Doch selbst Abstandhalten rettet nicht jedes Leben. Christine Huffard vom Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien hat etwa das tragische Ende eines Großen Blauen Kraken vor der indonesischen Insel Fiabacet miterlebt. Eigentlich war für ihn zunächst alles gut gelaufen. Eine Viertelstunde lang hatte er sich mit einer Artgenossin gepaart, immer mit Sicherheitsabstand. Plötzlich aber rückte ihm das Weibchen auf die Pelle, packte ihn mit zwei Armen und zog ihn zu sich heran, schlang ihm einen Arm um den Körper und drückte mit aller Kraft zu. Kein Wasser konnte mehr in seinen Mantel strömen und seine Kiemen mit Sauerstoff versorgen. Vier Minuten später bewegte er sich nicht mehr, und das Weibchen schleppte sein Opfer in seine Höhle.

Für Christine Huffard war das eine überraschende Beobachtung. Denn einem Gegner gezielt den Sauerstoff abzuschnüren, galt bis dahin als Domäne von Würgeschlangen und Wirbeltieren. Zwar war durchaus bekannt, dass die wirbellosen Kraken in Konflikten miteinander ringen, sich an den Armen ziehen und schubsen. Ihren Partner kaltblütig beim Sex zu erwürgen, hatte ihnen aber bis dahin niemand zugetraut.

Das alles klingt, als hätten Tintenfische in ihrem Liebesleben ein kräftiges Romantik-Defizit: nichts als Brutalität und Misstrauen. Doch auch in Oktopus-Kreisen hat Sex verschiedene Facetten. Vor der Pazifikküste Panamas und Nicaraguas sind Roy Caldwell und seine Kollegen zum Beispiel auf eine ganz andere Geschichte gestoßen. Hauptdarsteller ist ein kleiner Krake, der keinen wissenschaftlichen Namen hat. In Anspielung auf seine kontrastreichen Streifen ist er jedoch als "Larger Pacific Striped Octopus" bekannt.

Seine Bühne sind vor allem Sand- und Schlammflächen an Flussmündungen. Dort lebt er in Gruppen mit bis zu 40 Nachbarn zusammen. Allein diese Toleranz für Artgenossen macht ihn zu etwas Besonderem. Doch das ist keineswegs sein einziger Spleen. Nach ausgiebigen Studien im Aquarium bescheinigen ihm Caldwell und seine Kollegen eine ganze Reihe von exzentrischen Gewohnheiten. Besonders die Beziehung zwischen den Geschlechtern hat die Forscher verblüfft. Da lebten Männchen und Weibchen tagelang gemeinsam in einer Höhle, teilten sogar Mahlzeiten - und kamen mitunter täglich zur Sache.

Kraken-Küsse


Letzteres ging zwar nicht immer ganz sanft über die Bühne: Da wurde schon einmal gerangelt, die Weibchen spritzten Wasser auf die Männchen oder schoben sie weg, und nach dem Akt hatte der erfolgreiche Verführer oft die Saugnapf-Abdrücke seiner Partnerin auf dem Körper. Würge-Versuche oder Kannibalismus haben diese Männchen offenbar jedoch nicht zu befürchten. Das ermöglicht ihnen eine ungewöhnlich intime Paarung: Schnabel an Schnabel und Saugnapf an Saugnapf - wie bei einem Kuss.

"Der nächste Schritt wird sein, die Tiere in freier Wildbahn zu beobachten", sagt Roy Caldwell. Nur dann könne man herausfinden, wie dieser Oktopus zu seinem ungewöhnlich erotischen Liebesleben gekommen ist. Der Forscher ist zudem sicher, dass auch andere Kraken Überraschungen auf Lager haben. "Es gibt viele Oktopus-Arten und die meisten davon hat nie jemand in der Natur gesehen", erklärt der Biologe. Vielleicht finden sich ja noch mehr einfallsreiche Liebhaber.