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Christbaum-Klone von der Stange

Von Walter Schmidt

Wissen

Berliner Forscher arbeiten an der Perfektionierung des Weihnachtsbaums.


Bonn. Man kennt den Ausruf zur Genüge: "Ihr habt aber einen schönen Weihnachtsbaum!" Gefolgt von der hingezischten Rüge an den eigenen Ehemann: "KarlHerbert, so einen hättest du uns auch besorgen müssen. Aber du wolltest ja wieder einmal sparen." Womit dann spätestens der Haussegen schief hängt, nicht selten noch vor dem Fest. Damit könnte bald Schluss sein. Denn einer Forschergruppe der Berliner Humboldt-Universität ist es gelungen, Christbäume genetisch identisch zu vermehren. Der ersehnte Weg zum deutschen Einheits-Tannenbaum wäre damit endlich frei.

Die Vorlieben der deutschen Bürger sind hinlänglich bekannt: Gerade und symmetrisch gewachsen muss der Zimmerbaum sein, fehlende Zweige sind tabu, und schon gar nicht darf die Spitze krumm oder gar doppelt sprießen. Erwünscht ist alle Jahre wieder der perfekte Baum zum auch ansonsten makellosen Fest. Fast 28 Millionen Weihnachtsbäume werden jedes Jahr gekauft, drei Viertel davon sind Nordmanntannen, benannt nach dem finnischen Biologen Alexander von Nordmann, der im 19. Jahrhundert lebte. Das Problem ist nur: Einer der Bäume ist hübscher als der andere - und keiner schön genug.

"Somatische Embryogenese"

Doch nun hat die Arbeitsgruppe "Botanik und Arboretum" der Humboldt-Universität einen Weg gefunden, Nadelbäume genetisch identisch zu vermehren, mithin zu klonen. Dank "somatischer Embryogenese", wie das Verfahren heißt, kann der ideale Weihnachtsbaum mit optimaler Merkmalskombination in beliebig großer Stückzahl aufwachsen. Damit wird das Weihnachtsfest noch friedlicher, als es ohnehin schon ist. Kein Streit mehr um Hutzelbäume, verglichen mit denen der schiefe Turm zu Pisa ein aufrechter Kerl ist - oder deren Zweige so buschig wachsen, dass kein Platz für Muttis Lieblingskugeln bleibt, von dem für Wunderkerzen einmal ganz abgesehen.

Die Berliner Forscher haben sich die "Totipotenz von Pflanzenzellen" zunutze gemacht. "Theoretisch bedeutet das, eine beliebige Zelle, beispielsweise aus dem Blatt oder der Wurzel, dazu zu veranlassen, wieder zu einer vollständigen Pflanze zu regenerieren", sagt der Pflanzenphysiologe Kurt Zoglauer, der die findige Arbeitsgruppe leitet. "Dieses Verfahren lässt sich bei vielen Pflanzen, wie Tabak, Kartoffel und einigen Laubbäumen einsetzen, aber ausgerechnet bei Weihnachtsbäumen geht das so einfach nicht."

Damit nichts schiefgeht

Meist kommt das Saatgut für die Nordmanntannen, mit denen europäische Weihnachtsbaum-Plantagen bestückt sind, aus Georgien, Abchasien und Russland. Dorther nämlich stammt der Lieblingsbaum nicht nur der Deutschen. Bis die Bäume verkauft werden können, vergehen einige Jahre, in denen buchstäblich möglichst nichts schiefgehen soll. Neben dem Gabentisch mögen die Deutschen nämlich keine krummen Sachen. "Da Tannen aber windbestäubt sind, haben die Nachkommen viele Väter, die nicht immer markttauglich sind", sagt Zoglauer.

Dem wollten die Berliner Forscher abhelfen. Dazu haben sie nicht die gewachsene Tanne selbst geklont, sondern Embryonen aus ihren Samen. Die Winzlinge werden durch einen Cocktail aus Nährstoffen und Pflanzenhormonen dazu angestiftet, unzählige Kopien ihrer selbst zu bilden. Aus diesen werden dann die Bäume herangezogen.

Da die meisten Menschen zwar gerne perfekte, aber letztlich keine völlig identischen Christbäume mögen, denken die Wissenschafter auch an verschiedene Geschmäcker. "Wir entwickeln Bäume mit einer Vielzahl an Merkmalen, die auf ihre Weise unterschiedlich schön sind", berichtet Zoglauer. "Grün sollen sie immer sein, aber die Farbnuancen der Nadeln reichen von hell bis dunkel mit Blauton."

Selbst an Singles wird gedacht. Bei ihnen seien oft "schlanke Bäume gefragt, die in kleine Wohnungen passen". Und nadeln sollen die Bäume möglichst nicht.

Und wenn man schon dabei ist, den Weihnachtsbaum von der Stange im Labor herzustellen, sollen auch die Christbaum-Förster nicht zu kurz kommen. Denn wer Weihnachtsbäume pflanzt, legt Wert darauf, dass diese gierigen Blattläusen möglichst wenig schmecken, sonniges und trockenes Wetter gut vertragen und erst spät im Mai austreiben. Dann nämlich können ihnen auch die bisher geschäftsschädigenden Eisheiligen nichts anhaben. Wer weiß: Vielleicht gibt es irgendwann sogar Bäume, an denen fix und fertig silbriges Lametta wächst - und rote Früchte, groß wie Christbaumkugeln.