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Ein großer Geist, der durch den Kosmos reiste

Von Eva Stanzl

Wissen

Der britische Astrophysiker Stephen Hawking, einer der einflussreichsten Wissenschafter der Welt, ist tot.


Als bei Stephen Hawking 21-jährig eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems festgestellt wurde, dachten seine Ärzte, er würde nicht einmal sein Doktorstudium abschließen können. "Ich fiel beim Eislaufen hin und hatte enorme Schwierigkeiten, wieder aufzustehen. Das deprimierte mich zunächst, denn es wurde schnell schlimmer", erinnerte er sich später. Entgegen allen Erwartungen lebte er weitere 55 Jahre und wurde einer der einflussreichsten Wissenschafter der Welt. Stephen Hawking starb am Morgen des 14. März im Alter von 76 Jahren in seinem Haus in Cambridge, England.

Stephen William Hawking wurde am 8. Jänner 1942 in der Universitätsstadt Oxford als Sohn einer Philosophin und eines Mediziners geboren. Er besuchte die St. Alban’s School nördlich von London. Obwohl er nicht als Musterschüler galt, nannten ihn seine Schulfreunde "Einstein", was ein Interesse für die Wissenschaften in ihm ausgelöst haben mag. Sein Ehrgeiz brachte ihm ein Stipendium an der Universität Oxford ein, wo er das Studium der Physik mit der Top-Note "First-class honours" abschloss. 1962 wechselte er an die Universität Cambridge zu Dennis Sciama, einem Mitbegründer der modernen Kosmologie.

Hawking untersuchte in seiner Dissertation die Eigenschaften von expandierenden Universen. "Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen", sagte der Astrophysiker: "Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert."

Urknall-Beweis und Schwarze Löcher, die verdampfen

1965 lieferte Hawking zusammen mit dem britischen Mathematiker und Philosophen Roger Penrose einen wichtigen Beleg für die Urknalltheorie. Die Idee war damals umstritten, da man annahm, dass in dieser mathematischen "Singularität" die Naturgesetze nicht mehr gelten und eine Art Schöpfungsakt notwendig sei. Hawking beschäftigte sich mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und konnte zeigen, dass sie sehr wohl einen Anfang des Universums voraussagte - "ein Ergebnis, das die Kirche interessiert zur Kenntnis nahm", schrieb Hawking in seiner 2013 erschienenen Autobiografie "Meine kurze Geschichte". Später zeigte der Physiker, dass der Anfang des Universums gar nicht zwangsläufig in einer Singularität gelegen haben muss.

Trotz seiner Krankheit lief das Gehirn des Genies auf Hochtouren. Untrennbar ist sein Name mit der Physik von Schwarzen Löchern verbunden: Hawking zufolge sind die masseverschlingenden Monster im All nämlich keine Endstationen. Zwar saugen sie durch ihre enorme Schwerkraft alles ein, was ihnen zu nahe tritt, sogar das Licht - doch sie verdampfen auch. Hawking konnte in der Theorie zeigen, dass verdampfende Schwarze Löcher Strahlung emittieren. Da dieser Prozess sehr lange dauert, konnte bisher niemand die Hawking-Strahlung nachweisen. Aus diesem Grund bliebt der Nobelpreis dem Genie verwehrt. Die Hawking-Strahlung trägt dazu bei, dass Schwarze Löcher schrumpfen und letztlich verschwinden. Dabei wird laut ihrem Erfinder auch Information aus dem Kosmos gelöscht - was jedoch den Gesetzen der Quanten-Theorie widerspricht. Zeitlebens wollte Hawking die Relativitätstheorie mit der Quantenphysik vereinen und eine Weltformel finden, die alle Bereiche des Universums, vom Mikro- bis zum Makrokosmos, beschreiben kann.

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) schritt bei Hawking langsamer als üblich voran. Es handelte es sich um eine chronisch juvenile ALS, gekennzeichnet durch einen extrem langen Krankheitsverlauf. Nach und nach verlor Hawking dennoch die Fähigkeit, seine Muskeln zu bewegen. Ab 1968 war er auf einen Rollstuhl angewiesen.

1985 erlitt der Physiker eine Lungenentzündung, die in seinem Zustand lebensbedrohlich war. Es kam zu Atemnot, die nur durch einen Luftröhrenschnitt überwunden werden konnte. Durch den Eingriff verlor Hawking die Fähigkeit, zu sprechen. Fortan teilte er sich mit, indem er mit einem Cursor auf einem Bildschirm Wörter buchstabierte. Ein Sprach-Synthesizer verarbeitete die Eingaben zu jener androiden Stimme, die zu Hawkings Markenzeichen wurden. Auf diese Weise schrieb er 1988 sein populärwissenschaftliches Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit". Es setzte neue Maßstäbe für Wissenschaftsvermittlung.

Kosmologie, witzig und sprachgewandt vermittelt

Witzig und sprachgewandt bewegt das Buch nicht nur den Geist, sondern auch die Lachmuskeln. Humor erleichtert das Begreifen - das Werk führte jahrelang Bestseller-Listen an. Der Inhaber des prestigereichen Lucasischen Lehrstuhls für Mathematik am Gonville and Caius College in Cambridge, den dereinst Isaac Newton besaß, wurde zum Popstar der Wissenschaft. Es folgten Bücher wie "Schwarze Löcher" und "Das Universum in der Nussschale". Hawking gab Kinderbücher heraus, trat in der Sci-Fi-Serie "Raumschiff Enterprise" auf und wurde zur Figur der Zeichentrickserie "The Simpsons". Der Kinofilm "Die Entdeckung der Unendlichkeit" über sein Leben wurde mit dem Oscar bedacht.

Möglicherweise betrat Hawkings Genius genau zur richtigen Zeit die Bühne der Wissenschaft, als der technische Fortschritt neue Erkenntnisse ermöglichte und Ideen beflügelte: Kosmologie fasziniert alle Welt. Hinzu kam Hawkings spezielle Lebenssituation. "Die Idee eines großen Geistes, der in seinem Körper gefangen ist, aber dennoch den Kosmos bereist, regte die Fantasie an", postuliert Wissenschaftsautor Davide Castelvecchi im Fachmagazin "Nature". Der Physiker galt außerdem als Frauenheld und soll meisterhaft geflirtet haben. Er führte ein erfülltes und bewegtes Familienleben. 1965 heiratete er seine Jugendliebe Jane Wilde. Ihre Söhne Robert und Timothy wurden 1967 und 1979 geboren, ihre Tochter Lucy 1970. Das Paar ließt sich 1990 scheiden. Die Romanistin Jane schrieb in einer Autobiografie über ihre Ehe, dass ihr Mann unnahbar, ein "allmächtiger Herrscher" und "Meister der Manipulation" geworden sei. Sein Ruhm habe ihn "aus dem Orbit der Familie" katapultiert. 1995 heiratete Stephen seine Pflegerin Elaine Mason. Die Verbindung hielt elf Jahre.

"Früher oder später müssen wir zu den Sternen schauen"

Stephen Hawking liebte Abenteuer. 1997 reiste er in die Antarktis, später machte er einen Ausflug in einem U-Boot. Bei einem Parabel-Flug ins All erfuhr der vollständig gelähmte Physiker im Jahr 2007 die Schwerelosigkeit. "Weltraum, hier bin ich", witzelte er.

In seinen letzten Jahren trat Hawking als Mahner auf. Er warnte, intelligente Roboter, die Klimaerwärmung, ein Atomkrieg oder im Labor erzeugte Viren könnten die Erde gefährden. Binnen 1000 bis 10.000 Jahren werde es zwangsläufig zu einer hausgemachten Katastrophe kommen, die Menschheit müsse daher jetzt damit beginnen, sich Ausweichmöglichkeiten im All zu schaffen.

Mit dem russischen Milliardär Jurij Milner plante Hawking, eine Armee briefmarkengroßer Raumschiffe zum Sternsystem Alpha Centauri zu schicken: "Früher oder später müssen wir zu den Sternen schauen." So lautet auch die letzte Botschaft Hawkings, der nicht an Gott glaubte und das Gehirn für einen Computer hielt. "Schaut nicht hinab auf Eure Füße. Wie schwer auch immer das Leben scheinen mag, so gibt es doch immer etwas, das ihr tun und worin ihr erfolgreich sein könnt. Es kommt darauf an, nicht aufzugeben", sagt Hawking in einem emotionalen Video, das seine Universität am Mittwoch ins Internet stellte.

"Wenn Sie ins Universum fliegen würden, würden Sie sehen, wie Galaxien kollidieren und Supernovae kurzzeitig heller sind als ihre Geschwister", schreibt Hawkings Schüler Christophe Galfard in seinem Buch "Das Universum in deiner Hand": "Sie würden den Segen erfahren, eine Show nicht-menschlicher Schönheiten zu beobachten. Irgendwann wären Sie zehn Milliarden Lichtjahre entfernt, aber ihr Geist wäre vielleicht schon weiter." Vielleicht können wir in Zukunft dem Körper entkommen. Hawking hielt allerdings die Gegenwart, so wie sie ist, für "eine großartige Zeit, um am Leben zu sein", betonte er: "Unser Bild des Universums hat sich in den letzten 50 Jahren umfassend verändert und ich bin glücklich, wenn ich einen kleinen Beitrag leisten konnte."Seite 26