In der Ganzheitsmedizin setzt man Pilzwirkstoffe immer öfter ergänzend zur schulmedizinischen Therapie ein, etwa, wenn Krebspatienten eine Chemotherapie schlecht vertragen oder Entzündungen das Immunsystem schwächen. Die Forschung geht mittlerweile einen Schritt weiter: Um die Wirkkraft besser zu verstehen und Pilze künftig sogar gezielt etwa gegen Tumore einsetzen zu können, versuchen Wissenschafter immer wieder, die Wirkstoffe der Pilze zu isolieren.

Vor allem Reishi, Kokospilz und Chinesischer Raupenpilz werden dazu herangezogen. Bisher hat man herausgefunden, dass der Wirkstoff Cordycepin aus dem Chinesischen Raupenpilz (Ophiocordyceps sinensis) Tumorzellen abtöten kann, indem er deren Zellskelett zerstört. Besonders effektiv erwies sich Cordycepin gegen Leukämie-, Brustkrebs- und Prostatakrebszellen – allerdings nur im Reagenzglas. Ob sich die Ergebnisse aus den Zellkulturen auf den Menschen übertragen lassen, ist noch offen.

"Magic mushrooms"

Manche konsumieren Pilze wegen ihres Geschmacks, andere aus gesundheitlichen Gründen, und wieder andere, um in Verbindung mit Göttern zu treten oder um dem Alltag zu entfliehen. Letztere greifen zu einer bestimmten Gruppe psychoaktiver Pilze, die man als "Zauberpilze", "Magic Mushrooms", "Fleisch der Götter" oder in Österreich als "narrische Schwammerl" kennt. Sie enthalten die psychedelisch wirkenden Substanzen Psilocybin und Psilocin. Psilocybinhaltige Pilze gibt es weltweit, die meisten gehören zur Familie der Kahlköpfe. Besonders häufig findet man in Mitteleuropa den Spitzkegeligen Kahlkopf (Psilocybe semilanceata), der gerne auf Weiden wächst.

Wolfgang Knoll / stock.adobe.com
© Wolfgang Knoll / stock.adobe.com

Obwohl es Zeugnisse gab (und gibt), dass psychoaktive Pilze in Mittel- und Lateinamerika für schamanische Rituale verwendet wurden, hielt man das in Europa lange Zeit für einen Mythos oder eine Lüge. Erst die Forschungen und Studienreisen des New Yorker Bankiers und Privatgelehrten Robert Gordon Wasson und seiner Frau, der Kinderärztin Valentina Pavlovna Wasson, brachten 1950 den Nachweis der Existenz derartiger Pilze. Auf einer späteren Reise begleitete Wasson der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, der 1943 die halluzinogene Wirkung von LSD (Lysergsäurediethylamid) entdeckt hatte. Hofmann gelang es schließlich 1958, den Hauptwirkstoff Psilocybin sowie das Psilocin aus den Pilzen zu isolieren.

Von Ekstase bis Panik

Der Gehalt an Psilocybin und Psilocin in Pilzen variiert deutlich zwischen unterschiedlichen Spezies und sogar innerhalb dieser. Auch im Pilz selbst ist der Wirkstoffgehalt unterschiedlich verteilt: Bei Psilocybe samuiensis wurde etwa die höchste Konzentration in der Kappe nachgewiesen. Konsumiert man derartige Pilze, ist ihre Wirkung mit der von LSD vergleichbar: Beide Drogen verändern die Wahrnehmung, können aber bei jedem Individuum unterschiedliche Effekte hervorrufen, die von größten Glücksgefühlen bis zu massiven Ängsten reichen können.

Im schlimmsten Fall erlebt der Konsument einen sogenannten Horrortrip, es besteht aber auch die Gefahr der Aktivierung einer latent vorhandenen Psychose. Abhängig ist das von der Verfassung des Konsumenten, der Umgebung sowie der Dosis. Laut Untersuchungen dauert es zwischen zehn und 120 Minuten, bis eine Wirkung eintritt; der Höhepunkt ist nach 1,5 bis drei Stunden erreicht und dauert drei bis acht Stunden, in seltenen Fällen auch länger.

Körperlich kann sich der Einfluss psychoaktiver Pilze in gesteigerter Energie, beschleunigtem Herzschlag, körperlichem Wohlgefühl, Muskelentspannung, Appetitverlust, Kältegefühl in den Ex-tremitäten oder leichtem Schwindel zeigen; manchmal treten auch Übelkeit, Schwächegefühl, Schüttelfrost, Muskel- und Bauchschmerzen auf.

Was man nicht feststellen konnte, waren physische oder psychische Abhängigkeit oder Entzugserscheinungen. Deshalb galten und gelten die Wirkstoffe der Pilze als sogenannte nicht-abhängigkeitserzeugende Substanzen. Seit Mitte der 1950er Jahre, als man begann, psilocybinhaltige Pilze vor allem in den USA wissenschaftlich zu untersuchen, wurden deshalb im psychiatrischen Bereich Studien und Therapien mit Psilocybin oder LSD durchgeführt, um sogenannte Modellpsychosen hervorzurufen. Damit sollte Ärzten und Psychiatern geholfen werden, die Vorgänge während einer Psychose besser verstehen zu können. Außerdem versuchte man, Alkoholkranke mit Psilocybin zu behandeln. Auch bei Menschen, die auf andere Behandlungsmethoden nicht reagierten, oder Krebspatienten im Endstadium, kam der Wirkstoff aus den psychoaktiven Pilzen zum Einsatz.

Vor vier Jahren, im Oktober 2018, verlieh die Food and Drug Administration (FDA) einer großen Studie über Psilocybin in der Therapie von behandlungsresistenten Depressionen den Status einer "Breakthrough Therapy", ein Jahr später erhielt das Psilocybin-Programm für die Behandlung von klinischen Depressionen des Usona-Instituts denselben Status. Eine Behandlungsresistenz ist hier keine Voraussetzung für den Psilocybin-Einsatz in der Studie.

Rechtslage

Das verbreitete Wissen um die "magic mushrooms" und ihre relativ einfache Beschaffbarkeit verhalfen den aus ihnen gewonnenen psychoaktiven Substanzen zu immer größerer Beliebtheit. Einzelne Staaten begannen in den 1960er Jahren, die Zauberpilze zu verbieten, international hatte das jedoch keine Auswirkungen. Erst durch die 1971 in Kraft getretene Konvention über psychotrophe Substanzen der Vereinten Nationen wurden Psilocybin und Psilocin in weiten Teilen der Welt zu kontrollierten Substanzen erklärt.

In Österreich fällt Psilocybin unter das Suchtmittelgesetz, Anbau, Erwerb, Ein- und Ausfuhr sowie Weitergabe und Verkauf von "Magic Mushrooms" an andere sind daher strafbar. Wer diese Pilze allerdings lediglich besitzt oder konsumiert, macht sich nicht strafbar (nachzulesen unter www.oesterreich.gv.at/themen/gesundheit_und_notfaelle/sucht/2/1/Seite.1520610.html).