Zum Hauptinhalt springen

Mitdenkende Gebäude

Von Mathias Ziegler

Wissen
Das Quartier Heidestraße in Berlin ist ein Beispiel für vernetzte Lebenswelten und vielfältige Nutzungsmischung.
© Quartier Heidestraße

Haustechnik war gestern, die Zukunft gehört dem vollautomatisierten Haus, das dem Nutzer nicht nur wesentliche Informationen liefert, sondern auch neue Geschäftsmodelle eröffnet.


In Gebäude wird immer mehr Technologie gesteckt. Doch noch fehlt oft das Potenzial, sie entsprechend zu nutzen. Bei Drees & Sommer, einem Unternehmen, das auf Projektmanagement und bautechnische Beratung spezialisiert ist, macht man sich genau darüber Gedaken. Geschäftsführer Marc Höhne erklärt im Interview, welche neuen Möglichkeiten die Digitalisierung der Baubranche eröffnen könnte.

"Wiener Journal": Wie entwickelt sich die Baubranche?

Marc Höhne: Wir erleben derzeit mehr oder weniger eine Fortsetzung bestehender Trends. Eines der großen Themen ist die Digitalisierung, die uns etwa beim Projekt "cube berlin" der
CA Immo beschäftigt. Wir werden derzeit überrannt von Interessenten, was die intelligente Vernetzung von Gebäuden betrifft.

Also "Smart Home"?

Das ist eben nicht der richtige Begriff. Wir nennen es mittlerweile "Customized Smart Building", weil wir einen anderen Ansatz haben. In der Vergangenheit wurden viele Gebäude mit Technik regelrecht überfrachtet, und teilweise waren die Automatisationssysteme gar nicht mehr in der Lage, all der Technik überhaupt Herr zu werden. Am Ende hatte man eine Vielzahl von Stand-alone-Lösungen und zwei Dutzend Apps, aber nichts hat wirklich ganzheitlich funktioniert. Hier unterscheidet sich unser Ansatz von vielen anderen Systemen auf dem Markt. Wir schaffen sozusagen das Hirn, das sämtliche Daten verarbeitet und daraus neue Prozesse und auch Geschäftsmodelle kreiert.

Was steckt denn jene Technik – abgesehen von Heizung, Lüftung, Internetkabeln und Stromversorgung – tatsächlich in einem modernen Gebäude drinnen, die sich digitalisieren lässt?

Im "The Edge" in Amsterdam, dem bisher nachhaltigsten und intelligentesten Gebäude Europas, wurden weit mehr als vierzigtausend Sensoren verbaut. Im "cube berlin" sind es bei einer ähnlichen Größe nicht einmal halb so viele. Diese Sensoren können zum einen bei der Steuerung von Lüftung, Kälte oder Heizung helfen und andererseits auch dabei, Auslastungen effizienter zu gestalten. Wenn etwa auf 4000 Quadratmetern in vier Geschoßen in jedem Eck nur ein paar Leute sitzen, kann der Hinweis kommen: "Zieht euch heute bitte in diesem oder jenem Bereich zusammen, und in den anderen fahren wir Lüftung und Heizung oder Kühlung aufs notwendige Minimum hinunter." Und beim Facility-Management kann man dank Sensoren, statt einen Vertrag über soundso viele Quadratmeter Reinigung, Wartung und Instandhaltung abzuschließen, als Gebäudebetreiber zum Facility-Manager sagen: "Raum X und Raum Y reinigst du bitte – Raum Z wurde gar nicht benutzt, da brauchst du gar nicht hineinzugehen. In Raum W war hingegen eine Veranstaltung mit Catering, da musst du wohl den doppelten Reinigungsaufwand kalkulieren." Oder denken Sie an sogenannte IoT-Geräte: Da sagt Ihnen zum Beispiel eine Wasserpumpe, dass sie in drei Tagen kaputtgehen wird. Sie schickt selbst ein Signal an Ihren Facility-Manager, der quittiert das und schickt damit gleich seinem Verantwortlichen das notwendige Ersatzteil und dazu die Informationen, wo im Gebäude die Maschine steht, sowie den Online-Code aufs Handy für den Zugang. Damit kann er sich über die Indoor-Navigation orientieren. Und an der Pumpe enthält ein Chip die gesamte Online-Dokumentation mit allen Details für Reparatur oder Austausch.

Da amortisiert sich dann wohl auch die digitale Haustechnik früher.

Wir können aber noch nicht davon sprechen, dass wir hier tatsächlich schon "Best Practice" haben. Die ersten solchen Gebäude – und da zähle ich den "cube" in Berlin und "The Ship" in Köln dazu – sind ja derzeit erst in der Umsetzung. Was wir aber schon machen, und das bestärkt uns eigentlich in unseren Überlegungen: Wir haben beide Gebäude bereits digital in Betrieb genommen, weil es ja bei intelligenter Haustechnik immer heißt: "Das wird schon funktionieren. Das passt eh." Wir haben in Aachen auf einem Device-Stand alle Gadgets, die künftig in Gebäuden verbaut werden, integriert. Die Dienstleister können da zeigen, ob sie alles damit steuern können.

Wie viele haben es geschafft?

Am Anfang nur einer, mittlerweile alle. Aber sie sind teils jeden Monat gekommen und haben neue Updates ihrer Software getestet. Wir haben es jetzt in Betrieb genommen, und es funktioniert tatsächlich. Und so muss es auch zukünftig sein, deshalb werden wir in Aachen, wo wir in einem Start-up-Cluster sitzen und mit der RWTH (Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, Anm.) und zwei anderen Kooperationspartnern zusammenarbeiten, ein Zertifizierungsgebäude errichten. Alle Großen von Microsoft bis Amazon springen auf und wollen da mitmachen. Da steckt die Zukunft drinnen.

Nach dem gläsernen Kunden und dem gläsernen Patienten kommt jetzt also auch der gläserne Mitarbeiter oder Bewohner?

Natürlich steht sofort der Betriebsrat vor der Tür, wenn es um Digitalisierung geht, und da kommt dann genau dieses Argument: "Unsere Mitarbeiter werden alle transparent, das können wir nicht zulassen!" Nein, sie werden nicht transparent – diese Sensoren sind ja ein Stück weit dumm. Natürlich können wir aus den Daten diverse Dinge ableiten, aus denen sich neue Geschäftsmodelle ergeben. Und wenn man Betriebsräte von den Mehrwerten für den einzelnen Mitarbeiter überzeugen kann, kann man auch die Leute mit ins Boot holen.

Welche neuen Geschäftsmodellen meinen Sie da konkret?

Zum Beispiel, wenn der einzelne Nutzer ins Gebäude einfährt: Da wird schon am Kennzeichen erkannt, ob er hier arbeitet oder sich als Gast angemeldet hat. Er bekommt sofort Zugang zur Tiefgarage und dort einen Parkplatz zugewiesen, und sein Smartphone erhält die Indoor-Navigation und alle Zugangscodes. Auf dem Weg zur Besprechung macht ihm der Caterer aus dem Erdgeschoß gleich verschiedene Lieferangebote fürs Mittagessen. Da fängt dann das Geschäftsmodell an zu rennen. Denn dann sagt der Gebäudebetreiber zum Caterer: "Für jede Semmel, die du da verkaufst, verdiene ich zehn Cent mit." Überhaupt werden Gebäudeeigentümer künftig Plattformbetreiber wie Airbnb: Sie stellen etwas zur Verfügung und verdienen damit Geld –, die Nutzer müssen aber ihr Einverständnis geben, dass ihre Daten in irgendeiner Weise genutzt werden. Das hat jeder für sich im Griff.

Wann wird diese Digitalisierung auch im privaten Wohnbau interessant? Da greifen die angesprochenen Geschäftsmodelle ja wohl eher nicht, wenn die Bewohner untertags gar nicht daheim sind, sondern in der Arbeit.

Mittlerweile bieten ja schon viele Bestandshalter eine eigene Beschwerde-App oder ähnliches an. Im Wohnbereich geht es weniger um einzelne Gebäude, sondern um ganze Quartiere. Ein schönes Beispiel ist das Quartier Heidestraße in Berlin, das neu geschaffen wird. Die Nutzer dort sollen künftig im Viertel sowohl wohnen als auch arbeiten und einkaufen können. Es geht also um eine gemischte Nutzung, die in Wien derzeit immer weiter in den Hintergrund tritt. Wir haben immer mehr Monoquartiere voller Mikroapartments. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg werden nämlich die Wohnungen wieder kleiner, weil Wohnraum so teuer geworden ist. In Wien haben sich die Immobilienpreise binnen weniger Jahre teils verfünffacht. Aber ein Gebäude mit 500 Einheiten Mikroapartments: Wer soll denn da zukünftig wohnen? Da spreche ich jetzt weniger als Immobilienentwickler, der natürlich die Strategie dahinter kennt, sondern mehr mit der sozialen Ader des Architekten. Wir müssen doch eine soziale Durchmischung hinbekommen, dazu braucht es auch unterschiedlich große Wohnungen und eine stärkere Vermischung von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. Auch bei der Mobilität geht es um mehr Vermischung und zusätzliche Angebote. Da kommt zum Beispiel in so einem Quartier nicht ein öffentlicher Verkehr zum Einsatz, sondern der Investor stellt den Bewohnern seines Viertels ein autonom fahrendes Elektromobil zur Verfügung, das jeder via App rufen kann. Was wir jetzt schon sehen, sind Mobilitätshubs, wo es für das Wohnquartier ein gemeinsam genutztes E-Auto, E-Bike, einen E-Scooter oder E-Roller gibt. Auch da wird der Gebäudeeigentümer zum Plattformbetreiber.

Bei kompletten Neuerrichtungen funktioniert das vermutlich besser als bei Altbauten, die man adaptieren möchte?

Interessanterweise zeigen uns gerade die Anfragen in Bezug auf Digitalisierung, dass es ganz klar auch um Bestandsimmobilien geht, die saniert werden müssen. In Wien sehe ich hier viel Potenzial bei den diversen Büroimmobilien am Ring und am Gürtel aus den 1950ern und 1960ern, wo man sich fragt, wer da heute noch einziehen soll.

Wie halten Sie es in Bezug auf die Nachhaltigkeit mit der thermischen Sanierung? Da warnen ja Bauökologen davor, den Sondermüll der Zukunft außen an die Häuser zu kleben.

Da sprechen Sie wirklich eines meiner Herzensthemen an. Wir verbringen 70 bis 80 Prozent unserer Lebenszeit in Innenräumen – und wir wissen nicht, was alles aus den Stoffen, die verbaut sind, herauswabert, was wir da täglich einatmen. Wir wissen, dass sich bei Kindern die Allergieanfälligkeit in den vergangenen vier Jahrzehnten von 3 bis 4 Prozent auf 30 bis 40 Prozent erhöht hat. Wir wissen alle, dass die Entflammungshemmer im Styropor hoch krebserregend sind, und das Zeug ist bis heute nicht verboten. Ich muss gestehen, dass es auch bei den Gebäuden, die wir managen, außen drauf ist. Es ist halt auch eine Kostenfrage – obwohl man das alles wunderbar auch über mineralische Dämmung hinbekommen könnte, die ökologischer ist. Aber hier hinkt die Baubranche komplett der gesamten Wirtschaft hinterher. Ein Auto zum Beispiel kann heute zu 95 Prozent recycelt werden – aber ein Gebäude? Unser Ansatz ist es, wieder zu gesunden Baustoffen zu kommen und Kreislaufwirtschaft auch in der Bauwirtschaft umzusetzen: Wie kann ich Baustoffe, wenn das Gebäude in 40 bis 80 Jahren abgerissen wird, wiederverwenden? Beziehungsweise warum haben moderne Gebäude überhaupt eine so kurze Lebenserwartung, sollten es nicht eigentlich 200 Jahre sein wie bei den Gründerzeithäusern? Einen Holzleimbinder aus dem Dachstuhl könnte man später nicht einfach auf die Deponie führen oder verheizen, sondern Geld dafür bekommen, wenn er wieder in ein neues Gebäude eingebaut wird. Oder der Holzlieferant sagt überhaupt zum Bauherrn: "Ich verkaufe dir das Bauholz jetzt, aber ich kaufe es in 60 Jahren um den Preis X zurück." Es geht jedenfalls ganz klar um sortenreine Zerlegung und Weiterverwendung beim Abbruch. Da wird eine Glasscheibe noch in fünf andere Fenster eingesetzt. Es wird derzeit auch an neuen Betonsorten geforscht, bei denen eine echte Wiederverwertung möglich ist.

Am günstigsten sind aber immer noch Ziegelhäuser mit Styropor, und die meisten Häuslbauer schauen nun einmal auf den Preis.

Natürlich, aber wir haben vor kurzem für die Ruhrkohle eine neue, nachhaltige Zentrale gebaut und sind dabei mit 1,5 Prozent Kostensteigerung ausgekommen statt üblicherweise 4 bis 6 Prozent oder mehr. Wir sehen, dass auch die großen Baugesellschaften auf das Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft aufspringen. Aber wenn man sich etwa das Thema "Building Information Modeling" (optimierte Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken mit Hilfe von Software, Anm.) anschaut und als 100-Kilometer-Strecke betrachtet, dann haben wir bisher noch nicht einmal die ersten fünf Kilometer geschafft. Wenn man sich die Produktivitätssteigerung der Immobilienbranche in den vergangenen Jahrzehnten anschaut, dann sind wir das Schlusslicht unter allen Industriezweigen. Aber es wird sich noch so wahnsinnig viel entwickeln, dass wir das jetzt noch gar nicht erahnen können. Wir sind auch noch weit entfernt vom digitalen Zwilling unserer Gebäude. Wir haben zwar schon viele Daten, aber wir nutzen sie längst noch nicht so, wie wir könnten. Es gibt schon gute Tools, aber in den nächsten Jahren werden wir hier noch eine Revolution erleben.