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Das himmlische Auge

Von Eva Stanzl

Wissen

Spatenstich: Das Extremely Large Telescope soll Exoplaneten finden und alle Anfänge ergründen.


"Götter eignen sich nicht mehr, die Entstehung von Welten zu schildern", schreibt Raoul Schrott in seinem neuen Buch, "Erste Erde", in dem er Wissen vom Urknall bis hin zum Menschen prosaisch vermittelt. Anders als vor Jahrhunderten erzählen heute weder Mythen noch Sagen noch Religionen die Geschichte der Welt, sondern die Wissenschaften. Oder wie es der US-Physiker Richard Feynmann formuliert: "Es zeigt sich, dass die Fantasie der Natur weit, weit größer als die Fantasie des Menschen ist."

Um der fantastischen Natur auf die Spur zu kommen, vollbringt der Mensch technische Höchstleistungen. Er errichtet Forschungsstationen im Ewigen Eis, unternimmt Wüsten-Expeditionen mit Forschungsequipment, sammelt die Pflanzen des Regenwalds, sucht nach Leben auf dem Meeresgrund und drillt Bohrkerne in prähistorisches Sediment. Und er beobachtet den Nachthimmel mit riesigen Teleskopen, um Leben im All zu erspähen.

Jüngster Superlativ himmlischer Augen ist das European Extremely Large Telescope, dessen Name - sperrigerweise - mit E-ELT abgekürzt wird. Am Freitag will Chiles Staatschefin Michelle Bachelet den Grundstein für den Bau dieses bisher größten optischen Teleskops legen. Schauplatz ist die staubtrockene Atacama-Wüste im Norden Chiles, deren schwefelgeschwängerte kalte Luft auf 4000 Metern über dem Meer so dünn ist, dass jeder Schritt anstrengt. Hier, an einem der lebensfeindlichsten Orte der Welt, sollen in wenigen Tagen die Bautrupps starten, nachdem die Sprengmeister die Spitze des Armazones-Bergs bereits platt gemacht haben. Ab 2024 soll das Teleskop das erste Sternenlicht einfangen.

Klarheit über Leben im All

Einerseits sammelt das E-ELT sichtbares Licht. Planeten, die um andere Sterne kreisen, werden gemessen, wenn sie das Licht ihres Gestirns verdunkeln, wenn sie an ihm vorbeiziehen. Bisher wurden mit dieser Methode 3452 Exoplaneten bestätigt, darunter 352 Erdähnliche in bewohnbaren Zonen mit Temperaturen, die flüssiges Wasser erlauben. Die ESO-Teleskope waren maßgeblich an der Entdeckung von sieben Exoplaneten um den 40 Lichtjahre entfernten Zwergstern Trappist-1 und die Planenten um unseren Nachbarstern Proxima Centauri beteiligt. Auf ihnen könnte theoretisch Leben existieren. Wie am Montag bestätigt wurde, sind die Planeten um Trappist-1 wie in einer Kette aufgereiht und interagieren miteinander. Allerdings hat es auf dem wahrscheinlichsten Kandidaten namens 1h minus 100 Grad.

Der ebenfalls von der ESO entdeckte erdähnliche Himmelskörper Proxima b ist mit 4,2 Lichtjahren Entfernung der erdnächste erwiesene Exoplanet. Bekannt ist, dass er 1,27 Erdmassen und eine Umlaufzeit von 11,2 Tagen hat und bewohnbar sein könnte. Britische Forscher der Universität Exeter haben berechnet, dass durchaus Chancen auf stabile, lebensfreundliche Bedingungen bestehen. Eindeutige Schlüsse können jedoch nur neue teleskopische Beobachtungen liefern.

Der Nachweis eines Planeten, auf dem sich Leben bilden könnte, ist der Heilige Gral der beobachtenden Astronomie. "Das Extremely Large Telescope wird sich einigen der größten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Dazu gehört der erste Nachweis eines erdähnlichen Planeten in der bewohnbaren Zone eines Sterns", informiert die Europäischen Südsternwarte ESO auf ihrer Homepage. Nach Ansicht von ESO-Chef Tim de Zeeuw könnte es schon in zehn Jahren Klarheit darüber geben, ob es auf den Exoplaneten um Trappist-1 oder auf Proxima-b außerirdisches Leben gibt. "Ich sage nicht, dass es aussehen muss wie bei uns", erläutert de Zeeuw: "Wenn man sich die Geschichte der Erde ansieht, gab es während der längsten Zeit nur einzelliges Leben."

Weiters soll das Super-Teleskop "stellare Archäologie" in unseren Nachbargalaxien betreiben: Seine Instrumente sollen bis zur Geburtsstunde des Universums zurückblicken. Denn neben sichtbarem Licht fängt E-ELT auch infrarote Wellen aus dem All ein. Die frühesten Galaxien im Kosmos, die einige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sind, strahlen im für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarotbereich. "Uns interessiert, wie die ersten Sterne entstehen konnten, warum sie sich gleich zu Hunderttausenden und mehr zu Galaxien gruppierten, wie die chemische Zusammensetzung dieser Sterne aussieht und warum sich diese ersten Strukturen zu immer größeren Galaxien formierten", sagt der Astrophysiker Bodo Ziegler von der Universität Wien, die mit drei Instrumenten an dem Projekt beteiligt ist.

Mit den Eigenschaften der Dunklen Materie und der Dunklen Energie sollen weitere grundlegende Beiträge zur Kosmologie erforscht werden. Auch Planeten ohne Sonnensysteme nimmt das Teleskop unter die Lupe. Darüber hinaus machen sich die Astronomen auf Überraschungen gefasst. "Ganz sicher" werden sich aus den Entdeckungen neue Fragen ergeben, die unsere Wahrnehmung des Universums auf ähnliche Weise verändern könnten wie Galileo Galileis Nachweis der Erdrotation, erklärt der niederländische Astronom in einem Interview mit der Austria Presse Agentur: "Der Sprung von den gegenwärtigen Teleskopen zum E-ELT ist etwa so groß wie der Sprung von Galileos Auge zu seinem Teleskop."

Das E-ELT-Projekt entstand Ende der 1990er-Jahre, als man sich in der Europäischen Südsternwarte fragte, ob es möglich sei, ein 100-Meter Teleskop zu bauen. Da eine solche Apparatur drei bis vier Milliarden Euro gekostet hätte, einigte man sich auf die 39 Meter Durchmesser, 800 Einzelteile und eine Fläche von 978 Quadratmetern. Zur Finanzierung konnte de Zeeuw bei Politikern 1,1 Milliarden Euro einwerben. Der Vertrag mit dem Bau-Konsortium hat ein Volumen von 400 Millionen Euro.

Und sie bewegt sich doch

Das Extremely Large Telescope ist nicht das einzige optische Hightech-Instrument zur Erkundung des Himmels. In den USA gibt es zwei Initiativen zum Bau eines Riesenteleskops. Eine ist ein 30-Meter-Instrument des California Institute of Technology, für das die Insel Hawaii als Standort ausgewählt wurde. Das zweite Projekt ist das Magellan-Riesenteleskop der Carnegie Institution for Science, das mit seinem Spiegel von 24,5 Metern Durchmesser ebenfalls in Nordchile gebaut werden soll. Die ESO, die von 15 europäischen Staaten und Brasilien gegründet wurde, verfügt bereits über drei Beobachtungsstandorte in der Atacama-Wüste. Unter anderem betreibt sie hier das Very Large Telescope, derzeit das leistungsfähigste Observatorium im Bereich des sichtbaren Lichts.

De Zeeuw ist der Ansicht, dass es für die Forschung nützlich ist, mehrere Riesen-Teleskope gleichzeitig zu betreiben. "Man arbeitet schneller und besser, wenn man mit jemandem konkurrieren muss. Schließlich wolle man irgendwann eine neue Erkenntnis gewinnen, die so gewichtig ist wie die Erdrotation mit Galileis Aussage "und sie bewegt sich doch".

Dazu muss auf allen Ebenen geforscht werden. Lichtwellen enthalten nur einen Bruchteil der kosmischen Geheimnisse. Wissenschafter haben jüngst etwa einen merkwürdigen kalten Fleck auf der Karte der kosmischen Hintergrundstrahlung entdeckt, der auf eine riesige Region im Universum hindeutet, die schienbar keine Materie enthält. Sie bezeichnen den 1,8 Milliarden Lichtjahre entfernten Ort als "kosmische Leere". Ob der Natur die Fantasie ausgegangen ist?