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Zeige den Zahn

Von Edwin Baumgartner

Wissen

Der Urzeit-Hai Megalodon boomt in Büchern, Filmen und Mockumentarys. Könnte er wirklich irgendwo im Ozean leben?


Die Wahrheit ist irgendwo da - unten. Irgendwo in den rund 1,338 Milliarden Kubikkilometern des Meers verbirgt sich die Entscheidung, ob der Urzeit-Riesenhai Megalodon bis heute überlebt hat oder nicht. Geht es nach Bücherschreibern, Filmemachern und Monstermanen lautet die Antwort: ja. Nachdem, zugeben, "Shark Attack 3 - Megalodon" der reine Trash war, der selbst einer Sprotte die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, lässt in den USA jetzt "Meg" die Kinokassen klingeln und bei uns setzt John Turteltaubs Fantasythriller nach Steve Altens Romanserie gerade dazu an.

Einer der Meeresbiologen, die von der gegenwärtigen Existenz des Megalodon überzeugt sind, ist Collin Drake. Nachdem er bereits 2013 auf dem Doku-TV-Sender Discovery Channel anlässlich der "Shark Week" des Kanals erste Beweise vorgelegt hatte, reichte er im selben Kanal unlängst weitere nach, die alles zugunsten des Megalodon geklärt haben sollten . . .

. . . wäre nicht die Doku in Wahrheit eine Mocku, nämlich eine Mockumentary, also eine Fake-Doku.

Verderbliche Einkindpolitik

Andererseits: Da wären immerhin der Quastenflosser, der Riesenkalmar und sogar ein (relativ) neuzeitlicher Verwandter des Megalodon, der Riesenmaulhai. Alles nur Statistik-Ausreißer? - Mitnichten: Im Durchschnitt sind es bis zu vier neue Arten pro Tag, die in den Ozeanen entdeckt werden. Warum sollte da nicht einmal auch der Megalodon darunter sein?

Aber da gibt es noch Nessie, und sie verdirbt die schönsten Urzeithaiträumereien.

Was sagt der Fall der berühmtesten Seebewohnerin Schottlands über megalodontische Hochseeumtriebe aus? - Nun: Selbst der Nessiegläubigste wird sein Idol weder für einen Rüsselkäfer noch für einen Wasserfloh halten. Diese und ein paar andere Tiere können sich nämlich durch Parthenogenese vermehren, also Nachwuchs ohne Zeugungsakt hervorbringen. Sollte Nessie nicht ein paar Millionen Jahre auf dem Buckel haben, was eher unwahrscheinlich ist, braucht sie also einen Geschlechtspartner. Wobei eine lochnessische Einkindpolitik den Bestand der Familie Ness unmöglich über Jahrmillionen hinweg zu sichern vermag. Heißt: Entweder gibt es eine nennenswerte Plesiosaurus-Population im Loch, oder Nessie ist ein tourismusmagnetischer Hoax. Ein hinreichend dichtes Plesiosaurus-Vorkommen in einem gerade einmal 56,4 Quadratkilometer großen Binnengewässer würde freilich laufend zu nachweisbaren Sichtungen führen. Damit ist, grauenhafter Gedanke für uns alle, aber befürchtetermaßen die größere Wahrscheinlichkeit, Nessie ein Schwindel.

Damit zurück zum Megalodon: Ein Hai allein ist nicht genug. Zur Erhaltung der Art über Jahrmillionen hinweg müsste eine ausreichende Megalodon-Population im Meer leben. Und dann gibt keinen einzigen tauglichen Beweis?

Gewiss, das Meer ist erheblich größer und tiefer als der Loch Ness. Obendrein mag der Megalodontophile anführen, dass dieser Hai, wie alle seiner Art, ein Knorpelfisch ist und daher schnell verwest, weshalb, anders als bei Walen, wohl keine Megalodon-Kadaver an den Küsten angespült werden. Wegen des schnellen Verwesungsprozesses können die Paläontologen auch einzig und allein aufgrund der häufigen Zahn- und einiger weniger Wirbelfunde Rückschlüsse auf die Größe des Tieres ziehen: Die bis zu 18 Zentimeter langen Beißer, aufgrund derer er mit der griechischen Bezeichnung für "großer Zahn" benannt wurde, lassen, über die Größenverhältnisse des wahrscheinlich relativ nahen Verwandten, des Weißen Hais, gepeilt, auf eine Megalodon-Länge von bis zu etwa 18 Meter schließen. Zum Vergleich: Der Weiße Hai erreicht etwa 4 bis 7 Meter Länge.

Fehlende Beweise

Dennoch: Dass sich in Jahrhunderten der Seefahrt nichts, absolut nichts Greifbares über einen allfällig quicklebendig im Ozean flösselnden Megalodon verifizieren lässt - das macht skeptisch. Es gibt nicht einmal Seemannsgarn über ihn, das als Halbbeweis taugen könnte: Seeschlangen (hinter denen Riemenfische stecken könnten), Riesenkraken (die als Riesenkalmar mittlerweile nachgewiesen sind) und Monsterwellen (die jetzt als Freak Waves ebenfalls bewiesen sind), Geisterschiffe und Schiffsgeister (für die es viele Erklärungen gibt), das ist der Stoff, aus dem die Seeleute ihr Garn spinnen - und gewiss auch aus Haiangriffen auf Schiffbrüchige. Nur selbst in diesen Fällen erzählen sie nicht von monströsen Haien. Auch die angeblichen Foto- und Videoclip-Beweise, die derzeit immer öfter auftauchen, sagen überhaupt nichts aus: Die wenigen, die nicht von vorneherein nach absichtsvollem Fake aussehen, zeigen wohl Haie, aber ohne jeglichen Größenvergleich. Ein Schatten unter der Meeresoberfläche - das kann ein drei Meter langes Tier sein oder ein sechs Meter langes, oder, ja, auch ein achtzehn Meter langes. Wer wollte das festsetzen, ohne zumindest ein Boot zum Vergleich zu haben?

So spricht alles gegen einen heute lebenden Megalodon.

Doch da ist eben auch noch der Quastenflosser . . .

Seit 65 Millionen Jahren sei er ausgestorben, hieß es. Nur den Quastenflossern vor der südafrikanischen Küste hat man vergessen mitzuteilen, dass auch sie, wie ihre anderen neun Familien, auszusterben haben, um nicht das Weltbild der Paläontologen zu stören. 1938 gab es dann den sogenannten Lazarus-Effekt: Die als ausgestorben geltende Art erlebte sozusagen eine Auferstehung. Latimeria chalumnae, benannt nach seiner Entdeckerin, der südafrikanischen Amateurbiologin Marjorie Courtenay-Latimer, lebt und vermehrt sich. Wohl gibt es nämlich etliche Fälle anderer Lazarus-Effekte, etwa die Banggai-Krähe, den Jamaika-Leguan oder den Israelischen Scheibenzüngler, doch in allen diesen Fällen handelt es sich um Tierarten, die in der Neuzeit noch gesichtet worden waren. Ausgestorben seit Millionen Jahren und doch am Leben - das gibt es bisher nur im Ozean, in dem ohnedies alles möglich scheint.

Warum also nicht auch ein Megalodon?

Weil, und auch das ist eine bittere Nachricht für die megalodontophile Gemeinde, dem Fisch in den Ozeanen der Gegenwart die Nahrung fehlt. Bissspuren an Skeletten von kleineren Urzeit-Walen zeigen, was der Megalodon als Nahrung bevorzugte, nämlich Piscobalaenae, einen Zwergbartenwal. Im Zuge der Klimaveränderungen der Erde, die es ja nicht erst heute gibt, sind die kleinen Bartenwale ausgestorben. Den um die verbleibende adäquate Beute entstehenden Konkurrenzkampf mit den Zahnwalen hat der Megalodon verloren. Die im Verhältnis zu ihm kleineren Raubwale wie Delphine und Orcas dürften sich nicht als Beute geeignet haben - die nämlich hätten sich nicht nur zur Wehr gesetzt, sie sind dem riesigen Megalodon wohl auch in Sachen Wendigkeit überlegen.

Neue Räume

Immerhin jedoch: Die entfernten Verwandten des Megalodon, etwa der Weiße Hai, der Mako und der Heringshai, leben - noch. Das "noch" bedarf der Betonung, denn der Mensch tut im Moment alles, um den Haibestand zu gefährden. Der Hai jedoch, der in den Meeren an der Spitze der Nahrungskette steht, ist das große Korrektiv des Ozeans. Sterben die Haie aus, stirbt das Meer. Doch selbst dieses - noch - lebendige Meer scheint heute keinen Platz mehr zu haben für seinen früheren Herrscher. Der Megalodon aber ist auf dem besten Weg, sich neue Räume zu erschließen: In Büchern und Filmen und in Geschichten, die sich die menschliche Fantasie ausdenkt.

Und doch: Da ist auch noch der Quastenflosser . . .

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