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Große Gefahr durch kleines Plastik

Von Samuel Zettinig

Wissen
Plastikteile landen in den Bäuchen der Fische.
© StockAdobe/Richard Carey

Schädliches Mikroplastik gefährdet Tier, Mensch und Ökosystem. Projekte wie "Ocean-Cleanup" wollen gegensteuern.


Wien. Plastik ist Fluch und Segen zugleich. Als robustes und vielseitiges Material ist es vom Kinderspielzeug bis zur Verpackung überall in Verwendung und kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken. Gleichzeitig landet massenhaft Plastikmüll in der Natur, treibt in Flüssen und versinkt im Meer. Vergangene Woche ist das "Ocean-Cleanup"-Projekt gestartet, mit dem großflächig Plastik von der Meeresoberfläche entfernt werden soll. Damit können aber nur große Kunststoff-Objekte aus dem Wasser gefischt werden, bevor sie in viele kleine Teile zerfallen. Sogenanntes Mikroplastik ist dann außer der Reichweite von Putzaktionen wie "Ocean-Cleanup" oder sogar Kläranlagen. Das macht es fast unmöglich, die winzigen Kunststoffteilchen wieder aus der Umwelt zu entfernen.

Allgegenwärtiges Plastik

Und dort sind sie überall. "Über Flüsse gelangt Mikroplastik ins Meer, wo sich viel davon ablagert. Selbst in der Tiefsee im Marianengraben wurde es schon gefunden", erklärt Gerhard Herndl, der an der Universität Wien zu den kleinen Plastikpartikeln forscht, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auch an Land konnten die Teilchen bereits in den Böden nachgewiesen werden und sogar in der Luft schwirren sie herum. "Sie landen durch das Abreiben von Autoreifen in der Luft. Der Großteil der Partikel entsteht aber durch das Zerfallen von großen Kunststoffstücken. Daneben finden wir viel Mikroplastik in Kosmetika oder Kleidung", so Herndl. In der Natur überdauern diese Partikel über hundert Jahre.

Grundsätzlich werden in der Wissenschaft alle Teilchen als Mikroplastik angesehen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Anders als große Plastikobjekte können sie daher von Lebewesen aufgenommen, gegessen und eingeatmet werden. Das birgt Gefahren sowohl für die Umwelt als auch den Menschen, die aber noch wenig bekannt und erforscht sind. Obwohl die Forschung noch am Anfang steht, legt die überschaubare Anzahl an Studien nahe, dass mit Mikroplastik als Umweltschadstoff nicht zu spaßen ist.

Gefahr für Wasser und Land

Besonders die Ökosysteme im Meer könnten laut Herndl bei hoher Kunststoffteilchen-Konzentration gefährdet sein: "Plankton im Wasser verwechselt Mikroplastik mit Nahrung und stirbt deswegen. Es bildet aber die Basis der Nahrungskette. Alle Organismen, die Plankton fressen, haben dann weniger Nahrung und leiden darunter. Das führt dazu, dass es von allen Lebewesen weniger gibt - auch von Fischen beispielsweise". Korallen oder Muscheln seien genauso akut gefährdet, denn sie filtrieren die Kunststoffpartikel direkt aus dem Wasser. Wegen zu viel Aufnahme von Mikroplastik wurden bei Meerestieren bereits Entzündungen dokumentiert.

Auch an Land kann Mikroplastik Schaden anrichten, warnen Forscher. Im Boden bringt es die Fauna aus dem Gleichgewicht. Außerdem zerfallen Plastikpartikel immer weiter, wodurch zusätzliche Gefahren entstehen. So gelangen Zusatzstoffe wie Bisphenol A oder Phtalate in die Umwelt. Solche Substanzen würden laut Herndl den Hormonhaushalt stören: "Sie haben in Experimenten Mäuse dick gemacht." Diese Stoffe sind auch für den Menschen gesundheitsgefährdend.

Wenn Partikel kleiner als ein tausendstel Millimeter sind, können sie sogar in Zellen eindringen und dort zu Entzündungen führen oder die Verwendung von Genen durcheinanderbringen. Sogenanntes Nanoplastik wird auch über die Lunge aufgenommen werden, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann.

Die Schäden durch Mikroplastik könnten in Zukunft immer mehr spürbar werden, denn die weltweite Herstellung des Kunststoffes steigt laufend. "In den letzten 15 Jahren hat sich die Produktion von Plastik verdoppelt", warnt der Wissenschafter. In der EU fallen jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Auch Österreich ist betroffen, denn aus der Alpenrepublik werden jährlich 40 Tonnen Plastik über die Donau abtransportiert.

An Lösungen wird bereits gearbeitet: Mit dem "Zero Pellet Loss Pact" haben sich Teile der heimischen Industrie verpflichtet, weniger Kunststoff in die Natur zu pumpen. Ingeborg Zechmann vom Umweltbundesamt, das bereits mehrere Studien zur heimischen Mikroplastikbelastung durchgeführt hat, sieht in Österreich trotzdem Handlungsbedarf: "Das Ziel muss sein, Plastik nur dort zu verwenden, wo wir es wirklich brauchen, wo es keine Alternativen gibt." Essenziell dafür seien europäische Lösungen, denn die Kunststoffteilchen betreffen den gesamten Kontinent und seien im Weiteren deshalb auch ein globales Problem.

Raus aus Kosmetika

An EU-weiten Lösungen arbeitet auch das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, so Pressesprecher Daniel Kosak. Man habe sich deswegen für die EU-Plastikstrategie eingesetzt. Damit sollen unter anderem Recycling gefördert und die Verwendung von Einwegkunststoffen, die oft in der Natur landen und zu Mikroplastik zerfallen, eingedämmt werden.

Das EU-Parlament hat am vergangenen Donnerstag über den europäischen Kunststoffplan beraten und fordert zusätzlich ein generelles Verbot von Mikroplastik-Zusätzen in Kosmetika. NGOs wie Global 2000 geht die Strategie ebenfalls nicht weit genug. Die Zeit drängt, weiß Gerhard Herndl: "Wenn die Produktion so weitergeht wie bisher, wird sich Mikroplastik in Zukunft merkbar auswirken."