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Hungrige Insekten

Von Alexandra Grass

Wissen
Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Ein Totalausfall der landwirtschaftlichen Produktion durch den Krieg gefährdet die Ernährungssicherheit weltweit.
© University of Vermont/Keith Ewing

Schreitet der Klimawandel voran, drohen massive Ernteausfälle nicht nur durch Dürre.


Seattle/Boulder//Wien. Getreidearten wie Weizen, Mais und Reis bilden die Nahrungsgrundlage für die Bevölkerung rund um den Erdball. Doch Ernteausfälle, wie sie aufgrund von Dürren in Folge des Klimawandels immer häufiger auftreten, könnten auf Dauer massive Probleme für die Ernährung der Weltbevölkerung bedeuten. Und nicht nur das. Denn auch gefräßige Insekten sorgen dafür, dass die Fruchtstände weniger werden. Schon heute verringern weltweit hungrige Insekten, Krankheiten und Unkräuter die Ernten um ein Drittel, berichtet ein internationales Forscherteam im Fachblatt "Science". Die Zukunftsaussichten sehen sie nicht besonders rosig, denn die kleinen Tierchen werden immer gefräßiger und mehr - auch aufgrund des Klimawandels.

Schon lange warnen Wissenschafter, dass die Erderwärmung über kurz oder lang den Nahrungsanbau beeinträchtigen wird. Extreme Wetterphänomene wie Dürren und Fluten seien aber eben nur eine Seite der Medaille - die gefräßigen Insekten die andere. Und je wärmer es wird, umso hungriger werden sie. Das hat mit ihrem Stoffwechsel zu tun.

Wärme macht leistungsfähiger

Während Säugetiere etwa ihre Körpertemperatur für gewöhnlich unabhängig von der Umgebung in etwa auf gleicher Höhe halten, schwankt sie bei den Insekten mit der Außentemperatur. Wird es wärmer steigt sie an. Dieser Vorgang wiederum führt bei den Tieren zu einem höheren Energiebedarf. Weizen, Mais und Reis sind dann die optimale Nahrungsquelle. Aber auch die Leistungsfähigkeit der Tiere steigt an. Die Folge davon sind noch mehr gefräßige Nachkommen.

Aufgrund dieser Aktivität gehen die Forscher laut ihren Berechnungen davon aus, dass Ernteausfälle beim Getreide mit jedem Grad Erderwärmung um zehn bis 25 Prozent höher sein werden, berichtet Studienautor Joshua Tewksbury von der University of Colorado at Boulder. Ein Anstieg um zwei Grad Celsius würde bedeuten, dass jedes Jahr 213 Millionen Tonnen dieser Sorten nicht in den Verdauungsorganen der Menschen landen. Als Grundlage für ihre Berechnungen bis ins Jahr 2050 dienten den Forschern etwa verschiedene Klimadaten, Statistiken über Ernteerträge und das Wissen über die Stoffwechselvorgänge bei Insekten.

815 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug Nahrung, schätzten Experten der Vereinten Nationen im Jahr 2016. Weizen, Mais und Reis sind die Grundnahrungsmittel für etwa vier Milliarden Menschen und decken rund zwei Drittel der Gesamtenergieaufnahme. Gröbere Ausfälle hätten demnach massiven Einfluss auf die künftige Ernährung. Und auch Europa bleibt davon nicht verschont. Denn die Studie zeigt, dass der europäische Brotkorb in Gefahr ist. 16 Millionen Tonnen Weizen könnten jährlich den gefräßigen Tieren zum Opfer fallen, so die Berechnungen. Elf europäische Länder, darunter Großbritannien, Dänemark, Schweden und Irland, erwarten eine Steigerung der Ernteausfälle um mindestens 75 Prozent.

Tropen begünstigt

Während die Europäer um ihren Weizen bangen, richten Nordamerikaner und Asiaten ihren Fokus auf die Gewächse in ihren Regionen - Mais und Reis. In den USA, dem weltweit größten Maisproduzenten, drohen um 40 Prozent mehr Ausfälle als bisher. Das würde eine Reduktion um mehr als 20 Millionen Tonnen jährlich bedeuten. In Asien würde der Verlust rund 27 Millionen Tonnen Reis treffen.

In den gemäßigten Regionen in Europa, Nordamerika und dem Norden Chinas sind Maiszünsler, Motten, Minierfliegen, Blattläuse oder Getreidewickler für die Ausfälle verantwortlich. Sie profitieren vom Klimawandel und können sich zum Schaden der hungrigen Bevölkerung optimal weiterentwickeln. In tropischen Regionen wiederum dürften die Einbußen durch Insekten viel geringer ausfallen, da dort die für die Tiere optimalen Temperaturbedingungen schon vorherrschen. Noch höhere Temperaturen schaden ihnen mehr, als dass sie nützen.