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Mehr Demut gegenüber dem Baum

Von Philipp Hedemann

Wissen

Peter Wohlleben ist der berühmteste Förster der Welt. Ein Interview über Borkenkäfer und den Wert von toten Bäumen, über Gegenwind aus der Forschung und warum es trotz allem noch nicht zu spät für den Wald ist.


Förster und Autor Peter Wohlleben (58) nahm sich schon als Sechsjähriger vor, Umweltschützer zu werden. Er setzt sich für eine ökologische und nachhaltige Waldwirtschaft ein und hat mit seinen zahlreichen Büchern und der von ihm gegründeten Waldakademie in Wershofen (Rheinland-Pfalz) Millionen für den Wald begeistert. Nun ist sein neues Buch, "Waldwissen. Vom Wald her die Welt verstehen. Erstaunliche Erkenntnisse über den Wald, den Menschen und unsere Zukunft" (Ludwig Verlag) erschienen.

"Wiener Zeitung": Herr Wohlleben, warum tut der Wald uns gut?Peter Wohlleben: Der Aufenthalt im Wald hat nachweisbar positive gesundheitliche Effekte. Er senkt unter anderem den Blutdruck. Das Grün des Waldes beruhigt uns. Das macht man sich sogar im medizinischen Bereich zunutze. Etliche Operationssäle haben deshalb mittlerweile eine grüne Decke. In von Krisen geprägten Zeiten finden viele Menschen im Wald Ruhe und Kraft.

Was setzt dem Wald zu?

Der größte Stressfaktor für den Wald ist die Forstwirtschaft. Über die Hälfte der Bäume in unseren Wäldern sind nicht heimische Nadelbäume. Sie wachsen vor allem in großen Fichten- und Kiefern-Plantagen. Diese Bäume sterben jetzt großflächig ab, weil es Baumarten aus dem hohen Norden sind, die es kalt und feucht brauchen.

Was macht dem Wald noch zu schaffen?

Bis zu 70 Tonnen schwere Holzerntemaschinen, sogenannte Harvester, verdichten den Waldboden so sehr, dass er im Winter nicht mehr genug Wasser für trockene Sommer speichern kann. Der Auslöser für das dramatische Waldsterben ist also der Klimawandel, die Ursache jedoch überwiegend die Forstwirtschaft.

Welche Rolle spielt der Borkenkäfer?

Der Borkenkäfer ist für viele angeschlagene Bäume der letzte Sargnagel. Er wird in der Geschichte vom Waldsterben oft als Bösewicht dargestellt. Aber das ist er nicht. Er ist ein Schwäche-Parasit, denn er kann eigentlich nur geschwächte Bäume befallen. In den großen deutschen Fichtenplantagen gibt es schon seit 150 Jahren immer wieder katastrophalen Borkenkäferbefall. Durch den Klimawandel passiert das jetzt häufiger und heftiger. Die Fichten vertrocknen, und kurz vor dem Exitus kommt der Borkenkäfer und gibt ihnen den Rest.

Was sollte mit vom Borkenkäfer befallenen Wäldern passieren?

Die sollte man tunlichst in Ruhe lassen. Doch leider führt Borkenkäferbefall bei Forstbetrieben oft zu einer Kurzschlussreaktion. Bevor abgestorbene Bäume beginnen zu faulen, werden sie geschlagen, um sie noch schnell zu Geld machen. So stellt man dem strauchelnden Patienten Wald noch ein Bein. Das sollte man auf keinen Fall tun.

Warum?

Erstens bekommt man für die angegriffenen Bäume ohnehin keinen guten Preis mehr. Und zweitens werfen auch tote Bäume Schatten und können einen Wald so immerhin noch um bis zu acht Grad runterkühlen. Macht man einen Kahlschlag, kann die Temperatur am Boden auch in Deutschland in der prallen Sonne auf deutlich über 60 Grad steigen. Wiederaufforstungen schlagen deshalb immer häufiger fehl.

Auch verheerende Waldbrände haben in den vergangenen Jahren so viel Wald zerstört wie nie zuvor. Werden wir uns an diese Feuer gewöhnen müssen?

Wie beim Borkenkäfer sind auch bei den Bränden die Nadelbaum-Monokulturen das Hauptproblem. Nadelbäume enthalten viele ätherische Öle und brennen wie Zunder. Die Zahl der Waldbrände wird also durch den Klimawandel weiter zunehmen. Schon allein wegen der Feuergefahr müssen wir unseren Wäldern erlauben, sich zu natürlichen Mischwäldern zurückzuentwickeln. Darum sollte der Anbau von Nadelbäumen - mit Ausnahme heimischer Nadelbäume wie der Weißtanne und der Eibe - komplett untersagt werden.

Sie machen die Forstwirtschaft für das Waldsterben verantwortlich. Was muss sich ändern?

Wir müssen weg von der völlig auf Holzertrag fokussierten Bewirtschaftung unserer Wälder. Wir müssen endlich alle Leistungen des Waldes stärker in den Blick nehmen. Was soll der Wald in Zukunft für uns leisten? Die Kühlungs- und die Wasserspeicherfunktion muss einen höheren Stellenwert erhalten. Wir müssen gewährleisten, dass das Ökosystem Wald arbeitsfähig bleibt. Erst dann können wir schauen, wie viel wir ihm trotz Klimawandel abverlangen können. Unser Umgang mit dem Wald muss demütiger werden. Wir müssen uns eingestehen, dass das große Experiment Plantage in der Forstwirtschaft gescheitert ist.

Was wäre die Lösung?

Ich plädiere dafür, den Wald sich weitestgehend selbst zu überlassen. Er kann sich am besten selbst an die sich verändernden Bedingungen anpassen. Doch dafür müssen wir die Holzentnahme deutlich reduzieren.

Sind Ihre Forderungen nicht unrealistisch und radikal?

Nicht meine Forderungen sind radikal, der Klimawandel ist radikal. Darum bin ich fest davon überzeugt, dass die Menschen der konventionellen Forstverwaltung auf die Pelle rücken werden - völlig unabhängig davon, was ich fordere. Schließlich sollen zumindest die öffentlichen Forstverwaltungen Dienstleister der Bevölkerung sein. Und wenn sie den Leuten durch Kahlschläge und eine nicht nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder einfach das Thermostat zehn Grad höher drehen und den Regen abstellen, dann wird das nicht mehr lange hingenommen werden.

Sie haben es als vielleicht einziger Förster der Welt geschafft, Popstar-Status zu erlangen. Aber weil Sie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen scharf kritisieren, kritisieren viele Försterinnen und Förster auch Sie. Genießen Sie dieser Außenseiterposition?

Nein, aber ich kann damit gut leben, auch weil ich in ein großes Netzwerk von Experten und Expertinnen aus Forstwirtschaft, Wissenschaft und Politik eingebettet bin. Mir geht es nicht ums Rechthaben. Mir geht es darum, dass wir ins Gespräch kommen und gemeinsam überlegen, was wir vom Wald wollen und was er für uns leisten kann.

Aber es gibt auch Gegenwind aus der Forschung. In Ihren Büchern schreiben Sie, dass Bäume im Wald untereinander unter anderem über ein Netz unterirdischer Pilzfäden, das "Wood Wide Web", kommunizieren. Kanadische Forscher haben diese These jetzt überprüft und können sie nur begrenzt bestätigen. Erzählen Sie Waldmärchen?

Nein. Die kanadischen Forscherinnen haben diese Forschungsergebnisse nicht widerlegt. Sie haben lediglich gesagt, dass es zu einem Prozent der Studien eine zu dünne Datengrundlage gibt, und dass man die vorhandenen Daten auch anders interpretieren kann. Über mehr Forschung und eine ergebnisoffene Diskussion zu neuen Erkenntnissen freue ich mich immer.

Außerdem werfen die kanadischen Forscher Ihnen vor, dass Sie Bäume zu sehr vermenschlichen würden.

Ich finde, es ist vollkommen in Ordnung, hochkomplexe und im Verborgenen stattfindende Prozesse mithilfe von Metaphern und Analogien so zu erklären, dass auch Menschen, die sich nicht wissenschaftlich mit dem Wald beschäftigen, sie verstehen und nachvollziehen können.

Als oberster Walderklärer tragen Sie dazu bei, dass auch immer mehr Leute in den Wald gehen. Bedeutet das denn nicht zusätzlichen Stress für das angeschlagene Ökosystem?

Den Wäldern macht es nichts aus, wenn Menschen durch sie spazieren. Aber es macht ihnen etwas aus, wenn alle 20 Meter eine bis zu fünf Meter breite Schneise für Holzerntemaschinen in den Wald geschlagen wird. Damit die Leute sich für den Schutz des Waldes engagieren können, müssen sie sich zunächst mit dem Wald identifizieren. Darum finde ich es sehr begrüßenswert, wenn sie in die Wälder gehen und sich dort stärker mit der Natur verbinden.

Die Prognosen zum Waldsterben in Ihrem neuen Buch "Waldwissen" sind wenig optimistisch. Gibt es noch Hoffnung?

Ja. Ich habe das Buch zusammen mit Professor Pierre Ibisch geschrieben, eben weil der Wald noch zu retten ist. Aber um zu wissen, wie es um ihn steht, muss man erst mal eine ehrliche und schonungslose Bestandsaufnahme machen. Ein wesentlicher Befund ist: Wenn wir weiterhin auf konventionelle Forstwirtschaft setzen, werden wir noch mehr Wald verlieren. Aber auch: Der Wald ist sehr wohl in der Lage, sich selbst zu regenerieren und an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen - wenn wir ihn nur lassen.

Es ist noch nicht zu spät?

Nein! Aber wir müssen jetzt reagieren. Je früher wir auf die Bremse treten, desto kürzer wird der Rückweg.