Der Michaelerplatz anno 1776 - dort versammelte sich die Gemeine für ihre Recherchen zur Frage 1 der Nro. 438 rund um eine altehrwürdige Institution, die damals ihren Sitz an dem geschichtsträchtigen Ort im Herzen von Wien hatte. Nein, gemeint ist nicht die heutige "Wiener Zeitung", deren Redaktion einst, als das Blatt noch "Wien(n)erisches Diarium" hieß, ebenfalls am Michaelerplatz residierte. Vielmehr geht es um das später sogenannte Alte Burgtheater.
Nur einen Steinwurf von der "Diarium"-Redaktion entfernt lag es "zwischen Winterreitschule und der unvollendeten Michaelerfront" der Hofburg scheinbar ungünstig, wie Dr. Manfred Kremser, Wien 18, feststellt. "Warum gerade dort?", fragte sich der Zeitreisende und fand auch eine Antwort: Weil "die Hofloge . . . direkt mit der Hofburg verbunden" war und "Maria Theresia . . . ungestört das Burgtheater betreten und auch verlassen" konnte.
Der Hof übernimmt
Zum Theatergebäude merkt Dr. Karl Beck, Purkersdorf, an: Ursprünglich hatte es sich um ein "Ballhaus" gehandelt, also sportlichen Zwecken gedient. Helmut Erschbaumer, Linz, weiter: Diese Halle überließ "Maria Theresia dem Pächter des Kärntnertortheaters, Joseph Carl Selliers, mit der Erlaubnis, ein Theater einzurichten". Es sollte "allgemein zugänglich" sein, "aber in erster Linie dem Hof zur Verfügung" stehen.
Eröffnet wurde der Musentempel, so Dr. Alfred Komaz, Wien 19, "am 5. Februar 1742 mit der Oper "Amleto", in Anwesenheit der Monarchin."
In den Jahrzehnten bis 1776 führten diverse Wiener Theaterunternehmer die Bühne, so Gerhard Toifl, Wien 17 - "mit wechselndem Erfolg" und "mit Zuschüssen seitens des Hofes". Als mit Graf Koháry wieder einmal ein Pächter in die Zahlungsunfähigkeit schlitterte, übernahm der Staat das Haus. "Am 23. März 1776 ordnete Joseph II. . . . an, das Burgtheater als "Teutsches Nationaltheater" . . . zu betreiben." Ihm ging es u.a., so Ing. Alfred Kaiser, Purkersdorf, um "eine Aufwertung der Landessprache" gegenüber dem "Französischen und Italienischen", die damals auf den Bühnen" vorherrschten und nur "von einer Elite gesprochen" wurden.
Keine derben Scherze
"Es sollte das deutsche Sprechstück gepflegt" werden, so Dr. Alfred Kopecek, Wien 2. Neben den "fremdsprachigen Schauspielgesellschaften" hatte es Joseph II. auch auf die "Possenreißerei des Hanswurst" abgesehen. Man unterdrückte "derbe Scherze und Gesten" sowie das Extemporieren. Zu der Zeit kamen auch die Textbücher auf, die "an das Publikum verkauft" wurden.

Am Michaelerplatz residierte das Burgtheater (im Bild ganz rechts, um 1800) bis zur Übersiedlung 1888.
- © Bild: Wien Museum/CC0Den Mann, der in Wien hinter diesen der Aufklärung verpflichteten Maßnahmen stand, nennt Manfred Bermann, Wien 13: Joseph von Sonnenfels, der wiederum vom Dramatiker und Theoretiker Johann Christoph Gottsched beeinflusst wurde.
Mag. Robert Lamberger, Wien 4, ergänzt: Joseph II. ordnete außerdem an, "dass die Stücke keine traurigen Ereignisse behandeln sollten." Den sogenannten "Wiener Schluss" ergänzt Michael Chalupnik, Siegharts-kirchen: Tragödien wurden kurzerhand mit einem "Happy End" versehen.
"Die Schauspieler", so Mag. Luise & Ing. Konrad Gerstendorfer, Dt.-Wagram, "wurden Hofbeamten gleichgestellt und erhielten eine staatliche Pension."
Die "grundlegende Reformidee" Josephs II. nennt Gesandter i.R. Dr. Josef Litschauer, Wien 10: "Erstklassige Leistung durch das bestmögliche Personal und straffe Organisation".
Das Buch "Das gefesselte Burgtheater . . ." von Gerhard Klingenberg (2003) konsultierte Priv.-Doz. Dr. Monika Huber, Arbesbach, und informiert: Die Schauspieler wurden "zu strenger Disziplin verpflichtet und erhielten eine Art Verhaltenskodex, in dem u.a. festgelegt war, wie lange für eine Rolle zu lernen ist etc."
Wie Ing. Helmut Penz, Hohenau/March, recherchierte, brachte sich der Kaiser selbst intensiv ein und "schlüpfte in die Rolle des Burgtheaterdirektors". Er "kümmerte sich um "administrative Details", wohnte Proben bei und "suchte . . . nach Talenten".
Außerdem wagte man ein fast demokratisch anmutendes Experiment. Die künstlerischen Belange "überantwortete der Kaiser", so Brigitte Schlesinger, Wien 12, "einem Schauspieler-Regiekollegium", der später sogenannten Künstlerrepublik, die ab 8. April 1776 existierte. "Fünfzehn von 22 Mitgliedern (einschließlich der Frauen!) wählten neun alternierende Wöchner (die für je eine Woche unter anderem als Mittelsmänner zum Hof agierten, Anm.) sowie einen Regisseur, nämlich Christian Gottlob Stephanie d.Ä."
Parlament der Mimen
Während der Hof die Finanzen verwaltete, entschied das Gremium über Stückauswahl und Besetzung - was zu heißen Diskussionen führte. Als 1776 mit Johanna Sacco (1754-1802) ein berühmter Publikumsliebling auf Wunsch des Kaisers ans Burgtheater geholt wurde, zeigte sich die Truppe wenig begeistert. Nun stellte sich heraus, dass die Macht des Mimenparlaments ihre Grenzen hatte. Es musste sich wohl oder übel dem allerhöchsten Willen beugen. Madame Sacco erhielt etliche Hauptrollen, ohne die Zustimmung des Rates.
Das oben abgebildete Faksimile zeigt einen Bericht, der am 4. September 1776 im "Wienerischen Diarium" über Madame Saccos Auftritt in Gotthold Ephraim Lessings "Minna von Barnhelm" erschien: "alle anwesende zahlreiche Zuschauer brachen in ein Freudengetöne aus" und auch Maria Theresia zeigte "volle Zufriedenheit" mit dem Spiel der Mimin.
Nicht lange danach wurden übrigens die weiblichen Mitglieder von der Versammlung ausgeschlossen. Die gemeinschaftliche Leitung, merkt Mag. Elisabeth Huberger, Wien 22, an, wurde 1779 "durch ein Fünferkollegium ersetzt." Wie DI Karin Endler, Wien 23, herausfand, avancierte 1789 "Franz Carl Hieronymus Brockmann . . . zum Direktor". Damit war die Ära der Künstlerrepublik endgültig Geschichte.
Zu guter Letzt ein Tipp von Maria Thiel, Breitenfurt: Man kann das Alte Burgtheater, das nach der Übersiedlung der Bühne in einen Neubau am Ring 1888 bekanntlich abgerissen wurde, auch heute noch besuchen: Im einst zum Habsburgerreich gehörenden Städtchen Orawitz (nun westliches Rumänien), existiert nach wie vor "eine 1817 errichtete originalgetreue (aber verkleinerte) Kopie des Theatersaales".
P.S. Zur Frage 2 rund um koloniale Bestrebungen unter habsburgischer Flagge recherchierten u.a. Dr. Harald Dousek, Wien 2, und Johann Grabner, Linz; mehr dazu in der nächsten Zeitreisen-Ausgabe!
Zusammenstellung dieser Rubrik: Andrea Reisner