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Auf dem Weg zum Urknall

Von Eva Stanzl

Wissen

Kernforschungszentrum Cern widmet sich nun dem Rätsel der Dunklen Materie.


Wien. Als "Triumph der menschlichen Entwicklung" bezeichnete der britische "Economist" die Tatsache, dass Physiker des Europäischen Kernforschungszentrums Cern in Genf vergangenen Sommer das Higgs-Teilchen nachweisen konnten. Laut dem damit vollständig bewiesenen Standardmodell der Teilchenphysik liegen den Planeten und Sternen, der Schwerkraft und dem Leben auf der Erde zwölf Materiebestandteilchen zugrunde - sechs Arten von Quarks und sechs Arten von Leptonen. Das Higgs-Feld voller Higgs-Bosonen verleiht all diesen Elementarteilchen ihre Masse. Gefunden war des Rätsels Lösung, warum es uns überhaupt geben kann.

Doch was passierte am Anfang des Universums, als die Masse sich formierte? Zu einer "Reise zum Urknall" lädt ab Montag eine Ausstellung im Französischen Kulturinstitut in Wien. Die Wanderausstellung des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) zeigt, wie Materie entstanden ist und wie genau am Cern gearbeitet wird. Hinzu kommen sechs hochkarätige Vorträge. "Wir erforschen den Aufbau der Materie, indem wir die Bedingungen in der Epoche der Elementarteilchen kurz nach dem Urknall simulieren", sagte Hephy-Direktor Christian Fabjan am Donnerstag vor Journalisten.

Das Hephy ist an den Experimenten im Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) beteiligt, bei denen das Higgs-Boson gefunden wurde. Die Forscher erzeugen dabei Energie, wie sie eine zehnmilliardstel Sekunde nach dem Urknall herrschte. "Seit diesem Zeitpunkt kennen wir die Gesetze der Physik. Aber wir verstehen nur fünf Prozent der gesamten Materie", betonte Fabjan. Jene fünf Prozent eben, die sich durch das Higgs-Boson erklären lassen.

Von Teilchen durchdrungen

Doch der Rest? Rund 25 Prozent sind laut Physikern durch die Existenz einer Dunklen Materie gegeben. "Dunkle Materie übt eine Gravitation aus und beeinflusst die Bahnen von Lichtstrahlen im Kosmos. Wir Menschen werden ständig von Millionen dieser Teilchen durchdrungen - allerdings ohne, dass wir es merken, weil sie keine Wechselwirkung haben." Die Cern-Forscher wollen die Dunkle Materie nun nachweisen. "Wenn es sie gibt, dann werden wir sie am LHC erzeugen können", so Fabjan.

Die Forscher messen Dunkle Materie anhand von fehlender Energie. Sie lassen dazu zwei Protonen aufeinander prallen. Da sie wissen, wie viel Energie in den Protonen steckt, wissen sie auch, wie viel Energie bei deren Kollision herauskommen muss. Ein Dunkle-Materie-Teilchen, das eventuell bei dem Protonen-Aufprall entstünde, würde die Energiebalance durcheinanderbringen, weil es im Unterschied zu Protonen keine Energie erzeugt. "Wenn die Energiebalance bei der Messung schief liegt, dann ist Dunkle Materie durch die Kollision gegangen", so der Hephy-Chef.

Um den Beweis zu vervollständigen, will man auch ein hochsensibles Gerät entwickeln, um diese Teilchen in der kosmischen Strahlung nachzuweisen. Fabjan zufolge könnte Dunkle Materie in drei Jahren gefunden sein. Dann hätte die Physik Beweise für fast ein Drittel der Materie. Den Rest erklären sie durch Dunkle Energie, die das Weltall auseinandertreibt - sie jedoch ist ein Gebiet von Astronomen.

Beim Higgs-Boson mussten die Forscher Daten aus einer Million Milliarde Kollisionen auswerten, bevor sie es in einem kleinen Messbereich finden konnten. Bis Ende des Jahres werden weitere LHC-Daten gesammelt. "Das Higgs wird uns weiterhin beschäftigen, weil es sehr subtile Messungen gibt, wie es wechselwirkt, wodurch wir das Standardmodell mit hoher Präzision messen können", sagte Fabjan. Parallel dazu geht die Suche nach einer globalen Theorie der Physik voran, die anders als das Standardmodell auch eine Erklärung für instabile Teilchen bietet. Die LHC-Experimente sollen weitere 20 Jahre laufen.

Nichtsdestotrotz wird bereits der Bau eines neuen Teilchenbeschleunigers geprüft. Auf Initiative Japans, das auf mehrere Physik-Nobelpreise verweist, prüfen die am Cern beteiligten Länder einen Linear-Beschleuniger (der LHC ist mit 27 Kilometer Länge kreisrund) im Wert von einer Milliarde Euro, wovon Japan die Hälfte bestreiten würde. "Die Frage ist, ob es sich lohnt. Vielleicht reicht ja der LHC aus, um alle Fragen zu beantworten", so Fabjan.