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Die Schattenseiten des Lichts

Von Kerstin Viering

Wissen

Experten warnen vor Insektensterben. Doch nicht nur Pestizide, sondern auch Straßenlaternen stellen die Tiere vor große Probleme.


Berlin. Es sind nicht nur die sprichwörtlichen Motten, die in warmen Sommernächten um die Laternen schwirren. Auch zahllose andere Insekten scheinen von Licht geradezu magisch angezogen. Und da es immer mehr künstliche Beleuchtung gibt, sind sie dieser Versuchung immer häufiger ausgesetzt. Welche Folgen hat das für die Tiere?

"Insekten sind in fast allen Lebensräumen zu finden und erfüllen dort wichtige Funktionen", sagt Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. "Wir müssen uns dringend mit dieser Frage beschäftigen." Erste spannende Antworten haben Wissenschafter wie er bereits gefunden. Klar ist, dass Lampen für etliche Sechsbeiner zur Todesfalle werden. "Viele flattern so lange um das Licht herum, bis sie vor Erschöpfung sterben", erklärt Hölker. Andere landen in feindlichen Mägen. Die bekommen nämlich schnell heraus, wo sich mit wenig Aufwand Beute findet. "Für etliche Spinnen- und Fledermaus-Arten sind Laternen wie reich gedeckte Buffets", sagt der Forscher.

Die nächtlichen Jäger profitieren davon, dass Lampen wie Staubsauger Beutetiere aus der Umgebung anziehen. Auch die Abwehrstrategien der potenziellen Opfer scheinen im Kunstlicht nicht so gut zu funktionieren wie normalerweise. Das zeigt ein Versuch britischer Forscher um Andrew Wakefield von der Universität Bristol, die Nachtfaltern die Peil-Laute von jagenden Fledermäusen vorgespielt haben. In einer LED-beleuchteten Umgebung vollführten die Insekten daraufhin viel weniger Sturzflüge als im Dunkeln. Dabei haben sie diese Manöver über Jahrmillionen entwickelt, um den nächtlichen Jägern auszuweichen. Offenbar bringt das Kunstlicht sie dazu, die bewährte Strategie aufzugeben - mit fatalen Folgen.

Das deutsche Umweltministerium warnt vor einem Aussterben von Insektenarten. Teilweise habe sich der Bestand seit 1982 um 80 Prozent verringert. Doch nicht nur der Einsatz von landwirtschaftlichen Pestiziden, sondern auch hell erleuchtete Städte tragen dazu bei. 40 bis 100 Mal so viele Sechsbeiner sterben in Städten als auf dem dunkleren Land.

Probleme bei der Partnersuche

Doch selbst für die überlebenden Tiere wird die nächtliche Beleuchtungsoffensive oft zum Problem. Die Forscher um Hölker haben untersucht, ob Straßenlaternen den Flugplan von Nachtfaltern durcheinanderbringen. Im Naturpark Westhavelland nordwestlich von Berlin, der als eine der dunkelsten Regionen in Deutschland gilt, haben sie Straßenlaternen aufgestellt und an jeder eine Insektenfalle angebracht. Es zeigte sich, dass jede brennende Laterne aus einem Umkreis von rund 23 Metern Nachtfalter anlockt. Da die Lampen an europäischen Straßen zwischen 25 und 45 Metern auseinanderstehen, überlappen sich diese Radien. Motten haben es also schwer, eine beleuchtete Straße zu passieren - die Lichtschneisen können selbst gute Falter-Lebensräume zerschneiden. Und das macht für die Tiere nicht nur jede Wanderung mühsam, sondern auch die Partnersuche.

Für ein erfolgreiches Rendezvous müssen viele Insekten spezielle Strukturen, wie Gewässerränder oder Bäume, aufsuchen. Manche bleiben auf dem Weg aber an den Laternen-Barrieren hängen. Andere verlieren Zeit und Energie, und das aber können sich Nachtfalter kaum leisten. Schließlich dauert ihr Erwachsenenleben hierzulande nur sieben bis zwölf Tage, da bleibt also nicht viel Zeit für die Familiengründung. "Die Lichtbarrieren können dazu führen, dass die Tiere nicht zum Partner kommen oder zu spät", erklärt Hölker.

Doch es gibt noch weitere Hindernisse. Zumindest einigen Motten-Arten funkt das Licht nämlich direkt ins Sexualleben hinein. Koert van Geffen von der Wageningen Universität in den Niederlanden hat das beim Kleinen Frostspanner beobachtet. Auf unbeleuchteten Eichenstämmen fanden er und sein Team deutlich weniger Falter-Weibchen als auf mit LED-Lampen beleuchteten Pendants. Doch während mehr als die Hälfte der im Dunkeln lebenden Frostspannerinnen Spermienpakete im Körper trugen, waren es im Kunstlicht - je nach Wellenlänge - nur zwischen 13 und 28 Prozent.

Ein zweiter Versuch zeigte, woran das liegen könnte: Die Forscher konfrontierten die Männchen mit künstlich hergestellten weiblichen Sexuallockstoffen. Im Licht wirkten diese weniger anziehend als im Dunkeln. Offenbar verlieren Motten-Casanovas bei Licht die Lust aufs andere Geschlecht. Bei anderen Falter-Arten tragen auch die Weibchen dazu bei, dass es nicht funkt. So produziert die Kohl-Eule bei Kunstlicht weniger Sexuallockstoffe und die Zusammensetzung der Stoffe verändert sich. Das könnte die Anziehungskraft verringern.

Folgen für die Pflanzenwelt

Ist der Beleuchtungs-Boom also schuld am Rückgang von nachtaktiven Insekten in vielen Regionen Europas? Hölker hält es für durchaus für wahrscheinlich, dass die Lichtverschmutzung einen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet - mit weitreichenden Folgen. So gibt es zahlreiche Pflanzenarten, die sich von Motten bestäuben lassen.

Ganz aussichtslos ist die Lage für die Nachtfalter aber trotz allem nicht. Florian Altermatt von der Universität Zürich und Dieter Ebert von der Universität Basel haben nämlich herausgefunden, dass sich eine Gespinstmotte namens Yponomeuta cagnagella bereits auf das Licht eingestellt hat. Tiere aus dem Stadtgebiet von Basel ließen sich nicht mehr so stark vom Licht anlocken wie Artgenossen aus dunkleren Regionen.

"Es werden sich aber längst nicht alle Nachtfalter anpassen können", gibt Hölker zu bedenken. Gelingen wird das seiner Einschätzung nach am ehesten Arten mit kurzen Reproduktionszeiten und hohen Vermehrungsraten. Denn nur bei ihnen könne die Evolution Verhaltensänderungen schnell genug herbeiführen. "In der Nähe von wichtigen Lebensräumen wie Hecken, Feldrainen oder Flüssen sollte man die Beleuchtung so weit wie möglich reduzieren", meint der Ökologe. Auch eine geschickte Auswahl der Spektralfarben könne erfolgversprechend sein: Keine kaltweißen Lampen und wenig UV-Licht würde nachtaktiven Fliegern schon weiterhelfen.