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"Wie Seiltanzen im Dunklen"

Von Eva Stanzl

Wissen

Roboter Philae setzte vor einem Jahr auf einem Kometen auf. Für Hermann Böhnhardt, Leiter | der Rosetta-Landemission, ist die holprige Landung ein Erfolg, wenn auch mit Abstrichen.


Göttingen/Wien. Wenn er den 12. November 2014 beschreibt, klingt Hermann Böhnhardts Stimme bedächtig. "Als Philae auf dem Kometen aufsetzte, herrschte Freude", sagt der wissenschaftliche Leiter der Rosetta-Landemission. Einige Minuten später erhielt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln jedoch Hinweise, dass der Roboter wieder abgehoben hatte. "Niemand hatte damit gerechnet. Wir waren beschäftigt, die Messdaten, die anzeigten, was Philae auf dem Kometen tat, zu verstehen." Die Luft sei ihm aber nicht weggeblieben. "Aufregung entsteht aus Passivität", sagt Böhnhardt: "Ich aber befand mich in einem Zustand erregter Aktivität."

Am Donnerstag vor einem Jahr landete im Rahmen der europäischen Rosetta-Mission das erste von Menschen geschaffene Gerät auf dem Kometen 67P/Tschurjumov-Gerassimenko, kurz Tschuri genannt. Jedoch konnten seine Anker-Harpunen das Mini-Labor Philae nicht am Boden festkrallen. Es hob wieder ab und kam nach zwei Hüpfern 1,5 Kilometer vom vorgesehenen Landeplatz entfernt zum Stehen. Da der kühlschrankgroße Roboter dort zu wenig Sonnenenergie erhielt, waren seine Batterien nach knapp 60 Stunden wissenschaftlicher Arbeit erschöpft.

Ein Jahr danach wertet Böhnhardt das historisch-holprige Manöver als "sehr guten Erfolg. Wir konnten die Landeeinheit praktisch punktgenau absetzen und direkte Messdaten von der Oberfläche machen und auswerten. Dennoch können wir aus wissenschaftlicher Sicht nicht 100-prozentig zufrieden sein", sagt Böhnhardt zur "Wiener Zeitung".

Ein Komet ist eine Art Zwischenstufe bei der Bildung von Planeten. Eine genaue Kenntnis ihrer Kerne ist ein wichtiger Schritt für unser Wissen über die Entstehung des Planetensystems. "Ein Ziel der Landung war die Langzeit-Beobachtung der Oberfläche des Kometen auf seinem Weg zur Sonne. Wir wollten seine Tagesform von seiner längerfristigen Entwicklung unterscheiden." Stattdessen konnte man nur einen Eindruck gewinnen: Die meisten Instrumente waren nur etwa 20 Minuten aktiv. Aussagen zu Tag- und Nachtbedingungen und für unterschiedliche Entfernungen des Kometen zur Sonne geben solche Messungen nicht her. Zudem sollte die Muttersonde Rosetta, die den Kometen bis Ende 2016 umkreist, ihre Daten laufend mit jenen des Landers abgleichen. Nun fehlt dieser Gegencheck.

Dennoch sieht der Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen "ein paar schöne, unerwartete und sehr wertvolle Resultate". So zeigen Daten des Magnetometers, dass der Kern kein eigenes Magnetfeld hat. Das entkräftet eine bisherige Theorie der Kometenbildung. "Auch bei der Entstehung unseres Planetensystems spielen Magnetfelder offenbar eine geringere Rolle als angenommen. So etwas kann man nur exakt messen, wenn man auf einem Kometen landet", betont Böhnhardt.

"Wir bohrten, wo wir standen"

Weiters habe Tschuri eine komplexere Organik, als zuvor beobachtet werden konnte. Laut dem Experten existieren dort Alkoholverbindungen und Aldehyde, vielleicht auch Aminosäuren. Der Lander sollte erforschen, ob es sich dabei um Aminosäuren handelt, wie sie bei irdischem Leben vorkommen. "Letztlich geht es um die Frage, ob biologisch relevantes Material von außen geliefert wurde", sagt Böhnhardt.

Die zum Beweis nötigen Bodenproben konnte Philae aber nicht mehr entnehmen. "Mit heutigem Wissen kann man sagen: Wir hätten den Lander um 60 Grad drehen sollen, damit sein Bohrer den Boden erreicht und Proben nehmen kann. Aber wir wussten damals weder, wo der Lander steht, noch kannten wir das Gelände", erklärt der MPS-Forscher. "Trotzdem mussten wir uns für bestimmte Experimente entscheiden. Philae zu drehen, wäre wie ein Lotteriespiel gewesen - gleichzeitig wurde die Batterie leergesogen. Also bohrten wir, wo wir standen. Es war ein bisschen wie Seiltanzen im Dunklen."

Bis Februar umfliegt die Sonde Rosetta den Kometen so, dass ein neuerlicher Kontakt zu Philae möglich wäre - wenn die Sonne genug Licht auf seine Solarzellen wirft. Dann wollen die Forscher den Kometenkern durchstrahlen, um seine Schichten zu erkunden. Für eine neue Kometenlandung würde Böhnhardt ein Gerät wählen, das Material zur Erde zurückbringt. "Rosetta ist allerdings die letzte Kometenmission für zehn bis 15 Jahre", erklärt der Raumforscher.