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Gelber Drache in der Leitung

Von Roland Knauer

Wissen
Diese Orangen in einem Hausgarten auf La Palma sind noch nicht infiziert.
© Roland Knauer

Das Huanglongbing-Bakterium gefährdet den Orangensaft-Nachschub.


Berlin. Zwischen den dunkelgrünen Blättern leuchten orange die Früchte aus der Zitrusplantage in der spanischen Region Valencia. Noch sehen sie gesund aus, noch scheint der heimtückische Feind nicht auf dem europäischen Festland gelandet zu sein, noch infiltriert der "Huanglongbing" oder auch "Gelber Drache" genannte Gegner die Orangen-Haine Spaniens nicht. Und noch stehen die Forscher des Agrarforschungsinstitutes in Valencia keinem Eindringling gegenüber, gegen den sie chancenlos wären.

Aufatmen können Eduardo Primo Millo von der Zitrusabteilung des Instituts und die Bauern aber noch lange nicht. Seit 2014 gilt die höchste Alarmstufe: Damals hatten Fahnder erstmals in Europa einen Komplizen des Gelben Drachen aufgespürt, der "Gnom" genannt wird. Völlig zu Recht, ist doch dieser 2015 im spanischen Galizien und in Portugal aufgetauchte Winzling gerade einmal drei bis vier Millimeter lang.

Heißhunger auf Zitrussäfte

Trioza erytreae nennen Biologen den Blattfloh, dessen Heißhunger auf Zitrussäfte die Gewächse schwächt. Richtig gefährlich wird es für eine Plantage aber nur, wenn Gnom und Gelber Drache gemeinsame Sache machen. Letzterer ist ein Bakterium, das in den Leitungsbahnen der Pflanzen lebt. Dadurch färben sich Blätter und Triebe gelb, die Orangen verkümmern und bleiben teilweise grün, nach wenigen Jahren stirbt die Pflanze.

Die Symptome dieser Krankheit wurden schon 1919 im Südchina beschrieben. Zunächst nicht weiter beachtet, hatte sie sich bis 1936 stark ausgebreitet und war zu einem Problem für Zitrusplantagen geworden. Von 1941 bis 1955 untersuchte Lin Kung Hsiang von der Agrar-Universität in Guangzhou in Südchina dieses Pflanzenleiden. Anscheinend beobachteten Bauern die typischen Symptome dieser Infektion in der Umgebung der heutigen Millionenstadt Chaozhou bereits um 1870. Da einzelne Triebe sich gelb färbten, sprachen die Menschen bald von Huang Long Bing (HLB) - Krankheit des Gelben Drachen.

Erst zehn Jahre, nachdem der Gelbe Drache in China als Infektionskrankheit entlarvt worden war, entdeckten südafrikanische Forscher 1965, dass auch die in ihrem Land "Greening" genannte Krankheit ansteckend ist. Zwei Jahre später berichteten Forscher auf den Philippinen, sie hätten den Überträger der Krankheit, die bereits seit 1921 in ihrem Land bekannt war, dingfest gemacht. Ein vier Millimeter langer Blattfloh namens Diaphorina citri verbreitet nicht nur dort, sondern auch in anderen Ländern Asiens wie etwa in Indien die Infektion.

Bald darauf verzeichneten auch die Südafrikaner einen Fahndungserfolg. Jedoch ertappten sie einen ganz anderen Blattfloh als Krankheitsüberträger - das Insekt Trioza erytreae.

Gefährlichste Krankheit

Experten halten HLB, für das es zwei Erreger gibt, inzwischen mit gutem Grund für die gefährlichste Pflanzenkrankheit, die Zitruspflanzen befällt: "Es gibt immer noch keine Möglichkeit, diese Krankheit effektiv zu bekämpfen und ihre Ausbreitung zu begrenzen", erklärt der Spezialist für Insekten und Pflanzenkrankheiten Cetin Sengonca von der Uni Bonn.

Seit verschiedene Forscher Details der Infektion aufgedeckt haben, wissen sie auch warum: Saugen die winzigen Flöhe nur eine halbe Stunde an den Blättern eines Orangenbaums, der mit HLB infiziert ist, nehmen sie bereits große Mengen des Bakteriums auf. Obendrein produzieren befallene Bäume den Aromastoff Salizylsäure-Methylesther, der wiederum Blattflöhe anlockt. Dadurch wächst das Risiko weiter, dass der Gnom den Erreger aufnimmt.

Einmal im Insekt, überlebt das Bakterium viele Tage und verändert das Verhalten des Flohs: Tragen diese den Erreger in sich, fliegen sie nicht nur schneller als Insekten ohne blinde Passagiere, sondern erreichen auch noch weiter entfernte Bäume. Saugen sie an einer gesunden Pflanze, übertragen sie den Erreger und verbreiten so die Krankheit schnell und über große Entfernungen.

Die Bakterien vermehren sich in den Leitungsbahnen der Pflanzen und verstopfen diese. Dadurch kann der in den Blättern hergestellte Zucker nicht mehr zu Trieben und Früchten transportiert werden. Die nicht ausreichend versorgten Triebe werden daher gelb. Auch den Früchten fehlt der Zucker-Nachschub, sie reifen nicht richtig, bleiben bitter und sind so auch nicht genießbar.

Bekämpfen lässt sich die Krankheit allenfalls mit riesigen Mengen von Insekten-Bekämpfungsmitteln, mit denen aber nicht nur die Blattflöhe abgetötet werden, sondern auch alle nützlichen Insekten. Obendrein ist diese Methode sehr teuer und verhindert allenfalls neue Infektionen. In den bereits angesteckten Bäumen vermehren sich die Bakterien in den Leitungsbahnen dagegen munter weiter. Zwar können diese Mikroorganismen theoretisch, weil sie gramnegative Bakterien, mit Antibiotika bekämpft werden. In der Praxis aber sind sie im Inneren der Pflanzen vor solchen Wirkstoffen hervorragend geschützt.

100 Millionen Bäume tot

Als einzige Maßnahme bleibt es, die ohnehin sterbenden Bäume zu vernichten, für viel Geld neue Plantagen anzulegen und zu hoffen, dass diese nicht so schnell infiziert werden. Doch die Krankheit breitet sich immer weiter aus. 2004 tauchte HLB in Brasilien auf, wo weltweit mit Abstand die meisten Orangen wachsen. Und das auch noch mit einer dritten, vorher unbekannten Form des Erregers Candidatus Liberibacter americanus. Ein Jahr später hatte es 2005 mit Florida auch die Nummer zwei des Orangen-Weltmarktes erwischt. 2012 wurde HLB auch in Texas nachgewiesen, zwei Monate später kam die gleiche Schreckensbotschaft aus Kalifornien.

Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass HLB inzwischen weit mehr als 100 Millionen Zitrusbäume vernichtet hat, allein für Florida wird mit Schäden in Höhe von mindestens neun Milliarden US-Dollar gerechnet.

Für Europa gilt derweil in puncto HLB die höchste Alarmstufe. Bisher ist der Erreger nicht entdeckt worden - noch nicht.