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Die dunkle Seite der hellen Scheibe

Von Eva Stanzl

Wissen

Raumfahrt-Premiere: China ist nach eigenen Angaben mit einer Sonde auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelandet.


Beijing/Wien. Neuer Meilenstein der Raumfahrt: Chinas Raumfahrtbehörde CNSA ist nach eigenen Angaben die erste Landung einer Sonde auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelungen. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua und das chinesische Staatsfernsehen Donnerstagfrüh berichteten, erreichte "Chang’e 4" um 3.26 Uhr mitteleuropäischer Zeit ihren Landeplatz im Aitken-Becken auf der Mondrückseite.

In der chinesischen Mythologie ist Chang’e eine Göttin, die auf dem Mond lebt. Die nach ihr benannte Sonde schickte am Donnerstagmorgen ihr erstes Foto von der "dunklen Seite" über den Satelliten "Queqiao" zur Erde. Da der Mond eine direkte Funkverbindung blockiert, musste zuvor der Satellit am Lagrange-Punkt hinter dem Mond geparkt werden, wo ihn von beiden Himmelskörpern kommende Signale erreichen. "Queqiao" fungiert als Mittler, der den Funkschatten überbrückt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche Mondmissionen unternommen (siehe Grafik). Die letzte Astronauten-Crew, die den Trabanten betrat, war jene von Apollo 17 der Nasa im Jahr 1972. Alle bisherigen Raumschiffe setzten auf der erdzugewandten Seite auf. Nun ist das Reich der Mitte die erste Nation, der eine unbemannte Landung auf der Mondrückseite geglückt ist. Zuvor hatte es 2013 die Sonde "Chang’e 3" auf die Vorderseite geschafft. Nun hat China eine Premiere vollzogen.

"Chang’e 4" startete vom Kosmodrom Xichang in der Provinz Sichuan in Südchina am 7. Dezember des Vorjahres. Sie erreichte ihren Mondorbit am 12. Dezember. Nun soll sie mit ihren Instrumenten den Von-Karman-Krater im Aitken-Becken am Südpol untersuchen. Astronomen gehen davon aus, dass dieses bei dem größten Einschlag in der Mondgeschichte entstanden ist. Mit einem Durchmesser von 2,5 Kilometern und einer Tiefe von 13 Kilometern ist das Aitken-Becken einer der größten bekannten Krater im Sonnensystem und gleichzeitig das tiefste und älteste Becken auf dem Mond. Laut Experten schlug ein großer Himmelskörper mit einer derartigen Wucht ein, dass er sich durch die Kruste bis in den Mondmantel hinunter bohrte. "Chang’e 4" soll Felsen aus dem Mantelgestein untersuchen.

Weiters soll die Sonde die Schuttdecke auf der Oberfläche der Mondrückseite analysieren, um ein tieferes Verständnis zu gewinnen, wie der Erdmond entstanden ist. Einer gängigen Theorie zufolge ist er das Ergebnis eines spektakulären Crashs. Unser universeller Begleiter entstand demnach vor 4,5 Milliarden Jahren nach einem heftigen Zusammenstoß der Protoerde mit dem ihre Bahn kreuzenden, marsgroßen Himmelskörper Theia. Modellrechnungen legen nahe, dass danach ein zu 80 Prozent aus Theia-Material bestehender Mond und die Erde einander umkreisten. Der Schönheitsfehler: Bei Untersuchungen von Apollo-Mondgesteinsproben fand die Nasa weniger deutliche Unterschiede zwischen Erde und Mond als erwartet. Beide ähneln einander, aber nicht anderen Brocken des Sonnensystems.

"Chang’e 4" besitzt ein stationäres Landegerät mit zwei Kameras. Der Detektor "Lunar Lander Neutron & Dosimetry" wurde in Deutschland gebaut, ist so groß wie ein Taschenbuch und kann sowohl elektrisch geladene als auch nicht geladene Neutronen-Strahlen messen. "Vermutlich wird China das nächste Land sein, das eine bemannte Mondmission startet. Unsere Messung ist wichtig für die Vorbereitung solcher Missionen", erklärt Projektleiter Robert Wimmer-Schweingruber von der Universität Kiel im Gespräch mit dem Radiosender "Deutsche Welle".

Ein Spektrometer soll Radiofrequenzen aus dem All empfangen. Die Mondrückseite gilt als exzellenter Ort für störungsfreie Messungen, da sie von irdischen Funksignalen abgeschirmt ist.

Test, ob die Kartoffeln wachsen

"Lunare Mini-Bioshäre" heißt ein drei Kilo schwerer Behälter mit Saatgut, um zu testen, wie Kartoffeln und die Ackerschmalwand auf dem Mond gedeihen. Weiters sind biologische Studien mit den Eiern von Seidenraupen geplant. Auch eine Panorama-Kamera, einen Bodenradar für Bohrungen unter die Oberfläche und ein Spektrometer zur Mineralien-Bestimmung sind mit dabei.

China will sich in den Olymp der Raumfahrtnationen zu den USA und Russland katapultieren. In einem nächsten Schritt sollen "Chang’e 5" und "Chang’e 6" Mondmaterial zur Erde bringen. 2017 hatte das Reich der Mitte verkündet, Astronauten zum Mond bringen und mit einer Raumstation 2022 die Arbeit aufnehmen zu wollen. Restriktiver ging man bei der Ankündigungspolitik zum jetzigen Erfolg vor, der sich aus heutiger Sicht hervorragend für die Propagandamaschine geeignet hätte. Die geplante Landezeit wurde allerdings im Vorfeld nicht kommuniziert. China ist ein Spätzünder der Raumfahrt: Erst 2003 schickte es als drittes Land nach der Sowjetunion und den USA Astronauten in eine Erdumlaufbahn. Nasa-Chef John Bridenstone gratulierte. "Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist dies gelungen und es ist eine eindrucksvolle Leistung", sagte er am Donnerstag.