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Der Weg zur Sonne ist nicht frei

Von Gregor Kucera

Wissen

Astronauten werden an Bord der ISS eingesperrt, Sonden müssen umnavigiert werden: Schuld trägt der Weltraumschrott.


Aufräumen ist nicht für viele Menschen eine unterhaltsame und erfreuliche Tätigkeit. Aber man muss es machen. Wie wichtig es für die Weltbevölkerung ist, zeigen zwei Beispiele: zum einen die riesigen Plastikinseln in den Weltmeeren und zum anderen die unglaubliche Menge an Weltraumschrott, der rund um die Erde kreist. Beide bringen große Probleme mit sich und in beiden Fällen findet sich niemand, der den Müll wegräumen will oder kann.

Sie fliegen Geschossen gleich um die Erde herum. Tausende und abertausende Trümmerteile, abgeschaltete Satelliten und Teile von Raketenstufen werden zu einer Gefahr für neue Missionen im All. Nach mehr als 5.500 Starts in fast 60 Jahren Raumfahrt sausen um die Erde Teile in der Größe von Staubkörnern bis hin zu tonnenschweren Objekten. "Es gibt rund 23.000 Objekte, von denen man weiß, wo sie sind", sagte der Leiter des Programms Weltraumsicherheit der ESA im Kontrollzentrum im Darmstadt, Holger Krag. Das seien die Objekte mit einer Größe von zehn Zentimetern und mehr. "Es gibt aber noch viel, viel mehr kleine. Wir rechnen so mit fast einer Million ab einer Größe von einem Zentimeter." Alles in allem laut Krag Schrott mit einem Gewicht von rund 8.500 Tonnen - Tendenz steigend.

Gefangen in der ISS

Erst zu Beginn dieser Woche zeigten sich die Probleme mit dem Weltraumschrott erneut: Wegen der Gefahr von Trümmern im Weltall hat die US-Weltraumbehörde Nasa einen geplanten Außeneinsatz zweier Astronauten an der Internationalen Raumstation ISS abgesagt. Weil sich die Risiken für die Raumfahrer nicht abschätzen ließen, sollten Thomas Marshburn und Kayla Barron die ISS nicht wie geplant an diesem Dienstag verlassen. Der Einsatz solle zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, hieß es. Zunächst aber müssten weitere Informationen vorliegen. Um welche Art von Trümmern es sich handelt, wurde nicht mitgeteilt. 

Vor gut zwei Wochen hatte sich die Besatzung wegen einer befürchteten Kollision mit Weltraumschrott in zwei an der Station angedockten Raumschiffen in Sicherheit bringen müssen. Einen Tag später hatte Russland bestätigt, sein Militär habe eine Anti-Satelliten-Rakete getestet und einen ausgedienten Satelliten abgeschossen. International gab es viel Kritik, Russland habe damit die Sicherheit der ISS gefährdet. "Wir achten da jede Minute darauf, ob es eine Kollisionsgefahr gibt", sagte Krag. Bei einem Zusammenstoß eines Satelliten mit einem zehn Zentimeter großen Teil könne es schon eine Trümmerwolke geben. Wenn größere Trümmerteile unkontrolliert wieder in die Erdatmosphäre eintreten und abstürzen, bleibe auch eine Restgefahr für die Menschen. "Die ISS muss ein paar Mal im Jahr Ausweichmanöver machen." Ein ein Zentimeter großes Teil mit einer Geschwindigkeit von 40.000 Kilometern pro Stunde habe den gleichen Effekt wie eine in unmittelbarer Nähe explodierende Handgranate. "Und wir haben viele Objekte im All zurückgelassen, die Tonnen wiegen."

Auch die Weltraumsonde "Solar Orbiter" konnte letzte Woche nicht einfach Richtung Sonne geschossen werden. Es gibt einfach keinen freien Weg mehr. So musste die Sonde in relativ geringer Höhe an der Erde vorbeifliegen und die Wolken aus Weltraummüll durchqueren. Der Vorbeiflug stellte auch ein gewisses Risiko dar, wie das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mitteilte. Das IWF ist an zwei der insgesamt zehn wissenschaftlichen Instrumente an Bord beteiligt. Doch schlussendlich kam der "Solar Orbiter" unbeschädigt durch den Nebel aus Müll und konnte seine wissenschaftliche Mission aufnehmen.

Die MA48 der Hemisphäre

Was derzeit noch fehlt, wie übrigens auch bei den riesigen Plastikverschmutzungen der Weltmeere, sind Staaten und Organisationen, die den Müll einsammeln. Eine MA48 der Sphären sozusagen. Die nicht nur einsammeln, sondern auch recyclen. Experten sind sich einig, dass in den Weiten des Weltallschrottnebels einiges an wertvollen Materialien zu holen wäre. Es wird davon ausgegangen, dass sich in absehbarer Zeit einige neue Start-ups gründen werden, die sich mit dem Einsammeln des Mülls ihr Auskommen sichern wollen.

Die Konsequenzen sowohl in den Weltmeeren als auch in rund um die Erdsphären in beiden Fällen sind die gleichen, es muss wesentlich teurer ummanövriert und mitgedacht werden.





Der schnellste Weg ist meist verbaut und die Gefahr eine große. "Schrott wird sicherlich zu einem großen Problem. Heute viel mehr als noch vor ein paar Jahren, als man nur wenige Flugmanöver machen musste, um Schrott auszuweichen", sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher. Man dürfe nicht vergessen, dass viele Dienste auf der Erde von Satelliten abhängig sind - von der Kommunikation über die Wettervorhersage bis zur Navigation. "Das sind alles Infrastrukturen, an die wir gewöhnt sind. Wir verlassen uns auf sie", so Aschbacher. Die geschätzten knapp 129 Millionen Trümmerobjekte schießen mit Geschwindigkeiten von bis zu rund 25.000 Stundenkilometern durchs All und sind somit für erfolgreiche Raumfahrtmissionen eine stete Bedrohung.