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Das Loch im Verständnis der Welt

Von Heiner Boberski und Eva Stanzl

Wissen
Anton Zeilinger: "Es gibt eine geistige Welt außerhalb der materiellen Existenz."
© IQOQI Wien/Godany

Quantenphysiker Zeilinger: "Brücke zum Bewusstsein ist eine völlig offene Frage."


"Wiener Zeitung": Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen, das "Einsteins Spuk" genannt wird, dass nämlich verschränkte subatomare Teilchen die gleiche physikalische Eigenschaft aufweisen, egal wie weit sie voneinander entfernt sind. Verändert man ein Teilchen, verändert sich auch das andere. Haben Sie bereits eine physikalische Erklärung dafür?Anton Zeilinger: Wenn man ein Teilchen misst, nimmt es bei der Messung eine Eigenschaft an, und das andere, beliebig weit weg, nimmt im selben Moment ebenfalls die entsprechende Eigenschaft an, obwohl zwischen den Teilchen keine Verbindung besteht. Man kann dafür keine Erklärung geben im Rahmen des üblichen Weltbildes. Das ist ein rein quantenphysikalisches Phänomen. Mathematisch kann man es hervorragend beschreiben, es ist kein Problem der Theorie. Das Problem ist das konzeptive Verständnis: Was erzählt uns das über die Welt?

Eine Entwicklungsrichtung besagt, wichtiger als die Konzepte Raum und Zeit sei das Konzept der Information, und Information ist offenbar unabhängig von Raum und Zeit. Das heißt, die Information liegt vor, dass die beiden Systeme gleich sein müssen, auch wenn sie vor der Beobachtung noch keine vordefinierten Eigenschaften besitzen und obwohl sie keine Verbindung haben.

Für mich deutet das in die Richtung, dass Information fundamentaler ist als alle anderen Konzepte. Schon das Johannes-Evangelium beginnt mit "Am Anfang war das Wort". Das kann ich auch mit Information übersetzen.

Und um welche Form der Information handelt es sich?

Information ist der Wahrheitswert einer logischen Aussage. Wenn die Aussage ist: Meine Schuhe sind schwarz, dann ist das entweder wahr oder falsch. Im Fall der Verschränkung ist der Wahrheitswert der Aussage: Diese beiden Teilchen tragen die gleichen Eigenschaften nach der Messung. Es ist keine Aussage darüber, ob die Teilchen vorher schon diese Eigenschaften haben.

Manche Quantenphysiker sind der Auffassung, dass sich diese "spukhafte Fernwirkung" nicht auf die subatomare Welt beschränkt. Ihnen zufolge gibt es einen universellen Quantencode, in den die gesamte Materie - lebend wie tot - eingebunden ist und der sich seit dem Urknall über den Kosmos erstreckt. Dem Gedanken folgend glauben sie an eine Existenz nach dem Tod.Halten Sie das für möglich?

Um die Quantenphysik zu verstehen, müssen wir ungewöhnlich denken, und ich bezweifle, ob diese Bahnen historisch schon beschritten wurden. Es gibt für die Quantenphysik keine Grenze ihrer Gültigkeit und es sollte irgendwann möglich sein, zu zeigen, dass auch große Systeme quantenphysikalische Phänomene aufweisen. Diesbezügliche Forschungsprojekte haben wir in Wien gestartet.

Davon getrennt zu sehen ist eine Interpretation, die die Quantenphysik zur Begründung für gewisse esoterische Positionen heranzieht. Das ist blanker Unsinn. Wer so etwas behauptet, versteht die Quantenphysik nicht, sondern folgt mentalen Spielereien von manchen Leuten. Was soll das heißen, es gibt einen Quantencode, der auch das Leben nach dem Tod beeinflusst? Es gibt auch "Quantenheiler" - maximal ein Placebo-Effekt. Aber mit Physik hat das überhaupt nichts zu tun.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Ich bin kein Atheist. Aber schon der Begriff "Leben nach dem Tod" hat eine zeitliche Dimension, die ich nicht für richtig halte. Ich glaube, dass es ein Leben außerhalb der materiellen Welt gibt. Es gibt eine geistige Welt außerhalb der materiellen Existenz. Aber mit Physik hat das nichts zu tun, sondern das ist nur meine persönliche Ansicht.

Sie wollen zeigen, dass auch große Systeme quantenphysikalische Phänomene zeigen könnten. Welche Systeme untersuchen Sie?

Das habe ich einmal gemacht. In den Experimenten, die meine Kollegen jetzt machen, sind es Riesen-Moleküle und mikro-mechanische Hebel, mykrometergroß. Für die quantenmechanische Skala ist das riesig. Auch diese Dinge sollten aber nach quantenmechanischen Prinzipien funktionieren. Letztlich geht es darum, zu zeigen, dass es keine Grenze gibt.

Was heißt das genau? Geht das auch im menschlichen Körper?

Ob die Quantenphysik in lebenden Systemen eine Rolle spielt, die über die Chemie hinausgeht, ist eine der interessantesten Fragen in den Naturwissenschaften überhaupt - auch für die Hirnforschung. Die meisten Menschen würden sagen, dass das Denkorgan in einer warmen Suppe schwimmt, wo die Dinge nicht von der Umgebung isoliert sind, der Quantenzustand daher sehr schnell zerstört werden würde. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen.

Was würde das für das Leben der Menschen bedeuten?

Es könnte sein, dass das Gehirn gewisse Möglichkeiten nutzt, um schneller zu einem Ergebnis zu kommen - ähnlich wie es bei Quantencomputern der Fall wäre. Ich frage mich aber, ob das Paradigma richtig ist. Das Paradigma zu jeder Zeit war, zu versuchen, Gehirn und Bewusstsein anhand der Leitwissenschaft in der Physik zu erklären. Im 19. Jahrhundert gab es mechanische Modelle des Gehirns mit Zahnrädern. Später waren es Vorstellungen mit elektrischen Relais, heute ist es die Quantenphysik.

Ich persönlich glaube, dass das Gehirn weitaus mehr ist als ein Computer. Ein Computer kann Großmeister im Schach schlagen - weil er, völlig vertrottelt, viele Möglichkeiten ausprobiert. Aber das ist eine bessere Art Nachschlagen in Tabellen. Das Aha-Erlebnis, das jeder Mensch hat, wenn er die Dinge, ohne sie im Detail zu analysieren, plötzlich erfasst und auf ein paar Züge voraus weiß, hat ein Computer nicht. Das heißt, es gibt etwas im Gehirn, das anders ist als das Nachschlagen. Das Paradigma, wonach das Gehirn eine deterministische Maschine ist, die so funktioniert wie ein Computer, ist unbegründet, weil wir keine Ahnung haben, was Bewusstsein ist. Wenn ich sage: Aha, jetzt sehe ich es klar, so ist es, ich kann aber nicht im Detail erklären, wie ich draufgekommen bin, liegt das nur an einer Maschine da oben in meinem Kopf? Ich glaube nicht.

Könnten Quantenphänomene im Gehirn erklären, warum zwei Menschen gleichzeitig scheinbar an das Gleiche denken können?

Das wäre zu vordergründig, zu aufgelegt. Das gefällt mir nicht. Gelegentlich denken natürlich zwei Menschen an das Gleiche, ich und meine Frau auch - wir kennen uns ja auch schon lange genug. Manche Menschen behaupten auch zu wissen, wie eine Situation in Zukunft sein könnte. Wenn man aber aufzeichnen würde, wie oft die beiden Menschen nicht an das Gleiche denken, bezweifle ich, ob an das Gleiche zu denken öfter auftreten würde als reiner Zufall. Ich glaube, die Quantenphysik ist philosophisch schwerer fassbar, als das ganze Esoterik-Camp sich das vorstellen kann.

Wie sollen wir uns das vorstellen?

Ich glaube, es fehlt irgendetwas Fundamentales im Verständnis der Menschen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir schon alle Physik haben, die uns erlauben würde, das Gehirn zu verstehen. Wir betreiben die Naturwissenschaften erst seit 400 Jahren. Zu glauben, dass wir die meisten Antworten schon gefunden haben, wäre sehr kurzsichtig.

Aber wo ist das Loch?

Das ist eben das Schwierige. Man sieht nicht, was fehlt, auch wenn man davor steht. Bewusstsein ist eine offene Frage. Jedem von uns ist es vollkommen klar, dass wir Bewusstsein haben. Und jedem von uns ist es klar, dass es Situationen gibt, wo ich plötzlich weiß, wie es läuft. Das ist ein Loch - diese Brücke zum Bewusstsein.

Sie sehen auch keinen fundamentalen Unterschied zwischen dem Gehirn eines Tieres und dem eines Menschen?

Ich glaube nicht, dass man so einen fundamentalen Unterschied konstruieren kann. Zwar sind unterschiedliche Leistungen da - etwa glaube ich nicht, dass Tiere abstraktes Denken haben. Ich glaube aber, dass Tiere Bewusstsein haben wie wir. Ich wüsste jedenfalls nicht, wozu man diesen Unterschied braucht. Das ist auch ein schönes Bild, denn dann sind wir heute nicht so isoliert.

Anton Zeilinger, geboren 1945 in Ried im Innkreis, ist international als Experimental- und Quantenphysiker bekannt. Seine Experimente zur Quantenteleportation trugen ihm den Spitznamen "Mr. Beam" ein. Er leitet das Institut für Quantenoptik der Akademie der Wissenschaften und ist Professor an der Universität Wien.