Zum Hauptinhalt springen

Turbo-Boost zurück zum Urknall

Von Eva Stanzl

Wissen
Solche Bahnen könnten Teile vor dem Aufprall im Future Circular Collider nehmen.
© freeimageslive/cern

Mit dem größten Ring-Beschleuniger der Welt will das Kernforschungszentrum Cern ungeklärte Rätsel des Universums lösen.


Wien. Der weltgrößte Ring soll es werden: Ein 100 Kilometer langer Teilchenbeschleuniger der Superlative könnte in 100 Meter Tiefe unter Schweizer und französischer Erde rund um den Genfer See gebaut werden. Wissenschafter des Kernforschungszentrums Cern in Genf prüfen die Machbarkeit. Ein Konzept für den "Future Circular Collider" soll bis Ende des Jahres stehen. Wenn sich die Mitgliedsstaaten für den Bau des "Kreisbeschleuniger der Zukunft" (FCC) entscheiden, soll er den derzeitigen Large Hadron Collider ablösen. Die Hoffnung sind neue Erkenntnisse, welche Physik die Welt zusammenhält.

Zum Hintergrund: Der Urknall ist die Entstehung von Materie, Raum und Zeit aus einer enormen Materie- und Energiedichte. Bei dieser ersten Explosion vor 13,8 Milliarden Jahren wurde eine nahezu unendliche Dichte letztlich zum heutigen Zustand. Um verstehen zu können, was im jungen Universum passierte, versuchen Physiker, in Teilchenbeschleunigern die Bedingungen von damals nachzustellen. Mit extrem hohen Energien schicken sie Teilchen in entgegengesetzte Richtungen los und lassen sie zusammenprallen. Aus den Zerfallsprodukten können sie lesen, was damals passierte.

Wenn Teilchen im Kreis rasen

Laut dem Standardmodell der Kosmologie bestand das frühe Universum aus Elementarteilchen und ihren Wechselwirkungen. Im Large Hadron Collider (LHC) in Genf, dem derzeit größten Beschleuniger, konnten die Physiker diese Theorie bestätigen. Das Problem ist nur, dass das Standardmodell nicht alles erklärt. Etwa bietet es keine Ansätze, warum es im Universum offenbar mehr Materie gibt als wir sehen. Die Dunkle Materie offenbart sich einzig über ihre Anziehungskraft, woraus errechnet wurde, dass sie ein Viertel des Alls ausmachen muss. Sichtbare Planeten, Galaxien und Sterne betragen nur fünf Prozent der kosmischen Masse. Ungeklärt ist auch die mysteriöse Dunkle Energie. Über sie weiß man nur, dass sie das Universum auseinandertreibt.

Physiker sind der Ansicht, dass sie diesen kosmischen Rätseln mit präziseren Messungen auf die Spur zu kommen können. Am Cern wird daher sowohl der bestehende LHC aufgerüstet, als auch nach einer neuen Beschleuniger-Generation gesucht - und zwar in gigantischen Dimensionen.

Mit dem am 15. Juni gestarteten HiLumi LHC-Projekt ("High Luminosity"; hohe Leistungsfähigkeit) wird die größte Forschungsanlage der Welt "frisiert" und auf neue Höchstleistungen getrimmt. An den 27 Kilometer langen ringförmigen Tunnel unter dem schweizerisch-französischen Grenzgebiet werden neue Tunnelstücke angebaut. Dazu kommen weitere Ausbauprojekte, die Gesamtinvestitionen betragen fast eine Milliarde Euro.

Unbekannte Partikel gesucht

Alles dreht sich um die Kollisionen, die Forscher wollen unbekannte Elementarteilchen aufspüren, um ungelöste Geheimnisse zu erklären. Der LHC soll bis 2025 leistungsstärkere Magneten bekommen und mehr Protonen auf Kollisionskurs bringen. "Dazu müssen auch die Detektoren mehr Ereignisse aufnehmen. Eindetektor ist wie eine 100-Megapixel-Kamera, mit der wir 40 Millionen Mal in der Sekunde ein Bild machen können", sagt Michael Benedikt, Dozent für Beschleunigungsphysik an der Technischen Universität Wien.

Mit dem Upgrade hat der LHC selbst eine Lebensdauer bis 2040. Dann wird er maximal ausgenutzt sein. "Würde man ihn ein weiteres Mal verlängern, würde man keine zusätzliche Information gewinnen", erklärt Benedikt, der als Studienleiter für den FCC am Cern fungiert: "Daher müssen wir versuchen, eine neue Infrastruktur bereitzustellen."

Der 100 Kilometer lange Ring soll die Grenzen des LHC um eine Größenordnung verbessern. Er soll mehr Energiedichte erzeugen und die Anzahl der Zusammenstöße pro Zeiteinheit erhöhen. Die Physiker wollen möglichst viele Kollisionsdaten in kurzer Zeit sammeln, schnellere Schlussfolgerungen machen und eine hohe Präzision in den Messungen durch mehr Statistik gewinnen.

Konkret werden zwei Typen von Kollisionsmaschinen geprüft. Der Lepton-Collider arbeitet mit leichteren Teilchen, indem er Elektronen und ihre Antiteilchen (Positronen) aufeinander jagt. In einem größeren Hadron-Collider würden so wie im LHC schwerere Protonen zur Kollision gebracht werden.

"Saubere" Zusammenstöße

"Man erreicht mit Lepton-Collidern saubere Kollisionen, da Elektronen und Positronen punktförmige Teilchen sind: Sie treffen sich oder nicht. Man kennt somit die Bedingungen, die bei dem Stoß zustande kommen, ganz genau", erklärt Benedikt. Im Hadron-Collider mit den schwereren Protonen kann man den Kreisbeschleuniger dafür zu wesentlich höheren Energien beschleunigen. Jedoch haben Protonen Unterstrukturen, die Quarks, und die Stoßbedingungen sind weniger genau bekannt. Es ist somit schwieriger, den Stoß genau auszuwerten.

Ob sich die Cern-Forscher letztlich für Präzisions- oder Höchstenergiephysik entscheiden, wird auch von den Ergebnissen des aufgerüsteten LHC bis abhängen. "Wenn die Dunkle Materie durch Teilchen repräsentiert ist, die wir nicht kennen, würde man erwarten, dass diese mit bekannten Teilchen leicht wechselwirken. Diese Wechselwirkungen würden man bemerken", betont Benedikt, der Samstagabend mit Wissenschaftern, Forschungsleitern und Jungforschern auf Initiative des Cern-Direktorats für Beschleuniger unter dem Titel "Forschung? Was geht mich das an!" um 19.30 Uhr im Naturhistorischen Museum Wien diskutiert.