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"Resistente Keime vermehren sich alle 20 Minuten"

Von Eva Stanzl

Wissen
Throm: "Aufräumen mit Keimen können wir nicht."
© vfa

Siegfried Throm vom Deutschen Verband Forschender Arzneimittelhersteller über Lücken in der Antibiotika-Forschung der Pharmaindustrie.


Wien. Medikamente gegen schädliche Bakterien zählen zu den größten Errungenschaften der Medizin. Krankheiten wie Lungenentzündung, Scharlach oder Syphilis haben erst durch sie ihren Schrecken verloren. Neue Antibiotika gegen Problemkeime werden dringend gebraucht, doch viele Pharmafirmen sehen die Antibiotika-Forschung als Verlustgeschäft. Ihre Herstellung ist aufwendig und kostenintensiv und die Keime ändern sich ständig, erklärt Siegfried Throm, Geschäftsführer für Forschung und Innovation beim Deutschen Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VfA).

"Wiener Zeitung": Viele Pharma-Firmen haben ihre Antibiotika-Forschung eingestellt, weil sie sich zu wenig davon versprechen. Richtig?Siegfried Throm: Es dauert mindestens zehn Jahre und kostet einige 100 Millionen Euro, um Medikamente gegen schädliche Bakterien auf den Markt zu bringen, und die Keime verändern sich laufend. Wir sind der Ansicht, dass man mehr tun müsste, um der Antibiotika-Resistenzen Herr werden zu können. Derzeit forschen 40 kleine Firmen in diesem Feld und von den zehn größten sind es immerhin noch fünf.

Woran wird geforscht?

Eine Strategie ist, neue Angriffspunkte bei Keimen zu suchen. Denn die Zellwände, das Innere oder die Eiweißproduktion von Bakterien sind ausgeschöpft. Wir haben über 20 Penicilline und Cephalosporine, an denen es nicht mehr viel zu forschen gibt. Als erfolgsversprechend gilt es, die Resistenzen zu durchbrechen, indem man bestimmte Moleküle mit bekannten Antibiotika kombiniert: Damit lässt sich die Infektion dort behandeln, wo das vorhandene Antibiotikum alleine nicht mehr hilft. In diese Richtung wird geforscht, um die Lücke bei der Entdeckung neuer Antibiotika zu überbrücken.



Welche Lücke gibt es?

Die Bakterien geben wenige neue Ansatzpunkte her. Es gab eine große Euphorie, als das menschliche Genom entziffert wurde, wodurch sich auch das Erbgut von Bakterien billiger sequenzieren ließ. Man erhoffte sich tausende neue Ansatzpunkte - aber es gibt sie nicht. Das war auch der Grund, warum einige Firmen nach Jahren des vergeblichen Forschens aus der Antibiotika-Forschung ausgeschieden sind.

Wie darf man das verstehen?

Man muss eine Schwachstelle im Bakterium finden, die man mit einem Molekül angreifen kann. Und der Wirkstoff muss so beschaffen sein, dass er dem Menschen nicht schadet. Derzeit gibt es viele Substanzen, die im Reagenzglas wunderbar funktionieren, aber für den Menschen toxisch sind. Denn das Molekül muss tausende Hürden überwinden, um zum Bakterium zu gelangen und es dort anzugreifen. Am schwierigsten sind gram-negative Bakterien wie die Top-3 der WHO-Liste: Das sind die absoluten Problem-Kandidaten.

Womit bekämpfen Sie Problem-Kandidaten heute?

Wir haben über 80 Antibiotika im Markt, mit denen wir bis zu 95 Prozent aller Infektionen heilen können. Das Problem sind die restlichen fünf Prozent sowie die Tatsache, dass sie mehr werden: Die Menschen werden älter und mobiler, immer mehr resistente Bakterien erreichen Europa.

Wie ist das Problem zu lösen?

Das Ziel ist, Moleküle zu finden, die einen neuen Eintrittspunkt bei schädlichen Bakterien erschließen. Eine Möglichkeit ist, ihre Kommunikation zu stören. Eine zweite, die krankmachenden Giftstoffe der Keime zu eliminieren, eine dritte neue Impfstoffe.

Wann will die Pharmaindustrie mit resistenten Keimen aufräumen?

Aufräumen können wir nicht. Die Bakterien waren lange vor uns da und vermehren sich und ändern ihr Erbgut alle 20 Minuten. Uns bleibt nur, ihnen eine Nasenlänge voraus zu sein.