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Neue Eisform, so dicht wie Wasser

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Moleküle des neuen amorphen Eises (links) sind so ungeordnet strukturiert wie bei Wasser - im Gegensatz zur geordneten kristallinen Form.
© University of Cambridge

Eis ist nicht gleich Eis. Bekannt sind 20 Varianten. Eine neue Form ist so amorph wie das Eis im All.


Eis ist nicht gleich Eis. Bekannt sind 20 Varianten. Die uns vertraute Form ist tatsächlich nur eine Version von gefrorenem Wasser, erklärt der Chemiker Christoph Salzmann vom University College London (UCL) im Magazin "Welt der Physik". Mit Kollegen hat er jetzt eine neue Form von Eis entdeckt, dessen Struktur jener von flüssigem Wasser ungewöhnlich nahe kommt und die sich normalerweise nur im Weltraum bildet.

Zum Hintergrund: Wasser füllt die Ozeane. Der menschliche Körper besteht je nach Alter zu 50 bis 75 Prozent aus Wasser. Es hat verschiedene Aggregatzustände. Die H2O-Moleküle, zusammengesetzt aus jeweils einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen, zeigen ungewöhnliche Eigenschaften. Wenn das Element gefriert, ordnen sich die Moleküle. Es verliert an Dichte, weswegen Eiswürfel auf Wasser schwimmen.

Haushaltsübliche Eiswürfel oder auch Schneeflocken in der Natur zählen zu einer Form namens "EisI", auch bekannt als "EisIh". Das "h" steht für "hexagonal", da die Moleküle hexagonal angeordnet sind, schreibt Salzmann. Die Sauerstoffatome befinden sich jeweils an den Ecken eines Sechsecks und sind über Wasserstoffbrücken mit den anderen Wassermolekülen verbunden.

Ein Team um Salzmann und Studienleiter Alexander Rosu-Finsen vom UCL und der Universität Cambridge hat eine neue Form von Eis entdeckt, das nach eigenen Aussagen "unser Verständnis von Wasser und seiner vielen Normabweichungen neu ordnen könnte", heißt es in einer Aussendung zu der im Fachjournal "Science" publizierten Arbeit.

Das neue Eis ist amorph. Das heißt, dass seine Moleküle nicht wie die Eiswürfel aus dem Gefrierfach schönfeinsäuberlich angeordnet sind, sondern im Gegenteil, recht ungeordnet aneinanderliegen. Amorphes Eis kommt auf der Erde selten vor, doch im Weltraum ist es die häufigste Form. Laut den Forschern liegt das an den tiefen Temperaturen im All, die nicht die nötige thermische Energie liefern, um Kristallformen hervorzubringen.

Puder aus der Kugelmühle

Um ihr außergewöhnliches Eis herzustellen, nutzten die Forscher den Mechanismus der Kugelmühle. Kugelmühlen sind Geräte zur Grob-, Fein- und Feinstzerkleinerung von Mahlgut. Der Mahlraum wird in Rotation versetzt, Kugeln zertrümmern das Mahlgut. Mit Hilfe dieses Prinzips wurden zuvor bereits amorphe Materialien erzeugt, wie metallische Legierungen und andere anorganische Verbindungen. Bei Eis kam es erstmals zum Einsatz.

Die Forscher füllten die Mühle mit gewöhnlichem Eis und Stahlkugeln und ließen das Gemisch bei minus 200 Grad Celsius rotieren. Anders als erwartet erhielten sie dabei aber nicht kleinere Eisstücke, sondern eine amorphe Form, die die gleiche Dichte wie flüssiges Wasser hat. In diesem Zustand nimmt das Eis das Aussehen eines feinen, weißen Puders an. Die Forscher nennen es "mitteldichtes amorphes Eis" (MDA).

Im Allgemeinen werden die Formen von amorphem Eis nach ihrer Dichte unterschieden. Als geringe Dichte gilt unter Materialforschern eine Masse von 0,94 Gramm pro Kubikzentimeter - das ist weniger als flüssiges Wasser -, als hohe Dichte eine von 1,13 Gramm pro Kubikzentimeter - das ist mehr als Wasser. Bei einer Temperatur von vier Grad Celsius hat Wasser ein Gramm Dichte. "Zuvor kannte man keine Eisform, weder kristallin noch amorph, mit der Dichte von flüssigem Wasser", sagt Rosu-Finsen: "Das ist ein Meilenstein für unser Verständnis."

Die Wissenschafter legen nahe, dass MDA in den Eismonden des äußeren Sonnensystems zu finden sein könnte. Sie halten es für möglich, dass die Gezeitenkräfte von Gasriesen wie Jupiter und Saturn dem Eis ähnliche Schübe versetzen wie die Kugelmühle im Experiment. Zudem gab MDA, als die Chemiker es wieder erhitzten, hohe Mengen Hitze ab, die im All eine geophysikalische Aktivität entfalten könnte. Sie halten es für möglich, dass tektonische Bewegungen oder "Eisbeben" an der kilometerdicken Eis-Oberfläche von Ganymed, der größte Mond des Sonnensystems, der um Jupiter kreist, auslösen könne.

"Wasser ist die Grundlage des Lebens. Wir starten Weltraummissionen, um es zu finden, doch aus wissenschaftlicher Sicht das Element wenig verstanden", fasst Erstautor Salzmann zusammen.