Ein 1848er-Revolutionär, der die "Wiener Zeitung" unters Volk bringt? Ausgerechnet dieses kaiserlich privilegierte Traditionsblatt? Was hatte der rechts dargestellte Kämpfer für Demokratie und Pressefreiheit mit jener Gazette am Hut, die er auf dem Arm hält?

Sehr viel sogar. Wie "WZ"-Forscher Peter Kuderer 1957 in seiner Dissertation vermutete, könnte der Kolporteur die Züge des einstigen Chefredakteurs Dr. Moriz Heyßler (1814-1882) tragen. Dass der Abgebildete für bürgerliche Freiheiten eintrat, zeigt die Kokarde auf seiner Kopfbedeckung: Schwarz-Rot-Gold waren die Farben der Revolution (lange bevor sie die deutsche Nationalflagge zierten).

Entnommen wurde die Darstellung einer Karikatur, erschienen am 3. Juni 1848 in der Wiener "Allgemeinen Theaterzeitung". In der "WZ" rumorte es zu diesem Zeitpunkt kräftig. Die freisinnige Redaktion stand nach einem Eklat vor dem Aus, das Blatt sollte nur noch wenige Wochen frei agieren, bevor es ministerieller Aufsicht unterstellt wurde. Aber alles der Reihe nach . . .

Rund drei Monate vor den Märztagen standen die Zeichen in der privat geführten "WZ" bereits auf Sturm. Am 22. Dez. 1847 hatte Heyßler die Redaktion übernommen. Die Gesinnung des jungen Rechtsgelehrten war bekannt, kam er doch aus dem liberal agierenden juridisch-politischen Leseverein. Konservativere Kreise sahen darin eine "Pulvermühle für eine künftige Explosion", wie Grillparzer es formulierte.

Rein äußerlich stach eine Änderung am Neujahrstag 1848 ins Auge: Das Format wuchs auf ca. 56 mal 36,5cm an, das größte in der Geschichte des Blattes. Unbequem auch der Inhalt, v.a. für das Metternich-Regime.

Nach wie vor galt strikte Zensur. Doch die Redaktion kämpfte mit allen Waffen des "passiven Widerstandes", wie sie später (am 3. April) bekennen würde. Dazu gehörte die Auswahl der Auslandsmeldungen. Mitreißende Berichte aus Frankreich, von dem der revolutionäre Funke auf ganz Europa überspringen sollte, füllten viele Spalten. Es lebe die Freiheit!, tönte es im Februar durch Pariser Straßen - und (am 1. März) durch die "WZ", die die revolutionäre Stimmung einfing und in die Donaumetropole trug. Metternich muss das Blatt damals mit größtem Unbehagen gelesen haben.

Ein Setzer sowie Drucker im 19. Jahrhundert. In der Eile passierten oft Fehler - nicht alle waren unbeabsichtigt. 
- © Bild: Rijksmuseum/gemeinfrei

Ein Setzer sowie Drucker im 19. Jahrhundert. In der Eile passierten oft Fehler - nicht alle waren unbeabsichtigt.

- © Bild: Rijksmuseum/gemeinfrei

Am 13. März kochte in Wien der Volkszorn über. Vor dem Landhaus in der Herrengasse schoss das Militär in die protestierende Menge, es gab Tote.

Das Blatt vom 14. März sorgte mit der Meldung von Metternichs Abgang für Jubel. Ebenso die Verkündung der Preßfreiheit und die Zusage einer Constitution durch Ferdinand I. zwei Tage später. Kundgetan wurde dies im amtlichen Teil, d.h. es kam von oberster Stelle.

Davon strikt getrennt war der redaktionelle Teil, der völlig frei gestaltet wurde - ohne Inspiration aus höheren Regionen, wie man am 3. April dem in Sachen Pressefreiheit unerfahrenen Publikum beteuerte. Die Blattmacher erklärten, diversen Meinungen Raum geben zu wollen, auch solchen, die sie selbst nicht vertraten. Für Kameleons sollte man sie deshalb aber nicht halten.

Teilweise passierte es, so stellte der Historiker Joseph Alexander Freiherr von Helfert 1877 in einem Werk fest, dass "in einer und derselben Nummer der eine Artikel conservativ, vielleicht etwas reactionair, ein anderer liberal, ein dritter nahezu radical war."

Spötter behaupteten, die "WZ" habe damals gar keine Redaktion gehabt. "Redacteur en chef", ätzte ein zeitgenössisches Blatt, "scheint der (...) printer’s devil d.h. der Zufall zu sein."

Apropos Druckfehlerteufel. Bei Lektüre der "WZ"-Ausgaben nach dem 13. März 1848 fällt ein rätselhaftes Phänomen auf: Immer wieder müssen Korrekturen gebracht werden. So wird am 20. April 1848 in der "Abend-Beilage" eine Entschuldigung eingerückt. Die vielen Errata bringen die Redaction wahrhaft zur Verzweiflung.

Von einem verzweifelten Setzer erfuhren die Leserinnen und Leser unseres Blattes am 29. April 1848, konkret in der Abend-Beilage der "Wiener Zeitung". 
- © WZ-Faksimile: M. Szalapek

Von einem verzweifelten Setzer erfuhren die Leserinnen und Leser unseres Blattes am 29. April 1848, konkret in der Abend-Beilage der "Wiener Zeitung".

- © WZ-Faksimile: M. Szalapek

Am 29. April gesteht man, dass bei einem Artikel mehrere Zeilen ganz weggeblieben sind. Es wird auf Ersuchen unseres Setzers mitgeteilt, daß auch er (...) in Verzweiflung ist. Die Druckerei der "WZ"-Herausgeber, der Ghelen’schen Erben, stand unter enormer Belastung. Die Auflage, hieß es am 9. April, war in kurzer Zeit auf 8000 Exemplare gestiegen, das Personal und die vorhandenen Maschinen kämen mit dem Drucken nicht nach.

In der Eile passieren Fehler. Wer diese unter die Lupe nimmt, wird jedoch stutzig. Hier nur eines von etlichen vielsagenden Beispielen: In einem Aufsatz sollte stehen, dass anarchische Bestrebungen bekämpft werden müssten. Der Setzer machte monarchische daraus. Was freilich einen anderen Sinn ergab - als wolle die Monarchie bekämpft werden, empörte sich der betroffene Autor später im Blatt. Kaum zu glauben, dass der Lapsus Zufall war. Focht hier der Setzer mit seinen Bleilettern für die Revolution?

Wochen später sorgte die "WZ" mit einem Fanal gegen den Hof für einen Paukenschlag. Sie erschien an einem Tag, dem 29. Mai, ohne kaiserlichen Adler auf dem Titelkopf. Damit war das Schicksal des Blattes besiegelt. Ab 1. Juli wurde es ministerieller Aufsicht unterstellt. Für die "WZ" war die Revolution vorbei. Den Wienerinnen und Wienern stand das blutige Ende der gerade errungenen Freiheiten im Oktober bevor.

Kopfnuss: Welcher 1848er-Revolutionär stand 1872 bis 1900 an der Spitze der "WZ"? (Geknackte Kopfnuss auf der nächsten Seite)