Zum Hauptinhalt springen

Software dirigiert den Alltag

Von Eva Stanzl

Wissen
Welt und Leben zwischen 0 und 1: Das ist die Vision von CPS-Experten .
© CPS Week 2016

Cyber-physikalische Systeme sollen alle digitalen Aktivitäten wie ein Uhrwerk auf einander abstimmen.


Wien. Sieben Uhr ist’s, der Wecker läutet am Handy. Fünf Minuten später schaltet sich die Dusche von selbst ein und während dem Brausen startet die Kaffeemaschine. 30 Minuten danach steigt der Arbeitnehmer der Zukunft, fix-fertig angezogen und mit Kaffee im Bauch, ins Auto, das ihn zum Bahnhof bringt. Und während der selbstfahrende Zug Richtung Salzburg startet, parkt das Auto schon wieder zu Hause ein, schaltet die Waschmaschine sich an und schickt der Kühlschrank eine Einkaufliste an den Supermarkt um die Ecke. Die Lebensmittel werden am Abend, in ein Sackerl gepackt, vor der Tür stehen, damit der Wissensarbeiter nach seiner Tages-Dienstreise nicht hungern muss.

So oder so ähnlich dürfen wir uns eine Welt vorstellen, in der nahezu alle Prozesse digital gesteuert und vernetzt sind und ohne Software kaum etwas läuft. Ziemlich wahrscheinlich ist das tatsächlich die Zukunft. Denn Großkonzerne wie General Electric, Bosch, Siemens und Airbus liefern sich derzeit ein Rennen mit Internetriesen wie Facebook, Amazon und Google, um bei der Entwicklung der nötigen Software den Ton anzugeben. "Es ist die digitale Transformation aller unserer Produkte", brachte es Heinrich Dämbkes vom Flugzeug- und Rüstungskonzern Airbus am Mittwoch vor Journalisten auf den Punkt.

Den Entwicklungen zugrunde liegen cyber-physikalische Systeme (CPS). Das sind Software-Architekturen, die sicherstellen sollen, dass die Armada aus Sensoren und Mini-Computern nicht gegeneinander arbeitet, sondern jedes Rädchen der digitalen Welt seine Aktivitäten in Einklang mit allen anderen ausführt. Die Vernetzungssysteme sollen auch auf spontane Planänderungen des Computers eingehen, der seine Aktivitäten der Situation anpasst. Nur so können sich nämlich Vorhaben wie selbstfahrende Autos verwirklichen: Sie sollen selbst in der Rush Hour ohne Lenker vorankommen, dabei die Verkehrsregeln beachten und bei Hindernissen rechtzeitig bremsen.

Algorithmen in jedem Objekt

Wann und wie die Vision dieser alles durchdringenden Digitalisierung Wirklichkeit werden soll, loten rund 1000 Experten bei der derzeit in Wien stattfindenden "CPS Wekk 2016" aus. Die von der Technischen Universität (TU) Wien organisierte Fachkonferenz hat zudem zum Ziel, "die Bedeutung dieser Veränderungen für Industrie und Gesellschaft unter die Lupe zu nehmen", betonte Radu Grosu vom Department for Computer Engineering der TU Wien am Mittwoch. Das Forschungsgebiet CPS erstreckt sich vom Transport über Energie, Medizintechnik, Pflege und Bildung bis hin zur Industrieproduktion. Zu Frage, wann alles wie von Geisterhand automatisch laufen wird, schieden sich aber die Geister. "Wir verstehen das Problem Klimawandel noch nicht, weil das System Klima so kompliziert ist. Und nun schaffen wir uns ein eigenes, ähnlich komplexes System mit ähnlich starker Eigendynamik", sagte Werner Damm, Professor für Sicherheitskritische Eingebettete Systeme der Universität Oldenburg. Auch Edward Lee von der Universität Berkeley, der die CPS-Forschung 1978 mitbegründete, sieht diese "erst am Anfang eines zutiefst intellektuellen Problems."

Sabine Herlitschka, Österreich-Chefin von Infineon, hingegen stellt einen Teil ihrer Chips bereits vollautomatisch gesteuert her. "In zehn Jahren wird niemand mehr über CPS reden, weil jeder diese Technologien - so wie das Handy - ganz natürlich verwendet. Alles wird viel schneller ablaufen als heute und bequemer sein", sagte sie. Wenn die nötigen Internet-Bandbreiten vorhanden sind. In Österreich fehlen sie derzeit noch besonders auf dem Land. "CPS sind wie ein neues Internet, das viel leistungsfähiger ist. Es wird sich somit auch ein Geschäftsmodell für höhere Bandbreiten entwickeln, damit jeder das neue Internet zu Hause haben kann", betonte Joe Salvon von General Electric.

Es bleibt die Frage, ob Otto Normalbürger es will, dass Energiekonzerne oder der Arzt oder die Autowerkstatt wissen, wann er die Zähne putzt, seine Wäsche wäscht, Blutdruck misst oder die Reifen tauscht. Oder, wie Edward Lee unterstrich: "Eines der größten, weil ungelösten, Problemen dieser zunehmenden Vernetzung ist, wie wir das private Leben vor diesen immer allgegenwärtigeren digitalen Systemen schützen können."