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Wenn Bakterien-Zombies erwachen

Von Eva Stanzl

Wissen
© Süel Lab / Kaito Kikuchi / Leticia Galera

Wenn manche Bakterien nichts mehr zu fressen finden, begeben sie sich in eine Art Totenstarre. Doch sie bilden Sporen, die sich wieder ins Leben stürzen, wenn die Lage sich bessert.


Wissenschaftliche Erkenntnisse holen Horrorfilm-Sujets in die Realität: Bestimmte Bakterien können ungünstige Umweltbedingungen in einer Art Totenstarre überdauern. Wenn die Lage sich bessert, merken sie das und erwachen, wie Zombies, wieder zum Leben.

US-Forscher berichten im Fachmagazin "Science" über Bakterien und Pilze, die bei extremem Nahrungsmangel oder sonstigem Umweltstress alle lebenserhaltenden Prozesse einstellen. Kurz bevor sie das tun, bilden sie Sporen, die große Hitze, starken Druck oder das Vakuum des Weltraums über lange Zeiträume überdauern, ohne dabei Energie zu verbrauchen. Genau diese Sporen läuten den Wecker zum Aufwachen, wenn das Klima wieder milder wird.

Doch woher können die Bakterien- und Pilz-Sporen wissen, wann es sich lohnt, ins Leben zurückzukehren? Wie können sie erfahren, dass ihre Umwelt wieder brauchbare Bedingungen bietet, ohne von vornherein den vollen Energiehaushalt anzuwerfen?

Das Team um den Biologen Gürol Süel von der University of California in La Jolla hat den Heubazillus (Bacillus subtilis), ein weitverbreitetes, stäbchenförmiges Bodenbakterium, untersucht. In seiner Dauerform lagert der Mikroorganismus große Mengen des Biomoleküls Dipicolinsäure ein. In einem Komplex bindet die Säure in jeder Zelle Wasser und trocknet den Organismus aus, wodurch er auch haltbar wird. Seine Sporen empfangen jedoch trotz dieser völligen Ruhigstellung Informationen über winzige, elektrochemische Signale als Lageberichte aus der Umwelt im Schlaf. Summiert sich die Bilanz der Signale auf Lebensfreudlichkeit, nehmen die Sporen Wasser auf und fahren den Metabolismus wieder hoch.

Doch was ist bei widersprüchlichen Signalen? Die Sporen besitzen sogar die Fähigkeit, während der Totenstarre selbst unklare Informationen zu evaluieren. Die elektrochemischen Signale verhalten sich ähnlich wie ein Kondensator, der Gleichstrom sperrt und Wechselstrom weiterleitet: Sie unterstützen die Sporen dabei, zu ermitteln, ob gute oder schlechte Bedingungen überwiegen.

Neue Blickpunkte für Suche nach Leben im All

Süel und seine Kollegen haben getestet, ob die Sporen des Heubazillus auch Umweltsignale mitbekommen, die zu schwach sind, um den den Stoffwechsel in Gang zu bringen, und dabei entdeckt, dass die Sporen die Signale zählen. Wenn ihre Summe einen Schwellenwert überschreitet, starten die Bakterien die biologische Aktivität.

Zur Erklärung des Prozesses haben die Forschenden ein mathematisches Modell entwickelt. Dabei fanden sie heraus, dass Sporen einen Mechanismus nutzen, der als "Integrieren und Feuern" bekannt ist und auf den Flüssen von Kalium-Ionen beruht, um die Umgebung auszuloten. Es zeigte sich, dass die Sporen selbst auf kurzzeitige positive Signale reagieren, die nicht ausreichen, um den Ruhezustand zu beenden. Statt aufzuwachen, setzen sie in Reaktion auf jedes kleine Signal einen Teil ihres gespeicherten Kaliums frei und zählen aufeinanderfolgende günstige Signale zusammen. Diese kumulative Signalverarbeitungsstrategie ermöglicht es ihnen, zu erkennen, wann die Bedingungen tatsächlich gut genug sind, um aufzuwachen. Zugleich verhindert sie, dass die Sporen vorschnell in eine Welt eintreten, die sie dann doch umbringt.

"Im Grunde ähnelt die Art und Weise, wie Sporen Informationen verarbeiten, der Funktionsweise von Nervenzellen im Gehirn", erklärt Süel in einer Aussendung zur Studie. "Sowohl bei Bakterien als auch bei Neuronen werden kleine, kurze Inputs im Laufe der Zeit addiert. Wenn der Schwellenwert erreicht ist, leiten Sporen ihre Rückkehr zum Leben ein und feuern Neuronen, um mit anderen Neuronen zu kommunizieren". Anders als die Sporen, die zur Signalverarbeitung keine Energie benötigen, zählen die Neuronen im Gehirn jedoch zu den Zellen, die im Körper am meisten Energie verbrauchen.

Neben neuen Erkenntnissen zu Organismen in extremen Ruhezuständen ermöglichen die Arbeiten laut den Forschern eine Neubewertung von Leben auf Objekten im All, wie Meteoriten oder Exoplaneten. Weltraummissionen auf der Suche nach anderem Leben könnten sie neue Blickpunkte liefern. Auch für den Umgang mit potenziellen Bedrohungen durch uralte pathogene Sporen könnten sie von Bedeutung sein.