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Meister Lampe in Gefahr

Von Roland Knauer

Wissen

Der Feldhase ist Tier des Jahres 2015 - es geht ihm weder besonders gut noch sehr schlecht.


Berlin. Während der Osterhase klammheimlich die Eier bringt, strotzt das Original in Feld und Flur vor Selbstbewusstsein: Schleicht sich ein Fuchs an, sprintet der Feldhase jedenfalls nicht, wie es die Zoologie-Lehrbücher verlangen, Haken schlagend davon, sondern richtet sich hoch auf und fixiert den anpirschenden roten Räuber. Meister Lampe will ja nicht als Verlierertyp dastehen. Außerdem bringen die Feldhasen - nicht zu verwechseln mit Kaninchen - dem Fuchs so gleich zwei Botschaften: "Ich habe dich doch längst gesehen. Und Angst habe ich keine vor dir, ich bin schließlich viel schneller als du."

Diese Demonstration der Stärke kommt an: Das rostrote Raubtier zieht ab und verlegt sich stattdessen auf die Mäusejagd. Eine Studie auf englischen Feldern zeigt dann auch glasklar: Allenfalls in zehn Prozent aller Fälle wird das sprichwörtliche Hasenpanier ergriffen, meist schleicht der Fuchs als Verlierer vom Platz. Von diesem Verhalten profitieren beide Kontrahenten: Der Hase spart sich die hohen Energiekosten einer Flucht, auf der er ein Tempo von 70 Kilometern pro Stunde erreichen kann. Der Fuchs verschwendet keine Energie für eine nicht sehr aussichtsreiche Verfolgungsjagd.

Schwankende Zahlen

Der Appetit des roten Räubers auf Hasenbraten kann also kaum der Grund dafür sein, dass der Feldhase als "gefährdet" auf der Roten Liste zu finden ist und die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild die von Zoologen Lepus europaeus genannte Art zum Tier des Jahres 2015 gekürt hat. "Herausragend geht es den Hasen also nicht, grottenschlecht aber auch nicht", umschreibt der Biologe Ulrich Voigt vom Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover die Situation der Langohren. So gingen die Hasenzahlen bereits seit den 1960er Jahren in Mitteleuropa kräftig zurück. Ungefähr zwischen 1997 und 2004 erholten sich die Bestände ein wenig, um seither wieder abzunehmen.

Die Gründe für diese Schwankungen sind nicht genau bekannt, doch Hasenforscher können den Täterkreis einschränken. Ulrich Voigt: "Ein Schlüsselfaktor ist offensichtlich, wie viele Junghasen überleben und erwachsen werden." Sind die Mümmelmänner erst einmal groß, scheinen sie recht sicher über die Felder zu hoppeln. Jedes Jahr zwischen Februar und August stellen sie ihre Fruchtbarkeit unter Beweis: Erst einmal treten die Rammler genannten Männchen gegeneinander zum Wettrennen an, bei dem sie ein Weibchen verfolgen. Der Sieger ist allerdings noch nicht am Ziel, zunächst einmal muss er noch mit den Vorderpfoten einen Boxkampf mit seiner Auserwählten ausfechten.

Nach der Paarung ziehen sich die Männchen völlig aus dem Familienleben zurück. Drei oder vier Mal im Jahr setzt die alleinerziehende Häsin jeweils zwei oder drei Häschen, die gerade einmal hundert Gramm auf die Waage bringen. Die ducken sich einzeln und allein unter der dichten Vegetation und warten gut getarnt auf Stippvisiten ihrer Mutter: "Die Häsin kommt in der Abenddämmerung ganze zwei Minuten bei ihrem Nachwuchs vorbei und versorgt ihn mit einer Art hochkonzentrierter Kondensmilch, die nicht nur mehr als zwanzig Prozent Fett, sondern auch sonst alles Lebenswichtige enthält", sagt Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur in Wien.

Den Rest des Tages und der Nacht sind die Häschen allein und relativ sicher. Da die Kleinen keinerlei Körpergeruch haben, kann der Fuchs sie kaum erschnuppern. Drei Wochen nach der Geburt aber reicht ihnen die Kraftnahrung in Form der Muttermilch anscheinend nicht mehr. Dann hoppeln sie aus ihrer Deckung, erkunden ihre Umgebung und ergänzen die Milch mit vegetarischen Leckereien. Bei diesen Streifzügen aber können nicht nur Füchse, sondern auch Greifvögel, Eulen, Marder und Katzen die Junghasen erwischen. Holen sie zu viele, könnten die alten rammeln, so viel sie wollen, die Mümmelmänner kämen trotzdem nicht aus dem roten Bereich des Artenschutzes heraus.

Wenn Räuber gegen erwachsene Hasen schlechte Karten haben und die ganz kleinen Häschen ebenfalls relativ sicher scheinen, sollte das Hauptproblem in der Zwischenzeit liegen. Dann werden die Häschen noch gesäugt, stehen aber zunehmend auf eigenen Pfoten. Je besser dann die Muttermilch ist, je mehr Fett und wertvolle ungesättigte Fettsäuren sie enthält, umso schneller wachsen die Jungen, umso kürzer wird die gefährliche Zeit. Die Qualität der Muttermilch hängt von der Nahrung ab, die eine Häsin mümmelt: Die für sie wertvollen Kräuter aber halten die Bauern mit Pestiziden kurz, weil sie mit den Nutzpflanzen konkurrieren und weniger Unkraut meist mit einer größeren Ernte einhergeht. Einzig am Ackerrand dürfen die Bauern nicht spritzen, dort wachsen noch fette Kräuter. Da aber die Felder immer größer werden, schrumpft der Anteil dieser Randstreifen, die leicht außerhalb der Reichweite der Hasen liegen. Dann wird die Milch wird dünner, die Jungen wachsen langsamer und landen häufiger im Magen eines Räubers.

Mähen und Monokulturen

Diese Wirkungskette trägt dazu bei, dass in Mitteleuropa die Hasenbestände sinken. Wahrscheinlich aber gibt es noch weitere Probleme. Eines davon könnte die Witterung sein. In trockenen Sommern überstehen viel mehr Junghasen ihre Jugendmonate als in nassen Jahren. Ein weiteres Problem entsteht durch das natürliche Verhalten der Junghasen. Bei Gefahr ducken sie sich einfach auf den Boden und verlassen sich darauf, dass der Fuchs sie nicht riecht. Gegen das Mähwerk eines Traktors aber hilft diese Taktik wenig. Eine Studie in England zeigt, dass dort viele Junghasen beim Mähen sterben.

Wenn Ulrich Voigt und seine Kollegen zählen, wie viele Hasen in einem bestimmten Gebiet leben, stechen ihnen oft riesige Unterschiede ins Auge. Ein genauer Blick auf diese Verteilung enthüllt dann, dass die Tiere anscheinend von einer möglichst großen Vielfalt auf kleiner Fläche profitieren. Das heißt: Große Monokulturen sind nicht gut für den Feldhasen. Genau in diese Richtung aber läuft die Entwicklung.