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Danke für die Würmer!

Von Kerstin Viering

Wissen
Weißbüschelaffen sind für prosoziales Verhalten bekannt.
© Fotolia/Dominik Rueß

Einige Affen und Vögel machen spontan selbstlose Geschenke.


Berlin. Warum nicht einmal jemanden beschenken, der gar nicht damit rechnet? Nur, weil er sich freut - und nicht, weil man sich gedrängt fühlt oder auf eine Gegenleistung spekuliert? Auf diese Art von weihnachtlichen Ideen können auch nur Menschen kommen. Bestenfalls. Da waren Biologen lange Zeit ziemlich sicher.

Zwar gibt es Tiere, die ihren Artgenossen Leckerbissen und Gefälligkeiten zukommen lassen. Nur ist das meist ein Tauschgeschäft: Futter gegen Sex, Wellness-Behandlungen gegen Unterstützung in Konflikten. Für selbstlose Gesten schien lange im Tierreich kein Platz zu sein. Dachte man. Nun aber haben Verhaltensforscher zumindest bei einigen Arten einen Hang zur Großzügigkeit entdeckt. Es sind allerdings nicht unsere nächsten Verwandten, die sich hierbei hervortun.

Dabei ist so einem Schimpansen eigentlich alles Mögliche zuzutrauen: gegenseitige Hilfeleistungen, ausgefeilte Kooperationen, Adoption fremder Jungtiere. Doch geht es ums Fressen, scheinen sie oft auf stur zu schalten. Selbst Jungtiere müssen um Leckerbissen von der Mutter betteln. Und spontane Großzügigkeit gegenüber erwachsenen Artgenossen scheint unter Schimpansen erst recht nicht üblich zu sein.

Nicht nur sture Ignoranten

Claudio Tennie von der Universität Birmingham hat 13 Schimpansen mit einer Futterbox konfrontiert. Auf der anderen Seite konnten die Tiere - mit unterschiedlichen Folgen - an einem Holzpflock ziehen: In sechs Fällen bewirkte das, dass ein Artgenosse im Nachbarkäfig Erdnüsse aus der Box herausschütteln konnte. Auf der anderen Seite konnten die sieben übrigen Affen ihrem Nachbarn das Futter sperren. In beiden Fällen betätigten die Tiere den Mechanismus etwa gleich häufig. Sie hatten offenbar kein Interesse daran, ob sie ihrem Nachbarn damit etwas Gutes oder Schlechtes taten.

Anders sah es aus, wenn sie selbst Zugang zu den Leckerbissen bekamen. Nun zogen sie den Pflock zielstrebig heraus, wenn Futter heraussprang. Blockierte er dagegen den Nachschub, ließen sie die Finger davon. Zumindest beim Fressen scheint sich jeder Schimpanse selbst der Nächste zu sein.

Doch die Primatenwelt besteht nicht nur aus sturen Ignoranten. In der Familie der südamerikanischen Krallenaffen haben Forscher auch selbstlose Futterschenker entdeckt. Etwa die Weißbüschelaffen, die ein Team um Judith Burkart von der Uni Zürich beobachtet hat. In den Versuchen standen vor dem Käfig zwei Tabletts. Das getestete Tier konnte entscheiden, welches es zum Gitter ziehen wollte. Es selbst ging dabei jedes Mal leer aus. Doch in einem Fall bekam der Käfignachbar einen Leckerbissen, im anderen nicht. Meist ließen die Affen ihrem Artgenossen das Geschenk bereitwillig zukommen. "Prosoziales Verhalten" heißt diese seltene Form der spontanen Hilfe, von der man selbst nichts hat und zu der man auch nicht gedrängt wird. Sonderlich viel Grips braucht man dafür offenbar nicht. "Krallenaffen haben kleine Hirne und sind nicht sehr gescheit", sagt Burkart. Trotzdem sind sie beim selbstlosen Schenken den intelligenteren Schimpansen überlegen.

Was also steckt hinter dieser großzügigen Ader? Warum ist sie in der Evolution der Primaten mehrmals unabhängig voneinander entstanden? Darüber rätseln und streiten Biologen schon lange. Eine der beliebtesten Theorien besagt, der Hang zur Großzügigkeit habe etwas damit zu tun, wie man seinen Nachwuchs großziehe. Dafür gibt es einige Indizien.

Genau wie bei Menschen ist Kinderbetreuung bei Krallenaffen nicht nur Sache der Mutter. Kleine Weißbüschelaffen wachsen in Gruppen mit erwachsenen Helfern auf. Diese pflanzen sich selbst nicht fort, sind aber eifrige Babysitter: Sie tragen die Kleinen und stecken ihnen Leckerbissen zu. Die Männchen engagieren sich dabei noch mehr als die Weibchen - und zeigen sich in Versuchen auch besonders spendabel. Wer den Nachwuchs im Team aufzieht, ist auf seine Gefährten angewiesen und braucht soziale Toleranz. Immer wieder muss er Hilfe leisten, ohne selbst viel davon zu haben.

Werden solche Arten von der Evolution auf generelle Großzügigkeit getrimmt, die sie dann auch gegenüber Erwachsenen zeigen? Um das herauszufinden, hat Burkart 15 Affenarten einschließlich Menschenkindern zwischen vier und sieben Jahren getestet. Sie bekamen die Gelegenheit, ihren Gefährten Köstlichkeiten zuzuschanzen, ohne selbst etwas davon zu haben. "Menschen und Löwenäffchen handelten dabei sehr altruistisch und ermöglichten den anderen fast immer den Zugang", so Burkart. Schimpansen taten das nur ab und zu, Varis und Bartmakaken gar nicht. Tatsächlich zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen Großzügigkeit und Familienleben: "Spontanes selbstloses Verhalten findet man nur bei Arten, bei denen Jungtiere nicht nur von der Mutter, sondern auch von anderen Gruppenmitgliedern betreut werden", so die Forscherin. Kritiker wendeten aber ein, dass die Studie nur die Großzügigkeit von Primaten getestet habe.

Aufzucht ist entscheidend

Wenn die gemeinschaftliche Betreuung der Jungen entscheidend ist, müsste sich selbstloses Verhalten auch bei anderen Tieren finden - bei Vögeln etwa, wo jede elfte bekannte Art die Aufzucht der Küken nicht allein der Mutter überlässt. Haben auch sie einen Hang zur spontanen Großzügigkeit? Tatsächlich ist ein Team um Lisa Horn und Jörg Massen von der Uni Wien auf einen Fall in der Vogelwelt gestoßen. Ausgerechnet bei Elstern, die angeblich eher zum Diebstahl als zum Altruismus neigen. Doch die ostasiatischen Blau-Elstern hielten sich in Tests nicht an das Klischee. Auch sie ziehen ihre Küken gemeinschaftlich auf. Und sie zeigten sich in den Experimenten interessiert am leiblichen Wohl ihrer Gefährten.

Ähnlich wie die Affen bekamen die Vögel die Gelegenheit, ihren Gefährten Leckerbissen, wie Mehlwürmer oder Heuschrecken, zuzustecken. Dazu mussten sie auf einer Sitzstange landen, die einen Wipp-Mechanismus auslöste. Und das taten sie unermüdlich - obwohl ihr eigener Schnabel immer leer blieb. In mehr als 95 Prozent aller Durchgänge bekamen die Artgenossen ihren Happen.

Für die Forscher ist das ein Indiz dafür, dass gemeinsame Jungenaufzucht nicht nur bei Menschen und Affen die Großzügigkeit fördert. Die Idee vom spontanen Schenken ist im Tierreich wohl verbreiteter als gedacht. Weihnachtliche Anlässe sind dafür gar nicht nötig.