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Gefiederte Strategen

Von Eva Stanzl

Wissen
Raben besitzen soziale Fähigkeiten und Denkvermögen.
© Fotolia/Mint Images

Nicht nur Menschen und Primaten, sondern auch Raben machen Pläne.


Wien/Lund. Raben haben üblicherweise nicht die beste Reputation. Nach dem Aberglauben bringen sie Unheil und im Volksglauben verderben sie die Ernte. Noch heute spricht man von Rabeneltern, und das Maximum an Dunkelheit ist kohlrabenschwarz. Dabei heißen sie gar nicht Kohlraben, sondern Kolkraben, und sind wesentlich besser als ihr Ruf. Diese, wie alle Vögel, letzten Nachfahren der Dinosaurier zählen nämlich zu den intelligentesten Tieren auf unserem Planeten. Wie die Wissenschaft bestätigt, haben Raben ein Denkvermögen und soziale Fähigkeiten, die den menschlichen sehr ähnlich sind. Denn nicht nur wir, sondern auch sie können in weiser Voraussicht planen, berichtet ein schwedisches Forscherteam im Fachjournal "Science".

Die dritte Art im Denkerklub

Zuvor war die Fähigkeit zur strategischen Planung nahezu ausschließlich an Menschen und Primaten beobachtet worden. Can Kabadayi und Matthias Osvath von der Universität Lund in Südschweden haben eine dritte Art im Denkerklub gefunden: Auch die Raben sind Strategen. Sie legen sich Pläne für unterschiedliche Szenarien zurecht und verzichten auf sofortige Belohnungen, wenn sie meinen, dass sie mit Geschick und Zeit noch etwas mehr herausholen können.

Frühere Studien hatten gezeigt, dass die Rabenvögel in der Lage sind, bei der Futtersuche über den Moment hinaus zu denken. Nun erhielten sie komplexere Aufgaben. Denn die Forscher lehrten sie, das richtige Werkzeug zum richtigen Zeitpunkt korrekt einzusetzen und zum günstigsten Moment einen Handel einzugehen. Somit kontrollierten sie den Wert der Dinge, die zur Auswahl standen, im Verhältnis zu den gegenwärtigen und künftigen Handlungsoptionen. Can Kabadayi und seine Kollegen brachten fünf Raben bei, mit einem Werkzeug ein Kästchen zu öffnen, um eine Belohnung herauszuholen. Nachdem die Vögel dies gelernt hatten, präsentierte man ihnen plötzlich nur das Kästchen ohne Werkzeug. Dann wurde die Box entfernt und wieder eine Stunde später bekamen die Tiere allerlei Werkzeuge vorgesetzt, von denen aber nur eines das richtige war. Fast jeder Rabe wählte das richtige Werkzeug aus. Als dann 15 Minuten später die Box wieder erschien, griffen die Tiere zum Werkzeug und bekamen das Kistchen in 86 Prozent der Versuche auch auf. Als nächstes bekamen die Raben wieder mehrere Werkzeuge, von denen nur eines das richtige war, plus ein Leckerli vor den Schnabel gelegt. Allerdings durften sie in diesem Durchgang nur einen einzigen Gegenstand auswählen. Das Leckerli vor dem Schnabel fanden die Vögel weniger attraktiv als die Belohnung in der Schachtel, daher wählten die meisten Tiere sofort das richtige Werkzeug aus. "Das Verhalten zeigt einen Grad an Selbstbeherrschung, wie ihn sonst nur Affen an den Tag legen" schreiben die Forscher: "Eine gut entwickelte Selbstbeherrschung ist essenziell für Planung, weil uns Impulsivität in der Unmittelbarkeit des Moments gefangen hält."

In einem anderen Experiment, bei dem es darum ging, einen Spielstein für ein Leckerli zu tauschen, planten die Raben den Tauschhandel manchmal sogar noch etwas präziser als Affen es üblicherweise tun. Zudem benutzten sie Werkzeuge fast ebenso geschickt, obwohl ihnen die anatomischen Voraussetzungen dafür fehlen. "Die Ergebnisse zeigen, dass die Rabenvögel sich für jene Optionen entscheiden, denen sie aus Erfahrung die größten Chancen auf Erfolg einräumen", kommentiert Markus Boeckle von der britischen Universität Cambridge die Ergebnisse.

Ähnliche Hirnstrukturen

Diese überraschen auch deswegen, weil der letzte gemeinsame Vorfahr der Raben und Primaten vor 300 Millionen Jahren gelebt hat. Die Forscher gehen daher davon aus, dass die kognitive Fähigkeit, die die beiden Arten teilen, in der Evolution mindestens zwei Mal entstanden ist. "Was sich bei Primaten entwickelt hat, könnte in einem separaten Evolutionspfad auch bei den Vögeln aufgetaucht sein", fassen sie zusammen.

Warum aber kam es zu der konvergenten Evolution? Markus Boeckle und seine Kollegen verweisen auf ähnliche Strukturen im Vorderhirn, die bei Sägetieren und Vögeln für komplexe Kognition zuständig sind. Zur Evolution der Intelligenz nennen sie zwei Hypothesen: Einerseits sei sie in Anpassung an die Umwelt entstanden, etwa damit sich Tiere daran erinnern können, wo und wann wie viel Nahrung zu finden ist und wie man an sie herankommt. Die zweite These, genannt soziale Intelligenz-Hypothese, beruht darauf, das Verhalten anderer Individuen zu deuten und wenn nötig zu manipulieren. "Rabenvögel sind gute Strategen, die beiden Formen des Selektionsdrucks zusammenspielten", stellt Boeckle zur Diskussion.