Sie können einem schon fast leidtun, die Herren Direktoren der K. K. priv. Oesterr. Staatseisenbahn-Gesellschaft. Diese war privat, wohlgemerkt. Eigentlich hatte der Staat das Unternehmen führen wollen, musste es aber wegen der Finanzkrise 1854 an Private verkaufen. Nach diesem holprigen Start ging es mit einer Herkules-Aufgabe weiter: Mit der Verpflichtung, das lückenhafte Bahnnetz vor allem von Wien Richtung Ungarn zu schließen.
Und dann machte in so manchem Winter noch der Schnee Lokführern und damit ihren Dienstgebern zu schaffen. Natürlich traf das nicht allein die "Staats-Eisenbahn-Gesellschaft".
Ihre General-Direktion ließ in diversen Ausgaben der "Wiener Zeitung" in den 1860er-Jahren die Leserschaft per Inserat wissen, dass für die werten Fahrgäste ein Schienenersatzverkehr organisiert wurde: Statt Rädern auf Gleisen kamen Kufen auf dem Schnee zum Einsatz.

Schienenersatzverkehr: Wie in der "WZ" am 14. Februar 1860 annonciert, ging es auf der Strecke Wien–Neu Szöny abschnittsweise nur mit Kufen weiter.
- © WZ-Faksimile: M. SzalapekSo etwa am 14. Februar 1860, als es auf der Titelseite unseres Blattes hieß: Ueber die unfahrbaren Strecken kann die Personenbeförderung mittelst Schlitten geschehen.
Unpassierbar waren die Gleise ab Parndorf bis Zurndorf im heutigen Burgenland. Für dieses fast 14km lange Teilstück mussten die Passagiere in die bereitgestellten Ersatzfahrzeuge umsteigen; Poststücke wurden umgeladen.
Für 1865 ist ein weiterer strenger Winter belegt: Die "WZ" druckte am 16. Februar eine Anzeige, in der sich die Bahn-Direktion beehrt (...) bekannt zu geben, daß der Verkehr (...) zwischen Wien und Parndorf, so wie zwischen Zurndorf und Raab wieder begonnen hat. Auf der Verbindungsstrecke war erneut für Schlitten (...) gesorgt. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben.
Dass in dem Jahr nicht nur Richtung Ungarn die Gleise eingeschneit waren, können wir unserer Gazette vom 12. Februar 1865 entnehmen. Aus einem ausführlichen Text zu Schneeverwehungen auf den Eisenbahnlinien geht hervor, dass auf der Südbahn (...) die Strecke zwischen Neustadt und Felixdorf vollständig gesperrt ist. Ein Zug der Oedenburger Flügelbahn blieb bei Mattersburg stecken. Nicht einmal Schneepflüge kamen voran.
In der "weißen Hölle" zwischen Parndorf und Zurndorf machten 6 bis 8 Schuh (= bis zu 2,5m) hohe Schneemassen (...) jeden Verkehr unmöglich - vorerst auch jenen auf Kufen.
In der gleichen Ausgabe inserierten die Betreiber der K. K. priv. Kaiserin Elisabeth-Bahn, schon damals im Volksmund "Westbahn" genannt, dass in Folge Schneeverwehungen alle Züge zwischen Wien und Linz von heute an bis auf Weiteres eingestellt sind.

Einige Bahngesellschaften leisteten sich schon in den 1850ern kleine Bildchen, wenn sie in der "WZ" schalteten.
- © Bild: "WZ"-Archiv/Philipp AngelovAbsolutes Winterchaos also. Für manche Leserinnen oder Leser unserer Zeitung mag es - trotz der offensichtlichen höheren Gewalt - eine Bestätigung ihrer Kritik an der Veräußerung staatlicher Bahnen gewesen sein. In den 1840ern hatte der Staat viel Geld in den Ausbau des Schienennetzes gesteckt. Jedoch führten unter anderem die Nachwirkungen des Revolutionsjahres 1848 zu ärarischen Engpässen. Im Herbst 1854 erließ Franz Joseph I. das "Eisenbahn-Konzessionsgesetz", welches Privatisierungen erlaubte.
Die so irreführend benannte Staatseisenbahn-Gesellschaft (StEG) erlangte wenig später ein Privileg, also die Konzession, und erwarb die Wien-Raaber-Bahn. Diese Strecke war bereits bis Bruck/Leitha fertiggestellt. Eine Auflage für die Übernahme war es, eine Verbindung nach Neu Szöny (ungar. Uj Szönyi, heute Teil von Komárom) zu schaffen.
So ging es bald von Wien mit Zwischenhalten über Simmering, Schwechat, Bruck/Leitha, Parndorf, Zurndorf, Wieselburg und Raab in rund fünf Stunden Fahrzeit in den Norden Ungarns nach Neu Szöny an der Donau. Wenn Frau Holle nicht gerade die Fahrpläne durchschüttelte.
Das Gesellschaftskapital für die StEG war mit 200 Millionen Francs in Aktien ausgewiesen worden, weil das Interesse an österreichischen Bahnlinien vor allem von französischen Investoren kam. Diese erwarben schließlich gemeinsam mit der StEG samt Infrastruktur auch eine nördliche Strecke über Prag sowie Werkstätten, in denen Lokomotiven hergestellt wurden.
Für den vereinbarten Streckenausbau wurden den neuen Eigentümern zwei Jahre eingeräumt. In diesem Zeitraum hatten sie auch das Recht, gewisse Wälder und Bergwerke zur Beschaffung von Materialien zu nutzen.
Verstaatlicht wurde die "Österreichisch-Ungarische Staatseisenbahngesellschaft" (1867 umbenannt) 1909, als die "k. k. Staatsbahnen" sie übernahmen.
Die Recherchen zur privaten Staatseisenbahn führten die Autorin dieser Zeilen übrigens auf ein Nebengleis der "WZ"-Historie:
Bereits seit Jahrhunderten besteht unser Periodikum aus unterschiedlichen Teilen. Für die Mitte des 19. Jh.s. ist neben "Amtsblatt" und "Intelligenzblatt" (Inseraten-Beilage) v.a. die Spätausgabe zu nennen.
Im Jahr 1853 wagte sich die "WZ"-Redaktion an ein "Lokalblatt": Das Publikum in Wien und Umgebung sollte rasch mit regionalen Neuigkeiten, aber auch z.B. Fahrplaninformationen versorgt werden. Die Gazette erhoffte sich eine neue Einnahmequelle, denn vom Kaiser konnte sie sich keine Förderungen mehr erwarten: Die Berichterstattung zur Revolution 1848 war zu positiv ausgefallen.
Das "Lokalblatt" lag fast täglich bei. Es konnte auch für 20 Kreuzer im Monat abonniert oder um 1 Kreuzer einzeln erworben werden. Zum Vergleich: 1853 kostete das "WZ"-Konvolut, bestehend aus Morgen- und Abendausgabe, Lokalblatt sowie einer wöchentlichen Kunst- und Literaturbeilage, ab fünf Gulden im Quartal (1 Gulden = 60 Kreuzer).
Doch bereits 1854 wurde das "Lokalblatt" - wohl aus Kostengründen - nicht mehr weitergeführt.
Kopfnuss: Welcher spätere österreichische Bundespräsident wurde 1873 in Uj Szönyi geboren? (Geknackte Kopfnuss auf der nächsten Seite)