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3D-Landkarte der Stammzellen

Von Alexandra Grass

Wissen

Eine neue Methode soll klären, wie sich Körperzellen für ihre speziellen Aufgaben entscheiden.


Wien. Im Inneren jeder Zelle, dem Zellkern, befindet sich ein zu einem winzigen Knäuel zusammengefalteter, rund zwei Meter langer DNA-Faden. Dieses scheinbar heillose Erbgut-Durcheinander haben Forscher nun genauer inspiziert. Ihren Untersuchungen zufolge scheint hinter diesem Wirrwarr ein System zu stecken - nämlich eine dreidimensionale Struktur, in der sich bestimmte Regionen in jeder Zelle an einem ähnlichen Platz befinden. Somit ist es dem Forscherteam um Ernest Laue von der Universität Cambridge erstmals gelungen, diese 3D-Strukturen im Genom einzelner Säugetierstammzellen zu klären.

Diese Organisation ist nötig, damit wichtige Informationen innerhalb der Zelle möglichst rasch abgelesen werden können und Gene ihre Regulatoren in unmittelbarer Nähe haben. Ziel der Forscher ist, diese Mechanismen zu verstehen, die auch die Identität der Zelle festlegen, beschreiben sie im Fachblatt "Nature".

Programmänderung

"Jetzt wissen wir, wie sich in kleinem Maßstab Stammzellen verhalten", betont der an den Forschungsarbeiten beteiligte Martin Leeb von den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Was die Forscher allerdings noch nicht wissen, ist, was passiert, wenn sich diese kleinste Einheit des Organismus etwa zu einer Nervenzelle umrüstet.

Im Zuge einer solchen Identitätsumwandlung wird das Genom umgebaut und neu strukturiert, denn eine Hautzelle verhält sich anders als eine Herzzelle. Die Anleitung für diese Programmänderung sitzt im Zellkern. "Je nachdem, welcher Index oder welches Lesezeichen zum Einsatz kommt", findet diese Umwandlung - die Stammzelldifferenzierung - statt.

Um die Genomstruktur in den Stammzellen darstellen zu können, nahmen die Wissenschafter zunächst hochauflösende Mikroskop-Bilder einzelner Mauszellen auf und bestimmten dann die dreidimensionale Form des darin enthaltenen Erbguts. Dafür verwendeten sie eine biochemische Methode, die Auskunft darüber gibt, wo unterschiedliche Abschnitte des DNA-Fadens räumlich nahe beieinander liegen. Um ein vollständiges Bild jeder Zelle mit ihrem Erbgut zu erhalten, legten die Forscher schließlich beide Auswertungen übereinander. "Damit können wir feststellen, ob es zwischen einem bestimmten Zellverhalten und der Genomstruktur einen Zusammenhang gibt", betont Leeb.

Zudem hat jede DNA-Einheit, also jedes der rund 20.000 Gene im Zellkern, einen gewissen Platz, so der Forscher weiter. Besonders aktive Gene sitzen eher im äußeren Bereich, inaktive Gene hingegen im inneren Bereich dieses Erbgutknäuels. Somit gleichen sich die Stammzellen wiederum - unter Beibehaltung einer gewissen Flexibilität.

Vorahnung ungewiss

Mit der nun angewendeten Methode sei es den Forschern möglich, die Veränderung der Genomstrukturen in dynamischen Systemen zu untersuchen - also die Prozesse, die entstehen, wenn sich eine Stammzelle für einen bestimmten "Beruf" entscheidet und sich zu einer spezialisierten Körperzelle entwickelt. Im Zuge dieser Stammzelldifferenzierung wird die Erbgutstruktur im Kern mitunter massiv umgebaut, um die Zelle auf ihren zukünftigen Job vorzubereiten.

Was die Wissenschafter allerdings auch noch nicht wissen, ist, ob die Stammzellen schon eine gewisse Vorahnung haben, was diesen nächsten Schritt betrifft. Im Stammzellstadium ist dies voraussichtlich noch nicht der Fall, "denn da können alle Zellen noch alles machen", erklärt Leeb. Geklärt ist auch noch nicht, wann diese Entscheidungen hin zur Differenzierung letztendlich fallen und ob das auch mit der zellinternen Organisation, der Genomstruktur, in einem Zusammenhang steht.

Ob sich anhand der Genomstruktur irgendwann einmal vorhersagen lässt, wohin sich eine Zelle entwickelt und welches Potenzial sie hat, steht noch in den Sternen.