Zum Hauptinhalt springen

Die "Aliens" unter uns

Von Alexandra Grass

Wissen

Viele Pflanzen- und Tierarten leben heute außerhalb ihrer ursprünglichen Heimat - auch Störenfriede.


Die berühmte Spinne in der Yucca-Palma, die versteckt in der Grünpflanze aus ihrer Heimat anreist, wird auch heute noch in Sagenerzählungen gefeiert. Das fremde Getier verrät sich durch leises Piepsen - und zwar jedes Mal, wenn das Pflänzchen gegossen wird. Auch wenn sich die Geschichte wohl so nie zugetragen hat, so steht sie sinnbildlich für eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten ihren Lauf nimmt. Mittlerweile bevölkern viele Arten Regionen ganz fern ihrer eigentlichen Heimat. Die Transport- und Tourismusverbindungen über die Kontinente sind die Hauptursache für die stattfindende biologische Globalisierung der Welt. "Aliens" befinden sich also zuhauf unter uns.

Schauplatz Österreich: Der Buchsbaumzünsler macht nicht nur Stadtgärtnern das Leben schwer. Die wunderschön gezeichnete Raupe frisst vielerorts die Büsche kahl. Einmal angesiedelt, ist sie nur schwer wieder loszuwerden. Der im 19. Jahrhundert eingeschleppte Amerikanische Flusskrebs wiederum hat die heimischen Flusskrebse nahezu ausgerottet. Gegen die durch ihn eingeschleuste Krebspest sind sie zu wenig robust. Nur in abgelegene Bäche ist sie noch nicht vorgedrungen. Der Asiatische Marienkäfer wiederum, der ursprünglich zur biologischen Schädlingskontrolle in Glashäusern eingesetzt wurde, ist mittlerweile durch seine hohe Fortpflanzungsrate und Gefräßigkeit anderen Marienkäferarten weit überlegen.

Ragweed-Plage

Nicht nur Tierarten überwinden Strecken von tausenden Kilometern: Allergiker können aktuell ein Lied davon singen, denn die ersten Ragweed-Pollen sind schon flügge. Eingeschleppt aus Nordamerika, vermehrt sich das Unkraut seit etwa 15 Jahren besonders stark. Der Klimawandel begünstigt seine Ausbreitung - aber auch die anderer nichtheimischer Arten.

Rund 1700 gibt es von ihnen allein in Österreich - ihnen stehen rund 3000 heimische Arten gegenüber. Jedoch haben nur etwa 10 bis 15 Prozent davon negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Land- und Forstwirtschaft oder die Natur, wie Franz Essl, Ökologe der Universität Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont. Aus der Sicht des Naturschutzes ist die aus Nordamerika stammende Robinie ein Störenfried sondergleichen. Der attraktive Laubbaum wird zwar für sein Holz geschätzt und ist als Stadtbaum sehr beliebt - doch einmal auf Magerwiesen oder in Eichenwäldern ausgesetzt, "verändert er die Lebensräume aufgrund seiner hohen Stickstoffbindung fundamental", so der Experte.

Schauplatz Australien: In den 1930er Jahren war die Aga-Kröte in Down Under ausgesetzt worden, um Pflanzenschädlinge zu bekämpfen. Doch dank giftiger Sekrete hat sie kaum Feinde und vermehrt sich deshalb in unglaublicher Geschwindigkeit. 200 Millionen Tiere sollen es heute sein, die das Land bevölkern. Sie haben Beutelmarder- und Waran-Arten drastisch dezimiert oder sogar völlig ausgerottet.

Fluch der Karibik

Kaninchen sind gar zur Landplage geworden. Sie sind Konkurrenten der einheimischen Wildtiere, schaden der Vegetation und dem Boden. Auch aufgrund ihrer Gefräßigkeit und Widerstandsfähigkeit haben sie zum Schwund zahlreicher australischer Tiere und Pflanzen beigetragen. Den Kontinent ebenso fest im Griff haben die roten Feuerameisen. Die aus dem Amazonas-Gebiet stammende Spezies frisst sich aber auch schon durch die USA. Die aggressiven Ameisen beißen ungebetene Gäste, fressen die Ernte, beschädigen Bienenstöcke und töten mit ihrem Gift junge Nutztiere.

Schauplatz Karibik: Nicht nur Jack Sparrow treibt in den Gewässern sein Unwesen. Als Fluch der Karibik kann wohl auch der Pazifische Rotfeuerfisch bezeichnet werden. Sein eigentlicher Lebensraum sind die Außenriffe und Lagunen im Pazifischen Ozean. Aquarianer schätzen seine Eleganz, Farbenpracht und Flossen - von Fischliebhabern dürfte er auch im westlichen Nordatlantik ausgesetzt worden sein. Dort macht sich der Räuber mit gewaltigem Appetit seither über die heimische Meeresfauna her. Auch Papageifische, Doktorfische und andere Meeresvegetarier leiden unter den Attacken und können ihre Funktion, nämlich die Algen von den Korallenoberflächen zu weiden, nicht mehr erfüllen.

Küstenregionen als Hotspots

Die Geschwindigkeit der Ausbreitung und die Verschleppung der Arten hat seit dem Zweiten Weltkrieg sehr stark zugenommen, schildert Franz Essl. Zu dieser Zeit hatten der globale Handel und die Reisetätigkeit einen starken Anstieg erfahren. Die größten Hotspots der Ansiedelung fremder Arten stellen vor allem Küstenregionen dar (siehe Grafik). Mit ihren Häfen sind sie "die Einfallstore" für die sogenannten Neobiota, da 90 Prozent der Güter über Schiffe transportiert werden. Die meisten dieser von fremden Arten dicht besiedelten Regionen liegen im subtropischen und mediterranen Klima. Dieses bietet für viele Arten günstige Voraussetzungen.

Ein wichtiger Faktor für diese Entwicklung stellen allerdings auch die direkten Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt dar, betont Essl: "Lebensräume werden verändert und es entstehen neue." Solche durch Städteplanung oder Land- und Forstwirtschaft veränderten Areale bieten für neu ankommende Arten gute Möglichkeiten, sich zu etablieren. "Sie haben gewisse Vorteile, weil viele dieser Arten können mit vom Menschen verursachten Störungen gut umgehen", so der Experte.

Ein jüngst publiziertes, neues Bewertungsschema, das ein internationales Team um Franz Essl und Wolfgang Rabitsch vom Umweltbundesamt erstellt hat, klassifiziert die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen gebietsfremder Arten. Damit können die Folgewirkungen künftig objektiv eingeschätzt werden. Die im Fachblatt "Methods in Ecology and Evolution" vorgestellte Methode soll bei der Bekämpfung schädlicher Neulinge in Gebieten helfen, in denen sie ursprünglich nicht heimisch sind.

Das Ausmaß der Veränderungen für menschliche Aktivitäten wird dort auf einer Fünf-Punkte-Skala erfasst. Inhaltlich geht es auch um die Einschränkung, die invasive Arten für das menschliche Wohlbefinden mit sich bringen - von der Gesundheit über die materielle Situation und Sicherheit bis hin zu sozialen und kulturellen Belangen. Diese würden von rein wirtschaftlich orientierten Bewertungssystemen übersehen. Auf Basis der Bewertungen sollten dann, geht es nach den Forschern, auch politische Maßnahmen getroffen werden.

Neu, aber nicht fremd

Doch was kann der Einzelne tun? Fremde Arten sollen nicht in die Natur ausgesetzt werden, da die Folgen nur schwer abgeschätzt werden können, erklärt Essl. Zudem sollen Gartenabfälle sachgemäß entsorgt und als invasiv bekannte Arten nicht weiter angebaut werden.

Nicht selten stoßen wir Menschen allerorts aber auch auf bisher völlig unbekannte heimische Arten, die die biologische Vielfalt weiter nähren. So haben Forscher aktuell etwa im Amazonasgebiet fast 400 neue Arten entdeckt - darunter bisher unbekannte Pflanzen- und Tierarten. Vielleicht befinden sich darunter auch solche, die den Störenfrieden Einhalt gebieten können.