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Schlüsselfaktor Röntgenblick

Wissen

Vor 125 Jahren entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen seine Strahlung, ohne die die High-Tech-Medizin nicht möglich wäre.


Sie zeigen die Sauerstoffaufnahme von Tumoren und damit deren Aktivität, die Positionen der Wirbelkörper oder die Struktur des Erbguts. Im besten Fall bestätigen sie, dass der Körper richtig arbeitet, im schlechtesten, wie krank er ist. Bildgebende Verfahren zählen zu den besten diagnostischen Instrumenten in der Medizin. Je präziser sie werden, desto größer sind die Chancen, gefährliche Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und zu heilen.

Ihre Existenz verdanken wir einem Zufall. Vor genau 125 Jahren, am späten Abend des 8. November 1895, experimentierte der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen mit elektrischen Entladungen in einer nahezu luftleer gepumpten Glasröhre. In seinem Laboratorium an der Universität Würzburg war es fast dunkel. Nur die Leuchterscheinungen in der Röhre erhellten den Raum. Röntgen umhüllte die Röhre mit schwarzem Karton. Trotz der Verdunkelung erhellte sich ein entfernt stehender Leuchtschirm.

Nobelpreis für Physik

Sechs Wochen verbrachte Röntgen fast Tag und Nacht im Labor. Irgendwann hielt er seine Hand zwischen die Röhre und den Leuchtschirm. Auf dem Schirm sah er den Schatten seiner Handknochen.

So ungefähr soll es sich zugetragen haben. Röntgen - geboren am 27. März 1845 in Lennep, das heute zur Stadt Remscheid in Nordrhein-Westfalen gehört, und gestoben am 10. Februar 1923 in München - verzichtete auf eine Patentierung, damit die Röntgenapparate schneller eingesetzt werden konnten, aber verfügte per Testament, dass all seine Aufzeichnungen nach seinem Tod verbrannt werden sollten. "Es weiß keiner, wie es wirklich passiert ist", sagt Roland Weigand vom Röntgen-Kuratorium Würzburg zur "Deutsche Presse Agentur". Der Verein hat die Wirkungsstätte des Physikers mit Originaleinrichtung und -geräten wiederentstehen lassen - die Jubiläumsfeier fällt jedoch Corona-bedingt aus.

Als gesichert gilt, dass die Strahlung in der Röhre entstanden sein musste. Sie drang durch das Glas, den Karton und die Luft, um die Moleküle im Leuchtschirm zum Leuchten anzuregen. Die Knochen schatteten die Strahlung ab. Röntgen nannte sie X-Strahlen, daher der englische Begriff "x-ray".

Turtelnde Skelette

Schon Ende 1895 veröffentlichte der Physiker seine Untersuchung in seinem Artikel "Über eine neue Art von Strahlen". Das während dieser frühen Forschung entstandene Foto von den Handknochen seiner Frau Bertha mitsamt Ring wurde zu einer Ikone der Wissenschaft. Weil luftleer gepumpte Glasröhren, auch Kathodenröhren genannt, zu dieser Zeit in zahlreichen Labors standen, konnten Kollegen an anderen Universitäten die spektakulären Ergebnisse rasch bestätigen. "Es ging wie ein Lauffeuer um die Welt", betont der scheidende Präsident der Universität Würzburg, Alfred Forchel.

Eine ursprüngliche Skepsis wich einem "Röntgenfieber". Die neue Möglichkeit, in den Körper und in Gegenstände zu blicken, faszinierte. Ein kurzer Film aus 1897 etwa zeigt ein flirtendes Paar, das mithilfe einer Röntgenkamera zu turtelnden Skeletten wird. Später standen in Schuhgeschäften kleine Röntgenapparate, um zu schauen, ob die Füße tatsächlich gut in die neuen Schuhe passen.

Röntgenstrahlen sind extrem kurzwellige, energiereiche elektromagnetische Strahlen, die Materialien durchdringen und somit durchleuchten. Für das Auge sind die Strahlen unsichtbar.

Auf einem Röntgenbild sind Knochen gut zu erkennen, Weichteile dagegen nicht. In der Technik lassen sich Werkstoffe prüfen, im Labor lässt sich die Struktur von Kristallen analysieren. Röntgenteleskope im Weltraum enthüllen energiereiche, kosmische Prozesse, etwa um Schwarze Löcher. Die Entdeckung führte zu einem neuen Zweig der Medizin: die Radiologie.

Wilhelm Conrad Röntgen erhielt für seine Erfindung im Jahr 1901 den allerersten Nobelpreis für Physik. 1905 hieß es beim Kongress der Röntgen-Vereinigung zu Berlin: "In dieser vervollkommneten Weise sind die Röntgenstrahlen (...) ein unersetzliches und unentbehrliches Hilfsmittel geworden." Daran hat sich nichts geändert.

Röntgenstrahlen revolutionierten sowohl die medizinische Diagnostik als auch andere Bereiche der Forschung. Die Doppelhelix-Struktur der DNA wurde mit Röntgen-Beugung aufgelöst. Die Struktur gleicht einer in sich gedrehten Strickleiter, deren Sprossen aus je zwei Bausteinen bestehen. Genforschung und Gentherapie wurden erst möglich, als der Aufbau des Erbgutträgers DNA verstanden war.

Corona-Gensequenz

Die Pharmaindustrie nützt die Strahlen zur Entwicklung neuer Medikamente. Mit hochintensiven Röntgenstrahlen lassen sich nämlich Viren wie das Coronavirus Sars-CoV-2 entschlüsseln und sogar Mutationen beobachten.

Viele der ersten Anwender trugen durch die starke Strahlung der Geräte schwere Schäden an Gewebe und Erbsubstanz davon. Ein Team um Gerrit Kemerink von der Abteilung für Radiologie und Nuklearmedizin des Maastricht University Medical Center schätzt, dass die Dosis für eine Untersuchung des Beckenknochens seither um das 400-Fache gesunken ist. Auch bei Herzuntersuchungen sei die Strahlung noch Anfang der 2000er weitaus höher gewesen als heute. Während die natürliche mittlere Strahlenbelastung der Menschen im deutschsprachigen Raum jährlich etwa 2,1 Millisievert beträgt, bekommt man bei einem Koronar-CT 0,3 bis 0,5 Millisievert ab.

Die Aufnahme eines Röntgenbildes ist Routine. Vor 125 Jahren gab es verwaschen aussehende Schwarz-Weiß-Bilder, heut machen Computertomographen scheibchenweise 3D-Bilder. Immer öfter erkennt eine Software die Störungen oder Tumore. Nur einzelne Krebszellen, die sich im Körper bilden, erkennt sie leider noch nicht.(est)