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Die Evolution der Schönheit

Von Eva Stanzl

Wissen

Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard erforscht die Entstehung attraktiver Farbmuster an Zebrafischen. Daraus lässt sich auch einiges über Aussehen und Schönheitsempfinden von Menschen ableiten.


Warum sind manche Tiere besonders attraktiv? Die Biologin Christiane Nüsslein-Vollhard erforscht an bestimmten Fischen aus der Familie der Karpfen, wie äußere Merkmale entstehen. Daraus gewinnt auch sie Erkenntnisse über die weitreichenden Funktionen von Schönheit, erläutert die Nobelpreisträgerin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": Sexuelle Attraktion und Fortpflanzung sind da nur der Anfang. Auf Einladung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des IST Austria referiert Nüsslein-Vollhard heute, Dienstag, um 18.30 Uhr im Festsaal der ÖAW in Wien.

"Wiener Zeitung": Wie kommen Zebrafische zu ihren hübschen Streifen - und warum ist das wichtig?Christiane Nüsslein-Volhard: Es gibt viele Tiere, die sehr schöne Muster und Farben haben. Diese Muster und Farben haben eine große Bedeutung im Leben der Tiere und man weiß erstaunlich wenig darüber, wie sie entstehen. Natürlich könnte man genau so gut fragen, wie sich die Streifen von Tigern bilden. Zebrafische lassen sich jedoch im Labor gut untersuchen, molekularbiologisch kommt man da ganz schön weit.

Was haben Sie herausgefunden?

Die Vorläufer von Pigmentzellen entstehen in der frühen Embryonalentwicklung aus der Neuralleiste: Das ist eine embryonale Anlage bei Wirbeltieren, die zu vielen Strukturen beiträgt - Kopf und Knochen, Nervenzellen und eben Pigmentzellen. Die ersten Zellen, die in der Neuralleiste entstehen, sind Stammzellen, die an den Nervenknoten sitzen. Ausgehend von ihnen wandern Pigment-Zellen entlang der Nervenfasern in die Haut, wo sie sich auf mysteriöse Weise zu Streifen anordnen. Dabei spielt die Wechselwirkung zwischen schwarzen, gelben und silbernen Zelltypen eine große Rolle. Wie genau diese Muster sich bilden, ist der Gegenstand unserer Forschungsarbeit.

Schönheit entsteht in Stammzellen?

Die Zellen, die diese Schönheit machen, stammen aus den Stammzellen. Interessant ist, dass sie in die Peripherie wandern und dass die Wechselwirkung, in der sie sich zu regelmäßigen Streifen anordnen, erst in der Haut eintritt. Wir wollen die Gene und Proteine finden, die es den Zellen ermöglichen, die nötigen Informationen auszutauschen.

Wozu sind die Streifen gut?

Zebrafische sind eine Art in der Gattung der Bärblinge, die zu den Karpfen zählen. Bärblinge paaren sich nur mit derselben Art. Wenn eine Paarung funktionieren soll, müssen Tiere einer Art einander am charakteristischen Streifenmuster erkennen: Auf die eigenen Steifen sprechen sie an. Nahe verwandte Arten sind hingegen anders gemustert. Auch das wird erkannt und ist sehr wichtig, denn unter Tieren dienen Muster, Streifen oder Punkte der sozialen Verständigung.

Ein attraktives Äußeres dient also nicht nur der Paarung?

Neben der Paarung und der Arterkennung kann es auch eine positive Wahrnehmung auslösen. Viele Muster, die anziehend auf das andere Geschlecht wirken, dienen außerdem unter Männchen der Abschreckung bei Revierkämpfen. Zudem gibt es Warnfärbungen, etwa jene der Wespen mit ihren schwarz-gelben Hinterleiben. Dieses Muster funktioniert so gut, dass Insekten ohne Stachel es imitieren, um sich zu tarnen und nicht gefressen zu werden.

Haben Tiere ein Schönheitsempfinden?

Es ist möglich, dass Mütter ihre Jungen schön finden im Sinne eines positiven Empfindens über die Kenntnis der eigenen Brut. Ansonsten ist es wie bei den Zebrafischen: Einem Pfau gefällt ein anderer Pfau, aber kein Huhn, weil das Huhn ja auf den Federschmuck des Hahns abfährt. Der Mensch hingegen findet alles Mögliche schön. Nur ihm gefallen Sonnenuntergänge oder Landschaften, und er hat auch Kunst und Kultur erfunden.

Der Mensch findet auch Vertreter anderer Ethnien attraktiv. Ist die Entstehung von Ethnien mehr als die Anpassung an die Klimabedingungen in unterschiedlichen Teilen der Erde?

Ethnien haben sich auch deswegen entwickelt, weil unterschiedliche Bevölkerungsgruppen verschiedene Ideale von Schönheit hatten. Überspitzt könnte man sagen, jeder fand attraktiv, was er wohl am öftesten sah - Schwarze mochten Schwarze, Weiße Weiße oder Chinesen Chinesen. Bestimmte Merkmale, Formen und Farben wurden immer dominanter, weil sie von anderen gesehen und geschätzt wurden und die entsprechenden sexuellen Verbindungen ihren Ausdruck in den Genen fanden. Hinzu kommt, dass alles Fremde zunächst einmal beängstigend ist - diese Tatsache ist ja immer wieder auch Auslöser von Kriegen. Einander quer durch die Ethnien schön zu finden, wie wir es heute tun, ist kein biologischer, sondern ein kultureller Schritt: Man kann es lernen.

Warum haben wir die Höhlenmalerei und somit die Kunst erfunden, machen Musik oder bauen schöne Häuser, um in ihnen zu leben?

Das ist sehr interessant, denn bei Tieren gibt es das nur in Ansätzen. Schöne Nester zu bauen, um Partner anzulocken, sind in etwa die einzigen "Kunstwerke", die Tiere schaffen. Ansonsten sind Tiere zwar von Natur her schön, aber sie schmücken sich nicht. Der Mensch hingegen behängt sich,
coiffiert sich und malt sich an. Etwas armselig ausgestattet in der Farbgebung, steckt er sich Vogelfedern ins Haar, bemalt sich Gesicht und Mund, hüllt sich in kostbare Roben und schafft sich durch diese Kultur Schönheitsideale. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Kultur des sich Schmückens den Menschen zur Kunst geführt hat. In jedem Fall geht es darum, andere auf sich aufmerksam zu machen, und das tun Menschen in besonderem Maße. Unter Tieren ist es weniger verbreitet - Tiere schauen sich weniger von einander ab. Menschen hingegen machen einander intensiv nach. Diese gemeinsame Aufmerksamkeit bei gemeinsamen Tätigkeiten hat sie auch stark ausgemacht, als sie sich von den Affen verabschiedeten.

Kreativität kann ein gemeinsamer Akt sein, der Schönes hervorbringen kann. Welche soziale Funktion hat die Schönheit für uns Menschen?

Die Aufmerksamkeit anderer zu erregen, hat etwas mit Gemeinsamkeit in geschlechtlichem und in gesellschaftlichem Sinn zu tun. Frauen schmücken sich nicht nur für Männer, sondern auch für sich selbst und die Gesellschaft. Moden und Trachten entstanden als Symbole der Zugehörigkeit zu Gemeinschaften und all diese Phänomene kann man auch darauf zurückführen, dass man einander ansieht, aufmerksam aufeinander wird und gemeinsam etwas macht. Ganz anders als der Werkzeuggebrauch, die Nutzung des Feuers oder die Entwicklung von Sprache wird das sich Schmücken allerdings unter Anthropologen selten thematisiert - obwohl Schmücken den Menschen genau so auszeichnet und ganz stark mit unseren sozialen Vorgängen zu tun hat.

Zurück zur Biologie: Kommen Menschen auf ähnliche Weise zu ihrem Aussehen wie Zebrafische?

Auch der Mensch hat charakteristische sexuelle Formen - etwa entsprechen Taille oder Busen den Farben Rot und Gelb bei Tieren. Für Knochen- und Körperbau sind jedoch andere Strukturen gefragt, die vererbt festgelegt und hormonell beeinflusst sind. Nur Haut- und Haarpigmente kommen aus der Neuralleiste und die Pigmentzellen sind wahrscheinlich auch in den segmentalen Stammzellen vorhanden, bevor sie ins Haar und zur Haut wandern. In jedem Haarfollikel gibt es Stammzellen, die schwarze, braune, rote oder blonde Farbstoffe abgeben. Wenn sie absterben und keine farbigen Zellen mehr bilden, wachsen graue Haare. Der Mensch ist allerdings relativ uninteressant, weil er nicht so spannend gemustert ist wie Fische, Tiger, Katzen oder Vögel. Wie die Muster mit ihren wunderbaren Effekten in die Vogelfedern kommen, ist dagegen höchst rätselhaft.

Zur Person

Christiane

Nüsslein-

Volhard

geboren 1942 in Magdeburg, erhielt für ihre Forschungen zur genetischen Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung 1995 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Biologin war Direktorin der Abteilung Genetik des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen und erforscht nun, wie Zebrafische zu ihren charakteristischen Streifen kommen.