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Gefährliche Liebschaften

Von Kerstin Viering

Wissen
Was sich liebt, das neckt sich - bei Kraken manchmal mit tödlichen Konsequenzen.
© Richard Carey

Das Paarungsverhalten der Tintenfische ist deutlich komplexer, als Wissenschafter lange angenommen haben.


Berlin. Tintenfische gelten im Allgemeinen nicht als einfallsreiche Liebhaber. Während sich viele Vogelarten im Frühling in komplizierte Paarungsrituale verstricken und selbst Spinnen auf verschlungenen Wegen zur Sache kommen, scheint die Evolution diesen Weichtieren ein langweiliges Sex-Leben beschert zu haben. Doch der Schein trügt. Hinter den Kulissen spielt sich deutlich mehr ab, als Forscher bisher vermutet hatten - von der innigen Umarmung bis zum tödlichen Beziehungsdrama.

Das alles ist allerdings schwer zu beobachten. Denn selbst im Aquarium ist keineswegs jeder Oktopus bereit, sein Intim-Leben vor den Augen voyeuristischer Biologen auszubreiten. Offenbar sind sich die Tiere durchaus darüber im Klaren, wann sie beobachtet werden - und halten sich dann dezent zurück. "Das sind unglaubliche Heimlichtuer", sagt Roy Caldwell von der University of California in Berkeley. "Und wenn Du sie anschaust, schauen sie einfach zurück." Kein Wunder also, dass die Oktopus-Erotik der Wissenschaft so lange verborgen geblieben ist.

Wie die Paarung rein technisch funktioniert, war klar. Die Männchen nutzen dafür einen speziellen Arm, der im Alltag genauso funktioniert wie die sieben anderen. Doch wenn es zur Sache geht, schwillt das Gewebe an seinem Ende wie bei einem menschlichen Penis an. Dann kann sein Besitzer ihn in den Körper des Weibchens schieben, um es zu befruchten. Und das dauert: Mindestens ein Sperma-Paket zu übertragen, kann bei großen Arten mehr als eine halbe Stunde dauern.

Manche Kraken-Casanovas halten ihre Partnerin in ihren sieben freien Armen. Doch das scheint in Oktopus-Kreisen eine eher ungewöhnliche Stellung zu sein, die vor allem bei Arten mit kurzen Armen populär ist. Vielen anderen Männchen geht so viel Intimität deutlich zu weit. Vor allem, wenn sie kleiner und schwächer sind. Statt sich ihrer Partnerin in die Arme zu werfen, bleiben sie auf Distanz und strecken nur den Paarungsarm nach ihr aus. Und wenn sich das Weibchen in eine Felsspalte zurückgezogen hat, bleiben sie beim Sex manchmal sogar vor dem Eingang sitzen.

Weibchen als Kannibalinnen

Diese Vorsicht ist auch angebracht. Denn so manche Gespielin entpuppt sich nach dem Akt als Kannibalin, die ihren Partner verspeist. Da hält man doch lieber eine Armeslänge Abstand. Mindestens. Der Algen-Oktopus, der in Indonesien, und Australien lebt, kann seinen Paarungsarm sicherheitshalber sogar auf das Doppelte seiner normalen Länge ausstrecken. Und die Männchen der als "Argonauten" bekannten Papierboote gehen noch einen Schritt weiter: Sie trennen sich kurzerhand von ihrem Fortpflanzungsorgan, lassen es mitsamt der Spermienpakete im Körper des Weibchens zurück und machen sich aus dem Staub.

Doch selbst Abstandhalten rettet nicht jedes Leben. Christine Huffard vom Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien hat etwa das tragische Ende eines Großen Blauen Kraken vor der indonesischen Insel Fiabacet miterlebt. Eigentlich war für ihn zunächst alles gut gelaufen. Eine Viertelstunde lang hatte er sich mit einer Artgenossin gepaart, immer mit Sicherheitsabstand. Plötzlich aber rückte ihm das Weibchen auf die Pelle, packte ihn mit zwei Armen und zog ihn zu sich heran, schlang ihm einen Arm um den Körper und drückte mit aller Kraft zu. Kein Wasser konnte mehr in seinen Mantel strömen und seine Kiemen mit Sauerstoff versorgen. Vier Minuten später bewegte er sich nicht mehr, und das Weibchen schleppte sein Opfer in seine Höhle.

Für Christine Huffard war das eine überraschende Beobachtung. Denn einem Gegner gezielt den Sauerstoff abzuschnüren, galt bis dahin als Domäne von Würgeschlangen und Wirbeltieren. Zwar war durchaus bekannt, dass die wirbellosen Kraken in Konflikten miteinander ringen, sich an den Armen ziehen und schubsen. Ihren Partner kaltblütig beim Sex zu erwürgen, hatte ihnen aber bis dahin niemand zugetraut.

Das alles klingt, als hätten Tintenfische in ihrem Liebesleben ein kräftiges Romantik-Defizit: nichts als Brutalität und Misstrauen. Doch auch in Oktopus-Kreisen hat Sex verschiedene Facetten. Vor der Pazifikküste Panamas und Nicaraguas sind Roy Caldwell und seine Kollegen zum Beispiel auf eine ganz andere Geschichte gestoßen. Hauptdarsteller ist ein kleiner Krake, der keinen wissenschaftlichen Namen hat. In Anspielung auf seine kontrastreichen Streifen ist er jedoch als "Larger Pacific Striped Octopus" bekannt.

Seine Bühne sind vor allem Sand- und Schlammflächen an Flussmündungen. Dort lebt er in Gruppen mit bis zu 40 Nachbarn zusammen. Allein diese Toleranz für Artgenossen macht ihn zu etwas Besonderem. Doch das ist keineswegs sein einziger Spleen. Nach ausgiebigen Studien im Aquarium bescheinigen ihm Caldwell und seine Kollegen eine ganze Reihe von exzentrischen Gewohnheiten. Besonders die Beziehung zwischen den Geschlechtern hat die Forscher verblüfft. Da lebten Männchen und Weibchen tagelang gemeinsam in einer Höhle, teilten sogar Mahlzeiten - und kamen mitunter täglich zur Sache.

Kraken-Küsse

Letzteres ging zwar nicht immer ganz sanft über die Bühne: Da wurde schon einmal gerangelt, die Weibchen spritzten Wasser auf die Männchen oder schoben sie weg, und nach dem Akt hatte der erfolgreiche Verführer oft die Saugnapf-Abdrücke seiner Partnerin auf dem Körper. Würge-Versuche oder Kannibalismus haben diese Männchen offenbar jedoch nicht zu befürchten. Das ermöglicht ihnen eine ungewöhnlich intime Paarung: Schnabel an Schnabel und Saugnapf an Saugnapf - wie bei einem Kuss.

"Der nächste Schritt wird sein, die Tiere in freier Wildbahn zu beobachten", sagt Roy Caldwell. Nur dann könne man herausfinden, wie dieser Oktopus zu seinem ungewöhnlich erotischen Liebesleben gekommen ist. Der Forscher ist zudem sicher, dass auch andere Kraken Überraschungen auf Lager haben. "Es gibt viele Oktopus-Arten und die meisten davon hat nie jemand in der Natur gesehen", erklärt der Biologe. Vielleicht finden sich ja noch mehr einfallsreiche Liebhaber.