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Licht aus!

Von Christina Mondolfo

Wissen
Die Erde bei Nacht – an vielen Orten ein Lichtermeer.  
© NASA

Das natürliche Spiel von Tag und Nacht, also Licht und Dunkelheit, ist heute massiv gestört: Künstliche Beleuchtung macht die Nacht zum Tag und bringt dadurch den zirkadianen Rhythmus von Pflanzen, Tieren und Menschen gewaltig durcheinander.


Es ist spätabends, dunkel ist es jedoch keineswegs: In regelmäßigen Abständen erhellen Straßenlampen die Nacht. Ein Nachtfalter schwirrt um einen Leuchtkörper – immer und immer wieder stößt er an die Glasabdeckung, flattert scheinbar orientierungslos herum, um gleich wieder in Richtung Licht zu fliegen. Er wird das so lange tun, bis er vor Erschöpfung zu Boden fällt und stirbt. Wenn ihn nicht vorher eine Fledermaus erwischt … Es ist ein allnächtliches Bild und meistens sind es auch andere Insekten, die von der künstlichen Lichtquelle wie magisch angezogen werden – doch letztendlich bedeutet sie den Tod für sie.

Künstliches Licht allüberall

Von Straßen und Gehsteigen über Gebäude, Schaufenster und Objekte im öffentlichen Raum bis hin zu unseren Wohnungen – alles wird nachts künstlich beleuchtet. Es ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die Nacht zum Tag zu machen, doch diese Selbstverständlichkeit hat gewaltige Schattenseiten: Das Ausmaß der künstlichen Lichtmenge, die wir heute nachts erzeugen, ist mittlerweile derart groß, dass sie "ungesund" geworden ist und wir von Lichtverschmutzung sprechen.

Begonnen hat alles mit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung. Die erste Form des elektrischen Lichts war die Kohlebogenlampe, darauf folgte die Kohlefadenlampe, um schließlich mit der Metallfadenlampe, die wir besser als Glühlampe oder umgangssprachlich Glühbirne kennen, ihren vorläufigen Höhepunkt zu erreichen. Heute machen LED-Lampen einen guten Teil der künstlichen Beleuchtung aus. Doch auch wenn diese weniger Energie verbrauchen als ihre Vorgängerinnen, besser für die Umwelt sind sie trotzdem nicht, denn sie verringern die Lichtverschmutzung keineswegs. Was ist Lichtverschmutzung aber überhaupt? Unter diesem Begriff versteht man die dauernde Abwesenheit völliger Dunkelheit in den davon betroffenen Gebieten der Erde. Ursächlich verantwortlich für Lichtverschmutzung ist hauptsächlich der nach oben abgestrahlte oder reflektierte Anteil des Lichts, der an Schichten der Atmosphäre, atmosphärischen Stäuben oder Wassertröpfchen reflektiert und zerstreut wird. Das heißt, natürliches wird durch künstliches Licht verschmutzt. Bereits 80 Prozent der Menschen weltweit leben mit Lichtverschmutzung und dank des ungebremsten Wachstums der Städte und der steigenden Zahl von Möglichkeiten für den Einsatz künstlichen Lichts wird sie immer weitläufiger.

Wien bei Nacht: Von Dunkelheit ist kaum eine Spur zu finden.
© Getty Images / amriphoto

Warum jedoch erhellen wir die Nacht überhaupt? Damit hat sich bereits 2007 Johannes Alexander Schmidt, Professor an der Universität Duisburg-Essen und Experte für integrierte Stadtentwicklung und urbane Systeme, befasst, und unterschied zwischen drei Funktionen des Lichts: dem "Licht zum Sehen", dem "Licht zum Hinsehen" und dem "Licht zum Ansehen".
Das Licht zum Sehen (und Gesehen-Werden) sei aus Sicherheitsgründen unverzichtbar – öffentlich zugängliche Räume müssten nachts beleuchtet werden, um Unfälle zu vermeiden. Licht zum Hinsehen sei dagegen nur ein "optisches Makeup", um schöne Objekte in der Dunkelheit besser zur Geltung zu bringen. Unter Licht zum Ansehen fallen dagegen Leuchtreklamen oder Lichtkunstobjekte.

Störfaktor Licht

Mit der Vielfalt an künstlichen Lichtquellen, die den Tag weit in die Nacht hinein verlängern, irritieren wir jedoch einen wichtigen Ablauf im Körper: den zirkadianen Rhythmus. Darunter versteht man in der Chronobiologie alle inneren Rhythmen, die eine Periodenlänge von 24 Stunden haben. Diese haben bei Menschen, Tieren und Pflanzen maßgeblichen Einfluss auf die Funktionen des Organismus in Anpassung an die sich im Lauf eines Tages ändernden Umweltbedingungen. Dass diese Rhythmen sogar in den einzelnen Zellen festgelegt sind, konnten die drei US-Chronobiologen Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young nachweisen. Ihre Forschungen zur Funktionsweise der inneren Uhr, die den Biorhythmus von Lebewesen steuert, wurden 2017 mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet.

Der bekannteste der zirkadianen Rhythmen ist der Schlaf-Wach-Rhythmus – und gerade der ist durch das Übermaß an künstlichem Licht zu einer Zeit, in der natürliche Dunkelheit herrschen sollte, stark beeinträchtigt: Neigt sich der Tag seinem Ende zu und die Nacht übernimmt die Herrschaft, wird das Hormon Melatonin ausgeschüttet, das dem Körper signalisiert: "Es ist Zeit, schlafen zu gehen." Wird es jedoch dank künstlicher Lichtquellen nicht dunkel, produziert die Zirbeldrüse dieses Hormon nicht – wir werden nicht müde und gehen daher auch nicht schlafen. Doch unser Körper braucht die nächtliche Ruhephase, um zu regenerieren und Kraft für den nächsten Tag zu tanken. Verweigern wir ihm diese Pause, indem wir die Nacht zum Tag machen, hat das rasch deutliche Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit. Nicht umsonst gilt Schlafentzug als effektives Folterinstrument …

Chaos in der Biosphäre

Doch kehren wir wieder zu den Tieren und Pflanzen zurück und den Auswirkungen, die dieses Übermaß an Licht in der Nacht auf sie hat.
Nicht nur das unmittelbare Ende durch Verbrennen oder Übermüdung sind eine Gefahr für die Insekten, sondern künstliches Licht in der Nacht hat grundsätzliche Auswirkungen auf ihr Verhalten. Wasserinsekten wie die Eintagsfliegen etwa halten beleuchtete Asphaltflächen für eine Wasseroberfläche und legen dort ihre Eier ab – auf trockenem Boden können sich die Larven aber nicht entwickeln, daher wird eine ganze Generation an Eintagsfliegen nie schlüpfen. Zooplankton wie Wasserflöhe begeben sich zur Nahrungssuche in der Nacht an die Wasseroberfläche und vertilgen dort zum Beispiel Algen. Somit tragen sie zur Reinigung von Gewässern bei – diese Funktion wird jedoch durch künstliches Licht bei Nacht gestört, denn sie verlassen in diesem Fall die unteren Wasserschichten nicht. Das wiederum hat Auswirkungen auf Fische, die vom Zoo-plankton leben. Die werden aber auch direkt von nächtlichen Beleuchtungsquellen beeinflusst: So hat man Lachse und Aale beobachtet, die während ihrer Wanderungen zu ihren Laichgründen vor hell beleuchteten Brücken verharren, als ob diese ein tatsächliches Hindernis direkt im Wasser wären. Sie erreichen ihre Laichgründe verspätet – oder gar nicht…

Myriaden von Insekten umschwirren einen Beleuchtungskörper – eine strahlende, tödliche Falle.  
© stock.adobe.com / enolabrain

Nachtfalter werden auf ihrer Suche nach Nektar durch die vielen artifiziellen Lichtquellen irritiert und fliegen deshalb entweder gar nicht erst los in der Annahme, es werde schon Tag, oder sie fliegen direkt darauf zu, weil sie sich an diesem künstlichen Mond orientieren – und das anfangs beschriebene Szenario nimmt seinen Lauf. Das hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf den Bestand der Nachtfalter, sondern auch auf den vieler (nacht)blühender Pflanzen: Gibt es weniger Nachtfalter, können weniger Pflanzen bestäubt werden, was wiederum eine Gefährdung des Pflanzenbestandes mit sich bringt. Ein Teufelskreis, den Ökologinnen und Ökologen der Universität Bern erstmals in einer Studie nachweisen konnten, die 2017 im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht wurde (Knop E., Zoller L., Ryser R., Gerpe Ch., Hörler M., Fontaine C. (2017) Artificial light at night as a new threat to pollination. Nature, 02. August 2017. doi:10.1038/nature23288).

Ein Problem mit künstlich erleuchteten Nächten haben auch die Glühwürmchen – ihr Glimmen kann von potenziellen Partnerinnen nicht mehr wahrgenommen werden, es findet daher keine Paarung statt. Eine Unterfamilie der Mistkäfer, die Lethrinae, orientiert sich auf dem Weg von der Brutkammer zur Nahrungsquelle am Licht der Sterne der Milchstraße. Diese Besonderheit wurde in einer 2013 veröffentlichten Studie unter der Leitung der schwedischen Biologin Marie Ann-Charlotte Dacke, die sich auf die Erforschung der Sinnesorgane von Insekten spezialisiert hat, nachgewiesen (Marie Dacke, Emily Baird, Marcus Byrne, Clarke H. Scholtz, Eric J. Warrant (2013): Dung Beetles Use the Milky Way for Orientation. Current Biology 23(4): 298–300. doi:10.1016/j.cub.2012.12.034). Da die Milchstraße vor allem im städtischen Bereich aufgrund der Lichtglocke, die durch nach oben strahlendes künstliches Licht verursacht wird, nicht mehr zu sehen ist, laufen die Mistkäfer oft in die Irre.

Zugvögel, die ihre langen Reisen bevorzugt abends oder nachts unternehmen, orientieren sich am Sternenhimmel, genau gesagt an den Rotationszentren, also dem Himmelsnordpol und dem Himmelssüdpol, und am Magnetfeld der Erde. Die Konzentration künstlicher Lichtquellen etwa in Städten stört diesen Orientierungssinn: Die Vögel kreisen stundenlang um diese Areale, was zu einem erheblichen Zeit- und Energieverlust führt. Über dem offenen Meer werden sie durch Schiffe oder Bohrinseln irritiert, was oft zum Tod durch Erschöpfung führt, weil sie ihre Routen nicht mehr einhalten. Außerdem kann es zu einer Veränderung ihres Formationsfluges kommen – er löst sich entweder auf oder verdichtet sich, wobei letzteres zu Kollisionen der Vögel führen kann.
Bei tagaktiven Vögeln hat man dagegen beobachtet, dass sie weit in die Nacht hinein nach Futter suchen oder sogar singen und so mehr Energie verbrauchen. Das hat besonders im Winter fatale Auswirkungen, denn in dieser Jahreszeit reduzieren Vögel automatisch ihren Stoffwechsel, um Energie zu sparen. Durch die künstlich herbeigeführte längere Helligkeit findet dieser Vorgang jedoch nicht oder nur sehr reduziert statt, was wiederum den Energiebedarf erhöht, das heißt die Vögel müssen mehr Futter suchen. Doch das Angebot ist im Winter bekanntermaßen nur bescheiden …

Auch Fledermäuse sind von Lichtverschmutzung betroffen: Sie brauchen in ihren Quartieren Dunkelheit – befinden sich Lichtquellen in unmittelbarer Nähe oder leuchten diese sogar direkt in ihre Ruheplätze (wie das etwa bei beleuchteten Kirchtürmen, einem bevorzugten Fledermausquartier, der Fall ist), verlassen sie entweder dieses Quartier oder fliegen verspätet oder gar nicht mehr aus. In letzterem Fall bedeutet das meist den Tod der gesamten Population.

Dieses Schicksal ereilt jedes Jahr auch viele junge Meeresschildkröten: Sobald sie nachts geschlüpft sind und sich aus dem Sand gegraben haben, machen sie sich instinktiv auf den Weg zu ihrem künftigen Lebensraum, dem Meer. Dabei orientieren sie sich am Mondlicht, das von der Meeresoberfläche reflektiert wird. Doch beleuchtete Strandpromenaden und Straßen irritieren die kleinen Schildkröten – sie krabbeln in Richtung des künstlichen Lichts, das meist viel heller strahlt als der Mond, und werden dann Opfer von Autos oder größeren Tieren.

Auch Pflanzen leiden unter Lichtverschmutzung. Das Problem mangelnder Bestäubung durch das Ausbleiben nachtaktiver Insekten wurde bereits erwähnt. Ungewöhnlich ist der Einfluss von Licht bei Nacht auf manche Bäume: Sie treiben früher aus beziehungsweise werfen ihr Laub im Herbst auf der Seite, die sich neben einer Straßenlaterne befindet, nicht ab. Das sei insofern problematisch, da der Laubabwurf den Baum ja vor Frostschäden schützen soll, sagt der Ökologe Franz Hölker, Experte für die ökologischen Auswirkungen von Lichtverschmutzung am Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er und seine Kollegen und Kolleginnen haben in einem internationalen Team elf dringende Forschungsfragen identifiziert, die es zu lösen gilt, um die Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf die biologische Vielfalt zu mindern (der Artikel wurde am 8. Dezember 2021 in "Frontiers in Ecology and Evolution" veröffentlicht: "11 Pressing Research Questions on How Light Pollution Affects Biodiversity", Front. Ecol. Evol., 08 December 2021, Sec. Urban Ecology, https://doi.org/10.3389/fevo.2021.767177).

Kampf gegen Lichtverschmutzung

Bereits seit 1988 setzt sich die International Dark-Sky Association (IDA) für die Rückeroberung der natürlichen Dunkelheit ein. Die in den USA gegründete Vereinigung von Astronomen hat sich als Ziel gesetzt, eine geringere Lichtverschmutzung und damit einen dunkleren Himmel zu erreichen. Die IDA hat Partnerorganisationen in zahlreichen anderen Staaten, mit welchen sie enge Verbindungen pflegt, so auch in Österreich: Die heimische Sektion ist an der Kuffner-Sternwarte ansässig.

Die Organisation engagiert sich in der Forschung etwa zum Thema effiziente, zum Boden gerichtete Beleuchtung im richtigen Wellenlängenbereich, in rechtlichen Angelegenheiten und in der Vermittlung des Wertes nächtlicher Dunkelheit an sich. Um das Bewusstsein für die nächtliche natürliche Dunkelheit und ihre Bedeutung für das Ökosystem zu schärfen, erkennt die IDA sowohl Dark Sky Communities als auch Dark Sky Parks an. Erstere sind Kommunen, die den dunklen Himmel durch vernünftig gerichtete Beleuchtung schützen, zweitere sind Parks oder öffentliche Gebiete, die eine außergewöhnliche Nachtlandschaft und ein Vermittlungsangebot zum Nachthimmel haben und sich für den Schutz dieser Nachtlandschaft einsetzen. Eine besondere Stellung hat in dieser Hinsicht Dark-Sky Switzerland: Der Bundesrat hat dem Verein zum 1. Juni 2019 das Verbandsbeschwerderecht im Umweltbereich erteilt. Damit kann Dark-Sky Switzerland bei geplanten Großprojekten Einsprache erheben und steht somit auf einer Stufe mit großen Umweltorganisationen wie dem WWF oder Pro Natura.

Die erste österreichische Region, die von der IDA als Dark Sky Park oder "Sternenpark" anerkannt wurde, ist der Naturpark Attersee-Traunsee: Er darf diesen Titel seit April 2021 tragen. Der Unesco Biosphärenpark Salzburger Lungau bemüht sich derzeit um die Anerkennung als Sternenpark durch die IDA.

Eine weitere Maßnahme, um auf die zunehmende Lichtverschmutzung aufmerksam zu machen, sind die alljährliche Earth Hour und die Earth Night: Doch während bei der Earth Hour jedes Jahr an einem Abend im März nur eine Stunde lang, von 20 Uhr 30 bis 21 Uhr 30, das Licht abgeschaltet oder zumindest reduziert wird, wird bei der jährlichen Earth Night im September ab 22 Uhr das Licht komplett abgeschaltet oder zumindest deutlich reduziert. Beiden Initiativen ist jedoch bewusst, dass es ohne künstliche Beleuchtung in der Nacht mittlerweile nicht mehr geht. Ihr Ziel ist es, Bewusstsein für unseren Umgang mit Licht in der Nacht zu schaffen und in Anbetracht des Wissens um die mögliche Schadwirkung auf die Umwelt und Natur zu hinterfragen, welche Lichtquellen wirklich nötig und zwingend erforderlich sind. Diese sollten dann maximal nachtfreundlich ausgestaltet sein: gelbliche Lichtquellen (bis maximal 2.700 K Farbtemperatur) verwenden, kein Dauerlicht anlassen, keine Abstrahlung zur Seite oder nach oben in den Himmel, nicht zu hoch montieren und eine möglichst geringe Leistung/Helligkeit anstreben. Also, Licht aus und Dunkelheit an!

Buchtipp

Johan Eklöf: "Das Verschwinden der Nacht", Droemer Knaur Verlag, 240 Seiten, 23,50 Euro.

© Knaur-Verlag

Alle Rhythmen der Natur sind in irgendeiner Weise abhängig vom Wechsel zwischen Tag und Nacht. Fällt dieser Wechsel weg, weil die Nacht zum Tag gemacht wird, hat das gravierende Folgen. Welche das sind, beschreibt der schwedische Zoologe und Fledermaus-Experte Johan Eklöf in seinem Buch "Das Verschwinden der Nacht". Sein sehr persönliches Plädoyer für mehr natürliche Dunkelheit ist ein aufrüttelnder Appell in bester Tradition des Nature Writing, eine geglückte Verbindung von Erleben, das zu Erkenntnis führt, nämlich der, dass die Nacht nicht verlorengehen darf, weil sie ein Teil von uns allen ist. Ein Buch, das man am liebsten in einem Zug durchlesen will!