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Die Masse der Geisterteilchen

Wissen
© KIT

Forscher wogen erstmals das leichteste bekannte Teilchen des Universums - das Neutrino.


Neutrinos sind wohl die faszinierendsten Elementarteilchen in unserem Universum. Erstmals konnte ein internationales Forscherteam ihr Gewicht benennen. Mithilfe einer tonnenschweren Waage erzielten die Wissenschafter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) damit einen Erfolg in der Teilchenphysik. Mit ihren Experimenten konnten sie 0,8 Elektronenvolt als Obergrenze für die Neutrinomasse bestimmen, wie sie im Fachmagazin "Nature Physics" schreiben. Damit wurde die sogenannte 1-eV-Barriere durchbrochen. Die Forscher feiern das als Erfolg.

In der Teilchenphysik zeichnen sich Neutrinos durch ihre sehr geringe Masse aus und weisen auf neue physikalische Phänomene jenseits unserer derzeitigen Theorien hin. Ohne eine Messung der Neutrinos würde unser Verständnis des Universums unvollständig bleiben, schreiben die Forscher um Guido Drexlin vom KIT.

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen und könnten eine wichtige Funktion bei der Bildung des Universums gehabt haben. Sie werden unter anderem bei Kernfusionen in der Sonne freigesetzt und spielen bei radioaktiven Zerfällen von Atomkernen sowie Supernova-Explosionen im Weltall eine entscheidende Rolle. Zudem sind sie überall, sie sind die häufigsten Elementarteilchen im Universum: Allein durch einen Finger strömen jede Sekunde Milliarden von ihnen. Weil sie so gut wie nicht mit ihrer Umgebung wechselwirken, merkt man davon nichts. Auch Planeten wie die Erde stoppen Neutrinos nicht.

70 Meter lange Anlage

Das macht es schließlich auch so schwer, sie zu erfassen. Dieser Herausforderung stellte sich das internationale Katrin-Experiment am KIT. Dieses erfordert einen großen technischen Aufwand: Die Anlage ist 70 Meter lang und beherbergt die intensivste Tritiumquelle der Welt sowie ein riesiges Spektrometer, um die Energien der Zerfallselektronen mit bisher unerreichter Präzision zu messen. Der Zerfall von Tritium wird in einem Vakuum gemessen. Es ist ein instabiles Wasserstoff-Isotop. Aus den Werten lässt sich die Masse der Neutrinos bestimmen. Die Maßeinheit für die Teilchen lautet nicht Gramm, sondern Elektronenvolt (eV)

Im Jahr 1930 postulierte der österreichische Nobelpreisträger Wolfgang Pauli erstmals die Existenz dieser Teilchen. Hintergrund war, dass beim Zerfall von Atomkernen Messdaten für Neutronen und Elektronen nicht zum Grundsatz der Energieerhaltung in der Physik passten - ein bisschen was fehlte oft.

Erst mehr als zwei Jahrzehnte später wurden die Neutrinos dann nachgewiesen und galten lange Zeit sogar als masselos. Wegen ungenauer Messapparaturen konnte man bisher auch kaum mehr über die Neutrinos sagen. Sie widersetzen sich gewissermaßen der wissenschaftlichen Beobachtung und werden von den Forschern daher auch "Geisterteilchen" genannt.

"Die Teilchenphysik-Gemeinschaft ist begeistert, dass die 1-e-V-Barriere von Katrin durchbrochen wurde", zitierte das KIT den beteiligten Neutronenexperten John Wilkerson von der University of North Carolina in einer Mitteilung. Im Jahr 2019 war nämlich eine Schranke von 1,1 eV festgesetzt worden.

Sterile Neutrinos finden

Bis Ende 2024 sollen die Messungen am KIT noch verfeinert werden, heißt es weiter. Ein neues Detektorsystem namens Tristan soll dann ab dem Jahr 2025 bei der Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos helfen. Tristan werde von besonderer Bedeutung sein, so die Forscher. Es werde Katrin ermöglichen, die Suche nach sterilen Neutrinos aufzunehmen. Solche wären Kandidaten für die geheimnisvolle Dunkle Materie, die sich bereits in vielen astrophysikalischen und kosmologischen Beobachtungen manifestiert hat, deren physikalische Natur allerdings bis heute noch unbekannt ist.(gral)