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Die Teilchenjäger

Von Eva Stanzl

Wissen
"Aegis" - in diesem Bild von innen gesehen - heißt ein Experiment, mit denen Physiker der mysteriösen Antimaterie auf der Spur sind, die nach dem Urknall existierte.
© Cern

Das Kernforschungszentrum Cern nimmt den Betrieb 2018 auf - gesucht werden Lösungen für die großen Rätsel der Physik.


Genf. Eine silbrig verkleidete Röhre - um sie herum in fächerförmiger Anordnung Magnete und Messgeräte, die Teilchen bei ihrer rasenden Reise durch die Röhre registrieren: Die Rede ist von einem Teilchendetektor am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf. Am Montag wird die Anlage nach der Winterpause wieder in Betrieb gesetzt. Das bedeutet die Fortsetzung des sogenannten CMS-Experiments, mit dem nicht nur das Standardmodell der Teilchenphysik überprüft wird, sondern auch nach möglicher Physik abseits dessen gesucht wird.

So gelang mit den Teilchendetektoren im 27 Kilometer langen Beschleuniger "Large Hadron Collider" im Jahr 2012 der nobelpreisgekrönte Nachweis des Higgs-Boson, das allen Elementarteilchen, Lebewesen und Objekten im Universum Masse verleiht.

Zum Hintergrund: Protonen, Neutronen und Elektronen bilden Atome. Atome bilden Moleküle und aus ihnen besteht die Welt, wie wir sie kennen. Doch es gibt auch instabilere Teilchen, die schnell zerfallen und am Beginn des Universums zahlreich vorhanden waren. "Anders als heute, wo alles aus recht stabilen Bausteinen besteht, die weit auseinander liegen, war es kurz nach dem Urknall eng und dicht - man kann sagen, alles lag in einem kleinen Punkt beinander", erklärt Cern-Physikern und Projektleiterin Edda Gschwendtner.

"Wenn wir heute Teilchen eng zusammenpacken und mit extrem hohen Energien beschleunigen, können wir die Situation knapp nach dem Urknall simulieren und untersuchen, was passierte", sagte sie am Rande eines Besuches von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann am vergangenen Dienstag im Cern, zu dem auch die "Wiener Zeitung" auf Einladung des Ministeriums mitreiste. Es gehört zur Tradition, neu gewählte Staatsoberhäupter oder neu bestellte Wissenschaftsminister aus einem der 22 Mitgliedsländer nach Genf einzuladen, zumal sie auch für das Budget von knapp einer Milliarde Euro aufkommen.

Das Cern wurde 1954 gegründet, um den Beweis für die Theorie zu erbringen. Das Standardmodell der Teilchenphysik umfasst viele subatomare Bausteine des Alls mitsamt ihren Wechselwirkungen und das Higgs-Boson war der letzte fehlende Puzzlestein. Doch viele Physiker sind heute der Ansicht, es müsse mehr Teilchen geben, als das Modell vorsieht. Sie haben sich auf die anspruchsvolle Suche nach diesen Sonderlingen begeben, denn viele Fragen sind offen.

Existenz Dunkler Materie

Etwa gehen die Forscher davon aus, dass eine mysteriöse Dunkle Materie existiert, die von der US-Astronomin Vera Rubin postuliert wurde. Sie konnte beobachten, dass sich viele Sterne schneller bewegen, als die Schwerkraft ihrer Umgebung bedingen würde. Daraus folgerte Rubin, dass etwas anderes Anziehungskraft ausüben müsse, das wir nicht sehen können. Die Dunkle Materie genannte Substanz konnte aber noch nie gemessen werden, auch nicht im größten Beschleuniger der Welt.

"Wir versuchen, Dunkle Materie zu erzeugen, indem wir Protonen aufeinander jagen. Bisher konnten wir das Spektrum, in dem solche Partikel vorkommen, einschränken", so Jochen Schieck, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik in Wien, beim Besuch. Er räumte ein: "Allerdings hätte vor 40 Jahren auch niemand geglaubt, dass das Standardmodell in seinem Rahmen so gut funktioniert."

Völlig ungeklärt ist etwa auch, warum es mehr Materie als Antimaterie gibt. Physiker wissen, dass beim Urknall genau so viel Materie wie Antimaterie entstanden ist, und können die Existenz dieses Stoffs sogar nachweisen. "Wenn wir aber ins Weltall schauen, sehen wir nur Materie, irgendetwas muss also mit ihrem Spiegelbild passiert sein", sagte Stephan Haider, Technischer Koordinator des "Aegis"-Experiments, mit dem Anti-Wasserstoff erzeugt wird.

Kein Gegenstand enthält Antimaterie. Kosmos, Planeten und Galaxien bestehen nur aus Materie. Antimaterie verschwindet bei jeder Berührung, aber niemand weiß, wohin. Würde ein Anti-Apfel auf einen Apfel prallen, würde er sich in einen Lichtstrahl auflösen. Damit sie nicht verschwinden, müssen die Teilchen im Experiment mit Magneten in Schwebe gehalten werden. Antimaterie ist aber kein explosiver Apfel, sondern Materie mit der entgegengesetzten Ladung. "Es sind genau die gleichen Teilchen, aber mit der verkehrten Ladung - Antimaterie müsste daher eigentlich Anti-Ladung heißen", erklärte Haider, der den Unterschieden zwischen den beiden Materieformen auf den Grund geht. Hat Antimaterie genau dieselbe Masse wie Materie? Schwebt sie in einer Raumstation, hat sie 16 Kilo auf dem Mond und 80 Kilo in Wien?

"Kein ernsthafter Physiker erwartet, dass Antimaterie nach oben fällt statt nach unten. Aber selbst geringste Unterschiede in der Anziehung wären eine Sensation und ein Widerspruch zu fundamentalen Prinzipien des Physikgebäudes, mit dem wir heute arbeiten", betont Manfred Krammer, Leiter des Departments für experimentelle Physik am Cern.

Gewissermaßen sind Teilchenphysiker heute in einer anderen Lage als in den letzten 20 Jahren. Bisher hatte das Standardmodell konsistent etwas vorausgesagt und die Experten hatten versucht, die Prognosen zu beweisen oder zu widerlegen. "Jetzt aber haben wir die kuriose Situation, dass es kein Theoriegebäude gibt, wir suchen etwas Unerwartetes. Sobald wir einen Strohhalm finden, der in eine Richtung zeigt, haben die Theoretiker die Möglichkeit, anzusetzen", erläutert Krammer. Freilich könnte das noch ein wenig dauern. Auch das Higgs-Teilchen entzog sich dem Nachweis über 50 Jahre.