Wien. Welcher Religion er denn angehört, wird Mehmet in der Schule gefragt. Sofort kommt die Antwort: "Ich bin Türke." Mehmets religiöses Selbstverständnis kann der Religionslehrer schon früh korrigieren, betont Amena Shakir, Leiterin des Studiengangs für das Lehramt für Islamische Religion (Irpa): Der Islamunterricht sei "der einzige Ort, an dem muslimische Kinder erfahren, dass der Islam keine Nationalität darstellt." Er fördere das Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich - und ist daher ganz im Sinne des österreichischen Staats, könnte man ergänzen.
Mit dem Verhältnis "Religionsunterricht und säkularer Staat" befasste sich eine Tagung an der Irpa, die über weite Strecken auch zu einem interreligiösen Treffen wurde: Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften waren eingeladen; einig waren sich alle über die positive Rolle des Religionsunterrichts. Das religiöse Leben bewahre vor Beliebigkeit, es gebe Impulse für die Moral, ohne darauf reduziert zu werden, meinte Heribert Bastel von der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien.
Als Chance zur "Entwicklung eines Diaspora-Islam" sieht der Erziehungswissenschafter Tarek Badawia von der Uni Mainz den Islamunterricht. Ziel sei die Vermittlung des Islams als einer Lebensweise unter anderen. "Der Islam ist nicht anatolisch oder türkisch", erklärte auch Zekirija Sejdini, Fachinspektor für Islamunterricht, ganz im Sinne von Amena Shakir. Der Unterricht vermittle ein "europäisch geprägtes Verständnis vom Islam" und sei wirkungsvoll als "Maßnahme gegen Extremisten".
Für viele orthodox-christliche Kinder ist der Religionsunterricht der einzige Kontakt zu ihrer Kirche, erzählte Johann Krammer, Dozent für Religionspädagogik in St. Pölten. "Sie finden im Unterricht ihre Heimat." Oft lebten sie weit entfernt von den Gemeinden ihrer orthodoxen Kirche. Ihre Eltern kommen darüber hinaus aus ehemals kommunistischen Ländern, weshalb ihnen der Bezug zur Religion fehle. Während des Jugoslawien-Kriegs ist die Zahl der Angehörigen der orthodoxen Kirchen stark gestiegen.
In Österreich kann jede anerkannte Religionsgemeinschaft Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilen. Ihr allein obliegt auch - anders als in Deutschland - seine Beaufsichtigung. Zurzeit unterrichten in Österreich etwa 450 Islamlehrer an 2000 Schulen. "Wir blicken mit Neid auf Österreich", bemerkte Tarek Badawia. In fast allen deutschen Bundesländern wird bisher kein Religionsunterricht erteilt, weil den Institutionen ein islamischer Ansprechpartner fehlt. Dabei gibt es in Deutschland rund 900.000 muslimische Schüler.