Zeitreisen in die Donaumetropole von anno dazumal sind eine beschauliche Angelegenheit? Ein gemächlicher Spaziergang durch ruhige Gassen? Weit gefehlt! Achtung, liebe Leserinnen und Leser, es geht nun - auf eigene Gefahr - mitten hinein ins Verkehrschaos Alt-Wiens. Dort rollt eine Vielzahl an Wägen "Tag und Nacht ineinander, untereinander, durcheinander, nebeneinander, aneinander und auseinander, bricht Achsen, Räder und Stangen, bleibt stecken, überfährt Menschen und Thiere, wirft um, und verursacht hundert Unfälle". So formulierte es Gerhard Robert Walter von Coeckelberghe-Dützele alias Realis 1846 im "Curiositäten- und Memorabilien-Lexicon von Wien". Ein Wunder, dass sich überhaupt noch Leute "in dieses lebensgefährliche Durcheinander von rennenden Pferden und rasselnden Rädern hineinwagen".

Kurz: Laut Realis ist die Kaiserresidenz eine "Fußgängerhölle". Und das, so darf man vermuten, nicht erst seit dem Biedermeier.

Einst war schon Maria Theresia gegen zügellosen Fahrstil vorgegangen. Am 15. Mai 1756 verkündete unser Blatt, das "Wienerische Diarium", auf Allerhöchste Verordnung: Es sei bekannt, daß durch das entweder mutwillige, oder unbesonnene schnelle Fahren bedaurende Unglücksfälle passieren. Lehen- (= Miet-) und andere Kutscher sollten daher ihr Tempo mäßigen.

Nicht nur Kutscher, auch unvorsichtige Fußgänger werden in der am 15. Mai 1756 in unserem Blatt publizierten Verordnung getadelt. 
- © WZ-Faksimile: Moritz Szalapek

Nicht nur Kutscher, auch unvorsichtige Fußgänger werden in der am 15. Mai 1756 in unserem Blatt publizierten Verordnung getadelt.

- © WZ-Faksimile: Moritz Szalapek

Wer sich mit überhöhter Geschwindigkeit erwischen ließ, musste mit einer Strafe rechnen, die wortwörtlich wehtat: Zum erspieglenden Beyspiel für die übrige, d.h. zur Abschreckung, wurde der Übeltäter auf dem Ort des verübten Mutwillens gezüchtiget, hierfür alsogleich von dem Wagen herabgenommen, und mit gemessenen Stock-streichen abgestraffet. Auch Arrest und weitere Konsequenzen konnten drohen, je nach Maaß der Boßheit und des begangenen Verbrechens.

Unter die Räder kamen Unachtsame leicht. Links: Wien, 1720er; rechts: Detail eines französischen Stichs (18. Jh.). 
- © Bilder: gemeinfrei

Unter die Räder kamen Unachtsame leicht. Links: Wien, 1720er; rechts: Detail eines französischen Stichs (18. Jh.).

- © Bilder: gemeinfrei

Unaufmerksame Fußgänger wurden ebenfalls ermahnt. So hieß es in der Verordnung weiter, daß niemand mitten auf denen Fahrt-wegen unachtsam gehen, noch quer über die Strassen unbesonnen vor denen Wägen vorbey lauffen solle. All jene, welche durch eine solche Unbedachtsamkeit ohne Schuld deren Kutschen sich ein Unglük zuziehen, hätten solches sich selbsten zuzuschreiben, und dessenthalben keine Entschädigung anzuhoffen.

Ein weiterer Punkt, den das "Diarium" 1756 nicht erwähnte, betraf die Kennzeichnung der Fahrzeuge. Jeder Stadt- und Vorstadtlehenwagen musste seitlich gut sichtbar eine Nummer tragen. Nachlesen kann man dies im später sogenannten "Theresianischen Gesetzbuch" (Band 3, Nro. 446), einer Sammlung aller während der Herrschaft der Habsburgerin erlassenen Bestimmungen.

Ganz in den Griff bekam die Regentin das Rowdytum auf den Straßen in und um die Residenzstadt offenbar nicht. Oft wurden neue Regeln verkündet oder bereits bestehende bekräftigt bzw. verschärft.

Der Fiaker, hier eine Darstellung aus dem 18. Jahrhundert, wurde später als "echt’s Weanakind" besungen. 
- © Bild: Wien Museum/CC0

Der Fiaker, hier eine Darstellung aus dem 18. Jahrhundert, wurde später als "echt’s Weanakind" besungen.

- © Bild: Wien Museum/CC0

Neben dem Schnellfahren galt es vor allem zwei Hauptübeln Einhalt zu gebieten, wie man etwa am 1. September 1773 aus unserer Gazette erfuhr: Dem Schnalzen mit der Peitsche sowie leichtsinnigem Vorfahren; ein riskantes Überholmanöver konnte einen Kutscher demnach gar auf ein halbes Jahr in das Zucht- und Arbeitshaus bringen.

Lange war es im 18. Jh. üblich, dass das "Diarium" jeweils im Jänner eine Statistik der im Vorjahr in Wien und den Vorstädten Verstorbenen publizierte. Da Unfallopfer samt Todesart extra gelistet wurden, lässt sich die Zahl der Verkehrstoten grob einordnen. Nehmen wir z.B. das Jahr 1750: Von in Summe 5.154 Verstorbenen kamen 41 unglücklich um das Leben, davon wurden drei Niedergeführt, eine Person hat sich über einen Wagen (...) erfallen, eine wurde von einem umgefallenen Wagen erschlagen, eine von einer Wagen-deixel tödlich verletzt.

Nicht nur unterm Rad konnte man in der Theresianischen Ära sein Leben lassen, sondern auch auf dem Rad. Bei der Hinrichtungsart des Räderns wurden vor (im Milderungsfall: nach) dem tödlichen Schlag Arme und Beine mit einem Wagenrad zerschmettert. Im Mittelalter flocht man den Delinquenten zusätzlich aufs Rad, das heißt man fädelte die gebrochenen Glieder durch die Speichen.

In Wien fand die letzte dieser damals schon seltenen Exekutionen 1786 unter der Alleinherrschaft Josephs II. am Mörder Franz Zahlheim statt. Im folgenden Jahr wurde die Todesstrafe weitgehend abgeschafft.

Auf Gewalt setzte die Regentin lange auch im Strafrecht; Anlegen von Daumenschrauben, "Constitutio Criminalis Theresiana". 
- © Bild: gemeinfrei; Schmuckfarbe: Philipp Aufner

Auf Gewalt setzte die Regentin lange auch im Strafrecht; Anlegen von Daumenschrauben, "Constitutio Criminalis Theresiana".

- © Bild: gemeinfrei; Schmuckfarbe: Philipp Aufner

Maria Theresia galt zwar insgesamt als milde, in manchen Bereichen kannte sie aber keine Gnade, etwa in puncto Sittlichkeit. Ehebrecher wurden ausspioniert, Prostituierte abgeschoben, auf Abtreibung stand die Todesstrafe. Noch 1768 legitimierte die "Constitutio Criminalis Theresiana" die Folter zur Erlangung eines Geständnisses. Größe zeigte die Herrscherin, als sie, auf Drängen des Aufklärers Joseph von Sonnenfels, umschwenkte und die Tortur 1776 verbot.

Stockschläge waren hierzulande noch lange als Disziplinierungsmaßnahme gebräuchlich. Aus dem zivilen Strafrecht verschwand die Züchtigung 1867, aus anderen Bereichen erst später. Eltern durften ihre Kinder bis 1977 schlagen.

Kopfnuss: Ab wann gab es Fiaker in der Donaumetropole und woher kamen sie? (Geknackte Kopfnuss auf der nächsten Seite)