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Künstliche Sonne mit Endlos-Energie

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Sonne auf die Erde holen: Wasserstoffplasma-Erzeugung in der Anlage "Wendelstein 7-X".
© IPP

In Deutschland wurde eine neuartige Forschungsanlage für Kernfusionen in Betrieb genommen. Ziel ist, die unerschöpfliche Sonnenenergie nachzuahmen. Die Forscher rechnen mit stabilen Erfolgen. Sind unsere Energieprobleme bald gelöst?


Greifswald/Wien. Unerschöpflich viel Energie erzeugen, so wie die Sonne: Das ist die Idee der Kernfusion, die seit Jahrzehnten die Fantasie der Energiepolitik beflügelt. Dabei soll ähnlich wie in heutigen Atomkraftwerken mit Atomen Strom erzeugt werden. Jedoch werden bei der Kernfusion die Atomkerne nicht gespalten, sondern verschmolzen. Das ist ungefährlicher, hinterlässt weniger stark verstrahlte Reaktoren und verseucht die Umwelt laut Experten weniger.

Seit 4,6 Milliarden Jahren leuchtet unsere Sonne. Als Motor des Lebens zeigt sie uns, dass das Prinzip perfekt funktioniert. Doch in Reaktoren auf der Erde hat es noch niemand geschafft, die Energieproduktion unseres Heimatsterns nachzuahmen. Mit einer neuartigen und weltweit einzigartigen Forschungsanlage in Greifswald nahe München wollen deutsche Physiker dem Wunder Kernfusion nun näher kommen. Das Besondere an der Maschine namens "Wendelstein 7-X" des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP): Sie soll dazu in der Lage sein, Wasserstoff-Plasma dauerhaft herzustellen. Genau dies ist der Schritt, den die Forschung zu überwinden sucht.

4 Kübel Wasserstatt 40 Tonnen Kohle

Am Mittwochnachmittag erzeugte "Wendelstein 7-X" das erste Wasserstoff-Plasma in Deutschland und startete damit seinen wissenschaftlichen Betrieb. Für etwa eine halbe Sekunde wurde bei einer Temperatur von vielen Millionen Grad aus Wasserstoff Plasma, erläuterte Robert Wolf, einer der IPP-Direktoren. Bis 2020 sollen die Entladungen schrittweise bis auf 30 Minuten verlängert werden.

Was wie verschwindend wenig klingt, wäre laut den Forschern fantastisch. Denn in der Kernfusion sind 30 Minuten so etwas wie eine magische Grenze, nach der es automatisch aufwärts geht. "Wenn wir es schaffen, Wasserstoff-Plasma 30 Minuten lang zu erhalten, dann schaffen wir auch 365 Tage, denn in der ersten halben Stunde passieren alle kritischen Prozesse. Danach stellt sich eine Art Brennkammer-Gleichgewicht ein - das Plasma hat dann so etwas wie Reiseflughöhe", erläutert Projektleiter Thomas Klinger vom IPP im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Und damit könne künftig aus vier Kübeln Wasser so viel Energie gewonnen werden wie heute aus 40 Tonnen Kohle.

Warum meinen die Physiker, dass sie das mit "Wendelstein 7" eine echte Kopfnuss der Forschung knacken könnten? Zum Hintergrund: Die Sonne ist ein glühender Ball aus Wasserstoff und Helium. Das Kraftwerk unseres Sterns liegt in seinem Innersten, wo die Temperaturen 15 Millionen Grad erreichen. Die Wasserstoff-Atome der Sonne sind in Kerne und Elektronen zerlegt. Dieser Zustand wird Plasma genannt. Plasma ist ein ionisierendes Gas, in dem die Wasserstoffkerne verschmelzen. Dabei entstehen Heliumkerne und jede Menge Energie.

Hoher Druck im Innersten der Sonne ermöglicht Fusion

"Der Druck im Innersten der Sonne sorgt dafür, dass diese Fusionsreaktionen ablaufen", heißt es in einem Video auf der IPP-Homepage. Doch Druck so hoch ist wie im Zentrum der Sonne könne auf der Erde nicht erzeugt werden. Die Forscher müssen daher höhere Temperaturen für die Fusion schaffen und Plasma auf 100 Millionen Grad aufheizen. Das Aufheizen ist allerdings nicht das Problem. Viel schwieriger ist es, die Temperatur in der Fusionskammer zu halten. Sobald das Plasma mit der Wand der Kammer in Berührung, kühlt es nämlich sofort wieder ab. Daher müssen die Forscher - vereinfacht gesagt - über 100 Millionen Grad heißes Plasma in der Brennkammer schweben lassen, sodass es die Wände nicht direkt berührt. Sie nutzen dabei Magnetismus.

Plasma besteht aus positiv geladenen Atomkernen und negativ geladenen Elektronen, die durch elektrische und magnetische Felder beeinflusst werden können. Das Gas kann sogar in Magnetfeld-Käfigen eingeschlossen werden. Allerdings dürfen die Teilchen an den Polen des Magnetfelds nicht entkommen, was nur bei ringförmigen Plasmen gelingt.

Seit Ende der 1940er Jahre versuchen Physiker, die Plasma-Eigenschaften zu begreifen. Ende der 1960er Jahre meldeten russische Forscher erstaunliche Erfolge mit einer Anlage des Typs Tokamak, der in seiner Form an eine Donut erinnert und bis heute verwendet wird. Bis 1997 konnten die Ergebnisse damit so weit verbessert werden, dass sie nur noch um den Faktor 6 von den Zündbedingungen des echten Plasmas entfernt waren. Allerdings musste stets mehr Energie aufgewendet werden, als herauskam, und der Zustand konnte nur ein paar Augenblicke lang aufrechterhalten werden kann. 2007 begann in Südfrankreich der Bau von Iter, das größte Experiment in der Geschichte der Fusionsforschung, ebenfalls eine Tokamak-Anlage.

Die Form eines verdrehten Fahrradschlauchs

"Wendelstein 7-X" ist ein sogenannter Stellerator, der auf neuartige Weise gebaut ist. "Wir haben dem ringförmigen Magnetfeld eine ganz besondere Form gegeben, die einen verwundenen Fahrradschlauch erinnert", erklärt Projektleiter Klinger: "Diese heftige Form des Magnetfelds erlaubt es, ein Plasma aufzubauen, das - anders als bei Tokamak-Anlagen - keinen starken Strom enthält. Das Plasma wird dadurch reiner und damit viel stabiler. Somit kann man es dauerhaft aufbauen."

Nach der Inbetriebnahme am Mittwoch müsse man nun noch die Innenverkleidung der Brennkammer vollständig mit speziellen Kacheln auskleiden, welche die Plasma-Stabilität unterstützen. Wenn es gelingt, könnte eines Tages aus Fusionsenergie tatsächlich Strom werden. Der erste wirtschaftlich nutzbare Reaktor ist allerdings laut Experten frühestens 2050 zu erwarten.