Zum Hauptinhalt springen

Aus leidenschaftlichem Entdeckergeist

Von Eva Stanzl

Wissen
Carmen Possnig (35): "Wenn eine Mission zur Verfügung steht, beginnt das Training."
© Eva Stanzl

Carmen Possnig könnte als erste Österreicherin ins All fliegen. Die Ärztin über ihre Faszination für anspruchsvolle Aufgaben.


Carmen Possnig könnte als erste Österreicherin ins All fliegen. Die 1988 in Klagenfurt geborene Medizinerin ist Ersatzastronautin der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). In einem Auswahlverfahren hat sie sich im November des Vorjahres unter rund 22.500 Bewerberinnen und Bewerbern aus ganz Europa durchgesetzt. Davor hat die Allgemeinmedizinerin im Rahmen eines einjährigen Aufenthalts in der Antarktisstation "Concordia" Auswirkungen von Isolation und geringem Sauerstoffgehalt auf die Crew erforscht. Seit 2020 macht sie an der Universität Innsbruck ihren PhD im Fachgebiet Weltraummedizin. Die "Wiener Zeitung" interviewte Possnig am Rande der ESA-Konferenz "Ready for the Moon" (Bereit für den Mond), die kürzlich in Wien stattfand.

"Wiener Zeitung": Warum möchte eine Ärztin Astronautin werden?

Carmen Possnig: Ich bin Ärztin, weil es mich fasziniert, wie der menschliche Körper funktioniert und wie man ihn heilen kann. Das Schöne am ärztlichen Beruf ist außerdem, dass man viele verschiedene Leute kennenlernt. Interesse an der Forschung habe ich, weil mir in der Berufsroutine Erkundung und Abenteuer, sowie das Erkennen der eigenen Grenzen und der Möglichkeiten, sie zu überschreiten, fehlen würden. Als Ärztin bin ich fasziniert von Weltraummedizin und insbesondere davon, wie gut wir Menschen darin sind, uns an verschiedene Situationen anzupassen. Einerseits ist es nämlich so, dass wir recht intolerant sind gegenüber Veränderungen in der Umwelt. Etwa funktioniert ohne Schwerkraft im Körper nichts mehr so richtig. Zugleich aber sind wir sehr gut darin, Lösungen für diese Probleme zu finden. Wir können als Menschheit sagen: Schwerelosigkeit bereitet uns Schwierigkeiten und ist gefährlich, aber wir können dank unserer technischen Lösungen auch ohne sie überleben. Das finde ich als Wissenschafterin spannend.

Im Rahmen eines einjährigen Aufenthalts erforschten Sie in der Antarktisstation "Concordia" die Auswirkungen von Isolation und geringem Sauerstoffgehalt auf die Crew. Über Ihre Erfahrungen beim Antarktisaufenthalt haben Sie das Buch "Südlich vom Ende der Welt" veröffentlicht. In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie "eine unglaubliche Zeit" dort hatten. Was genau war so toll?

Um meiner Faszination für neue Entdeckungen zu folgen, habe ich mich bei der ESA als Ärztin auf der Antarktisstation beworben. Es war eine Herausforderung. Ich wollte sehen, wie ich mit einer Situation in Isolation, etwa 1.000 Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, umgehen würde.

In diesem einen Jahr war es für die Dauer von vier Monaten praktisch Nacht. Das sind Gegebenheiten, die man sonst kaum auf der Erde findet - ein bisschen, als wäre man auf einem anderen Planeten. Zu erfahren, wie diese Gegebenheiten mich selbst und meine Crew sowohl im körperlich als auch geistig veränderten und wie sich das Teamverhalten verändert, war wahnsinnig spannend. Die Gruppe - wir waren 13 Leute - kannte sich davor nicht. Es war spannend, in ihr zu leben und zu sehen, wie wir uns selbst und wie sich unsere Beziehungen zu einander veränderten. Es war schön, wie wir gemeinsam diese Herrausforderung gemeistert haben. Es hat uns zusammengeschweißt.

Hat die Position als Reserveastronautin Ihr Leben verändert?

Es ist ein zweiter Vollzeitjob. Bei dem Auswahlverfahren hat sich die ESA für fünf Karriereastronauten und zehn Reserveastronauten entschieden. Letztere bleiben, so wie ich, in ihren normalen Jobs und halten Vorträge oder Präsentationen für die ESA. Mehrere Male pro Jahr gibt es Briefings mit Input über die europäische Raumfahrt. Wenn eine Mission zur Verfügung steht, beginnen wir mit dem Astronauten-Training.

Der Bedarf an einer aktiveren Rolle Europas in der Weltraumforschung stand kürzlich bei der ESA-Konferenz "Ready for the Moon" außer Frage. Langfristig sollen europäische Astronauten Schritte auf den Trabenten machen. Wann beginnen Sie mit dem Training hierzu?

Ich spreche von Kurzzeit-Missionen, für die man spezifisch neun bis zehn Monate trainiert. Der nächste Flug für die neue Klasse von ESA-Astronauten geht zur internationalen Raumstation ISS. Weiters gibt es reservierte Plätze für die Artemis-Mission der Nasa. Ob ich bis zum Mond komme, hängt von vielen Faktoren ab.

1991 absolvierte Franz Viehböck als bisher einziger Österreicher einen Weltraum-Aufenthalt im Rahmen der damaligen "Austromir"-Mission. Auch Sie haben jetzt die Chance auf eine Reise ins All, aber sie muss nicht zwingend eintreten. Macht Sie das nervös?

Ich denke, wir wurden ausgewählt, weil wir stressresistente Personen sind, die gerne auf langfristige Ziele hinarbeiten. Ich bin aber eigentlich sehr optimistisch, dass es funktionieren wird!

Entlang dem Motto "Ausbauen und Beschleunigen" strichen die Konferenzredner die wirtschaftliche Bedeutung der Weltraumerkundung für Europa hervor. Vermischen sich in den ambitionierten Plänen, Mond und Mars zu besiedeln, Wissenschaft und Gewinnstreben vielleicht etwas zu sehr?

Das finde ich nicht. Alles, was man ins All schickt, jedes Gramm, muss zuerst von der Wissenschaft entwickelt und dann von der Industrie gebaut werden, und kostet natürlich extrem viel und ist natürlich ein Wirtschaftsfaktor. Aber tendenziell kommt sehr viel mehr zurück. Wenn man ein Experiment auf die Raumstation sendet, ist das etwas Erprobtes. Es sind Experimente, die Resultate bringen, und diese Resultate sind gewinnbringend, indem sie Antworten auf wissenschaftliche Fragen liefern.

Was genau möchten Sie persönlich vom Mond wissen?

Es muss wahnsinnig toll sein, vom Mond aus einen Erdaufgang zu beobachten, also zu sehen, wie die Erde am Horizont erscheint. Es verändert, wie ich vermute, die Perspektive unseres zu Hauses, wenn wir sehen, wie klein es ist und dass wir es schützen müssen.

Was ist eigentlich der wissenschaftliche Wert riesiger Infrastrukturen auf dem Mond?

Der Mond ist unverändert seit dem Beginn seiner Existenz, wir können also von ihm viel über die Vergangenheit unseres Sonnensystems lernen. Weiters gibt es dort Wasser, dessen Untersuchung ein großer Wissensgewinn wäre. Und wir können auf dem Mond lernen, wie wir auf anderen Himmelskörpern leben können. Immerhin stellt der Trabant weniger Risiko als der Mars dar, da man von dort relativ schnell evakuiert werden kann. Wenn wir eine permanente Mondstation bauen, müssen wir außerdem Kreislaufwirtschaft in der Praxis erlernen - also Wasser möglichst effizient zu recyceln, Sauerstoff herzustellen oder uns von den Stoffwechselprodukten von Bakterien zu ernähren. Dieses Wissen könnten wir freilich zurückbringen und in vom Klimawandel bedrohten Gebieten einsetzen.