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Aufwärtstrend für Meeresschildkröten

Von Roland Knauer

Wissen
Ob die Schwarze Suppenschildkröte wie diese vor den Galapagos-Inseln eine eigene Art bildet, wird unter Zoologen diskutiert. Sicher sind sie sich jedenfalls, dass diese Gruppe vom Aussterben bedroht ist.
© Knauer

Dauerhafter Schutz kann stark bedrohte Arten vor dem Aussterben retten.


Das massige Schildkröten-Weibchen schleppt seine vielleicht 100 Kilogramm mitten in der Nacht den Strand hinauf. Mehr als eine Stunde braucht das Tier für ein paar Meter, weil die Unechte Karettschildkröte im Laufe ihrer Entwicklung zu einem Meeresbewohner ihre Beine zu Flossen umgewandelt hat. Damit schwimmen die von Zoologen "Caretta caretta" genannten Reptilien zwar elegant, bewegen sich an Land aber sehr unbeholfen. Trotzdem aber nehmen die Weibchen alle zwei oder drei Jahre die Tortur auf sich und kriechen den Strand hinauf, auf dem sie selbst vor einigen Jahrzehnten aus dem Ei geschlüpft sind. In sicherer Entfernung vom Wasser buddeln die Schildkröten ein mindestens 40 Zentimeter tiefes Loch in den Sand. Bis zu 120 weiche Eier, die Pingpongbällen ähneln, lassen sie in diese Bruthöhle fallen, bevor sie wieder Sand darüber scharren. Dann kriecht das Weibchen den gleichen mühevollen Weg wieder zurück ins Meer und überlässt den Rest des Brutgeschäfts der Sonne.

Schildkrötenbestand legte zu

Die Methode scheint erfolgversprechend. Schließlich hat die Unechte Karettschildkröte mit ihr bereits seit einigen Jahrmillionen überlebt, und auch heute macht sich die Weltnaturschutzunion IUCN zumindest im Mittelmeerraum keine großen Sorgen um das Überleben dieser Art. Ähnlich sieht der Trend auch in anderen Regionen aus, stellen Graeme Hays von der Deakin Universität in Geelong in Australien und seine Kollegen von der Aristoteles Universität im griechischen Thessaloniki in der Zeitschrift "Science Advances" fest. Auch bei den Beständen der anderen sechs Meeresschildkröten-Arten registrieren die Forscher mehr Zunahmen als Verluste.

Das war allerdings nicht immer so. Zwar haben die erwachsenen Tiere aufgrund ihrer Größe und ihres schützenden Panzers nur wenige ernsthafte Feinde. Umso gefährdeter ist jedoch der Nachwuchs, der bei der Unechten Karettschildkröte je nach Wetterlage und Sonnenschein nach sieben bis elf Wochen aus den im Sand einer Mittelmeerküste vergrabenen Eiern schlüpft. Befreien sich die Winzlinge noch recht erfolgreich aus dem Untergrund, beginnt an der Oberfläche ein lebensgefährlicher Spießrutenlauf: Zunächst warten in der Luft bereits etliche Vögel auf eine Schildkröten-Mahlzeit. Die wenigen Kleinen, die es bis zum Wasser schaffen, sind allerdings noch lange nicht in Sicherheit, weil viele von ihnen im Maul hungriger Fische landen. Bestenfalls eine von tausend geschlüpften Schildkröten wird auch erwachsen, schätzen Zoologen. Daher legen die Weibchen der Unechten Karettschildkröte ab ihrem 30. Geburtstag jedes zweite oder dritte Jahr bis zu tausend ihrer Eier in die Sandstrände warmer Meeresregionen. Im Laufe eines 100-jährigen Lebens kommen da eine ganze Reihe Nachkommen zusammen. Einige wenige von ihnen überleben und sichern den Fortbestand der Art.

Notausgang im Fischernetz

Zumindest war das so, bis ein neuer Feind auf zwei Beinen auftauchte: In praktisch allen wärmeren Regionen der Welt hatten Menschen Ideen, was man mit den sieben Schildkrötenarten nach deren Tod anfangen kann. Die schön gefärbten Hornschuppen des Rückenschildes der Echten und Unechten Karettschildkröten waren zum Beispiel als Schildpatt-Schmuck begehrt. Wie schon ihr Name verrät, landeten Suppenschildkröten häufig auf der Speisekarte der Menschen, und die Eier verschiedener Arten galten in etlichen Regionen als begehrte Leckerbissen. Außerdem starben viele Tiere als Beifang in den Netzen, mit denen eigentlich Fische oder Garnelen aus dem Wasser geholt werden sollten.

Solche zusätzliche Gefahren aber forderten bald ihren Tribut, die Bestände brachen zusammen. Bereits in den 1950er Jahren liefen daher erste Schutzmaßnahmen an, um die Meeresschildkröten vor dem Aussterben zu retten. So müssen Garnelenfischer seit den 80er Jahren in den Gewässern der USA in ihre Netze eine Art Notausgang für Schildkröten einbauen. Vielerorts wurden die Jagd und die Entnahme der Eier verboten. Gleichzeitig wurden Meeresschutzgebiete eingerichtet, der internationale Handel mit Schildkröten wurde verboten.

Besonders schwierig war häufig der Schutz der Strände, an denen die Weibchen ihre Eier verbuddeln: Sonnenhungrige Urlauber machten den Schildkröten die Kinderstuben streitig. Zwar gibt es auf den ersten Blick kein Problem, weil die Schildkröten nachts aktiv sind, während die meisten Menschen tagsüber am Strand liegen - wobei viele von ihnen die pralle Sonne meiden und Schirme aufspannen. Aber: Die Schildkröteneier sind auf kräftigen Sonnenschein angewiesen, um sich richtig zu entwickeln. Liegen die Temperaturen im Schatten eines Sonnenschirms zu niedrig, reifen die Eier womöglich gar nicht aus. Um das zu verhindern, brechen zum Beispiel an den Stränden der letzten Schildkröten-Refugien Griechenlands, auf den Inseln Kreta und Zakynthos sowie an der Peloponnes-Halbinsel, in der Morgendämmerung Freiwillige auf und halten am Strand Ausschau nach den Kriechspuren der Schildkröten, die direkt zu den Nestern führen. Über diesen platzieren die Helfer einen Eisenkäfig, damit nicht aus Versehen ein Tourist seinen Schirm genau in die Eier rammt. Einige wichtige Strände werden sogar ganz für die Schildkröten-Kinderstuben reserviert, immer wieder behält aber auch der Tourismus die Oberhand.

Beachtlicher Nisterfolg

In etlichen dieser Gebiete zählen die Artenschützer zwar durchaus den Erfolg ihrer Maßnahmen und untersuchen, ob mehr Schildkröten-Nachwuchs überlebt. Eine Gesamtübersicht aber fehlte bisher. Genau die liefern jetzt Graeme Hays und seine Kollegen. Das Ergebnis lässt die Artenschützer ein wenig Hoffnung schöpfen, offensichtlich sind ihre Maßnahmen von Erfolg gekrönt, wenn sie einen langen Atem haben. Bei immerhin 95 Langzeit-Beobachtungen des Nisterfolgs fanden die Forscher einen Aufwärtstrend, abwärts ging es dagegen bei 35 Zeitreihen. Artenschutz kann sich also durchaus auszahlen.