
Hohe Erwartungen machten dem Thronfolger von Anfang an das Leben schwer. Herbert Beer, Wolfpassing: "Der Sohn sollte ein guter Soldat, begeisterter Jäger und braver Katholik werden."
Haarsträubendes berichtet Günter Hinze, Wien 8: "Schon bei seiner Geburt wurde er zum Oberst ernannt." Seine "strenge militärische Erziehung durch General Leopold Graf Gondrecourt" tat wohl das Ihrige: "Stundenlanges Exerzieren, Wecken mit Pistolenschüssen und nachts allein im Tiergarten ausgesetzt zu sein überforderten Rudolf".
Tüftler Hinze weiter: Erst unter Josef Latour von Thurmberg "erhielt der Kronprinz eine solide und umfangreiche Ausbildung ... Er war ein wissbegieriger .. . und fleißiger Schüler, den alles interessierte außer Religion".

Da der Habsburger-Regent seinen Sprössling von der Politik ausschloss, verlegte sich dieser aufs Schreiben. Dr. Alfred Komaz, Wien 19: "Trotz aller Überwachungsmaßnahmen des Hofes verfasste er anonym und im geheimen für den befreundeten Herausgeber des "Neuen Wiener Tagblattes", Moritz Szeps, Beiträge etwa gegen den Spiritismus, anlässlich der Elektrizitätsausstellung, gegen die Hocharistokratie (!) ... Dieser Teil seiner publizistischen Tätigkeit dürfte dem Kaiser nicht (genau) bekannt gewesen sein .. ."

Karl Türk, Altlengbach: "Politisch war Rudolf liberal - ... auch slawen- und ungarnfreundlich - und föderalistisch eingestellt. Dadurch und durch seine Freundschaft mit .. . Moritz Szeps und dem Financier Moritz Hirsch war er der Hofgesellschaft verhasst" und in antisemitischen Kreisen als "Judenknecht" verrufen.
Das Reich in 24 Bänden

Zum publizistischen Großvorhaben unter der Patronanz des widerspenstigen Kronprinzen kommt Dr. Wilhelm Richard Baier, Graz-Andritz: Es handelt sich um eine Enzyklopädie, die - "nach Kronländern geordnet - Länder, Völker, Landschaften und Regionen der Doppelmonarchie" beschreibt.
Paul Gager, Wien 3, sowie Dr. Werner Lamm, Hollabrunn, nennen den Titel: "Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild".

Dieses sogenannte "Kronprinzenwerk" wurde, so DI Wolfgang Klein, Wien 21, um "1883 vom österreichisch-ungarischen Kronprinzen Rudolf angeregt". Dr. Peter Schilling, Wien 18, stimmt dem zu - "mag eine erste Idee auch vom Reichsverweser Erzherzog Johann stammen".
Mit welchen Worten der prominente Herausgeber bei seinem Vater um Genehmigung bat, berichtet Hildegard Rabel, Wien 1: "Die österreichisch-ungarische Monarchie entbehrt trotz mancher guter Vorsätze noch immer eines ethnographischen Werkes, welches, auf der Höhe der gegenwärtigen wissenschaftlichen Forschung ... ein anregendes Gesamtbild unseres Vaterlandes bietet .. ."
Rudolf erhielt das väterliche Placet. Christine Sigmund, Wien 23, kommentiert: Franz Joseph "war froh, wenn sich sein Sohn nicht in die Politik einmischen wollte."
"Das größte publizistische Unternehmen seiner Zeit" sollte es werden, wie Dkfm. Johann Filip, Wien 17, betont. RR Isabella Schalkhammer, St. Pölten: Bei seinem Abschluss umfasste es 24 Bände.
Erwin Kladiva, Wien 14: Diese "enthalten 587 Beiträge auf 12.596 Textseiten sowie 4529 Holzstiche". Alexander Klissenbauer, Wien 6: Das Projekt verfügte über einen Stab von 432 Mitarbeitern.
Mag. Ronald Geppl, Wien 8: "Auch Kronprinz Rudolf verfasste Beiträge". Dr. Hans Peter Nowak, Wien 20: Von ihm stammen unter anderem die Texte ""Der Wienerwald" (wobei er auch Mayerling erwähnte) und "Die Donau-Auen von Wien bis zur ungarischen Grenze"" im Band Niederösterreich.
Franz Kaiser, Wien 11: Das Werk erschien "von Dezember 1885 bis Juni 1902 in 398 Lieferungen".
HR Dr. Walther Schubert, Wien 13: Herausgegeben wurde es "von der k.k. Hof- und Staatsdruckerei sowie von Alfred von Hölder". Manfred Bermann, Wien 13, wirft zu Letzterem ein: Der "Verlag existiert als Hölder-Pichler-Tempsky ("HPT") auch heute noch."
Mag. Susanne El Mahdi, Wien 9: Folgende Bände des Kronprinzenwerks "widmen sich Gebieten des heutigen Österreich": 1 (Wien), 4 (Niederösterreich), 6 (Oberösterreich und Salzburg), 7 (Steiermark), 8 (Kärnten und Krain) und 13 (Tirol und Vorarlberg).
Dr. Alfred Kopecek, Wien 2: "Das Gebiet des heutigen Burgenlandes, das ja unter dieser Bezeichnung noch nicht bestanden hat, ist in den Bänden über Ungarn enthalten."
Liberal gesinnt
Clemens Schildberger, Arbesthal: Politisch dem Liberalismus zuzuzählende Blätter, "z.B. das "Neue Wiener Tagblatt" .. . und die "Neue Freie Presse", begrüßten das Erscheinen des Kronprinzenwerkes sehr", da Rudolfs Pläne für die Enzyklopädie ganz ihrer Grundhaltung entsprachen.
Übrigens: Auch die "Wiener Zeitung" lobte das Werk.
Dr. Erich Schlöss, Maria Enzersdorf, erklärt: Ursprünglich "sollten ... nicht Deutsche und Ungarn (wie im politischen Alltag der Monarchie üblich) den Ton angeben, sondern es sollte ein Volksstamm gleichberechtigt neben dem anderen stehen. Ausdrücklich wurden die Juden miteingeschlossen .. . Diese edlen Absichten ließen sich nicht restlos durchhalten. Der Plan der gleichberechtigten Reihung musste nach dem Einspruch der Ungarn aufgegeben werden."
Maria Thiel, Breitenfurt, dazu: "Sie setzten eine "dualistische" Einteilung in zwei gesonderten Ausgaben durch, einer deutschen und einer ungarischen, hergestellt in zwei getrennten Redaktionen."
Den ungarischen Titel nennt bei dieser Gelegenheit Ing. Helmut Penz, Hohenau/March: "Az Osztrák-Magyar Monarchia irásban és képben".
Ein Ende mit Schrecken
Dr. Manfred Kremser, Wien 18: Nachdem das Vorhaben schon weit vorangeschritten war, "erreichte am Mittwoch, den 30. Jänner 1889 das Redaktionskomitee in Wien die Nachricht vom Tod des Thronfolgers." Zu den vielen Rätseln um sein Ableben "kam noch die Ungewissheit über die Fortsetzung der "österreich-ungarischen Monarchie in Wort und Bild" .. . hinzu."
Helmut Wieser, Retz: "Das Werk wurde ... auf ausdrücklichen Befehl von Kaiser Franz Josef weitergeführt" und zwar, wie zu lesen war, "unter dem Protectorate Ihrer kaiserl. und königl. Hoheit .. . Kronprinzessin-Witwe Erzherzogin Stephanie".
Zu besagten Unklarheiten um Rudolfs Ende berichtet Dr. Karl Beck, Purkersdorf: "Hieß es noch am Tag des Unglücks, es handle sich um einen Schlaganfall, so sprach man am nächsten Tag von Herzschlag". Die Obduktion ergab schließlich "Tod durch Revolverkugel".
Aus dem Gutachten zitiert Gerhard Toifl, Wien 17: Rudolf sei "zunächst an der Zertrümmerung des Schädels und der vorderen Hirnpartien" gestorben.
Die gängige Theorie schildert Dr. Günter Fostel, Wien 18: "Rudolf erschoss seine Geliebte, Baronesse Marie (Mary) ... von Vetsera (geb. 1871 ...) im Jagdschloss Mayerling, bevor er Selbstmord .. . beging."
Mit Flasche erschlagen?
Dr. Edwin Chlaupek, Wien 3: "Es gibt aber - da der Kaiserhof äußerst bemüht war, die näheren Umstände .. . zu verschleiern - bis heute an die 30 zum Teil abstruse Theorien".
Mag. Robert Lamberger, Wien 4: "Wegen der vom Hof verhängten Nachrichtensperre und weil sich alle Zeugen an das Schweigegebot .. . hielten", kam die Gerüchteküche ins Brodeln.
MedR DDr. Othmar Hartl, Linz: "Mit der Öffnung des vom Wiener Polizeipräsidenten Baron Krauss angelegten Aktes .. . 1955, konnte die "Tragödie von Mayerling" zwar noch immer nicht restlos geklärt werden, doch erwies sich, dass der Kronprinz unter einer fast lückenlosen Polizeiüberwachung stand."
Zweifelhaft erscheint Prof. Brigitte Sokop, Wien 17, folgende Theorie: "Mary Vetsera sei Opfer eines Abtreibungsversuches geworden und der Kronprinz habe sich darob erschossen .. ." Dabei darf Gemeine -Mitglied Prof. Sokop als wahre Kennerin der Materie gelten: Ihr Buch zum Thema, "Jene Gräfin Larisch", erlebte bereits vier Auflagen.
Von ihrem Großvater, einem Generalmajor, vernahm Mathilde Lewandowski, Payerbach, diese Geschichte: "Als junger Offizier habe er .. . gehört: "Sein betrunkener Freund (des Kronprinzen, Anm.) Baltazzi habe Rudolf mit einer Sektflasche den Schädel eingeschlagen." Der Familie Baltazzi wurde später der Adel aberkannt." Und: "Die Mutter der Mary Vetsera war eine geborene Baltazzi."
Dr. Günter Stickler, Wien 17, stieß auf eine journalistische "Schauergeschichte mit dem Titel "Rudolf"" aus italienischer Feder von 1909: Im Verlauf der Trennung Rudolfs und Marys "beißt ihm die Geliebte aus Rache sein bestes Stück ab. Seiner Zeugungsfähigkeit beraubt, bleibt ihm nur der Selbstmord". Der Autor: Benito Mussolini.
Die "wahrscheinlich heiterste Version" weiß Prof. Helmut Bouzek, Wien 13, zu berichten: Nach einem vorgetäuschten Doppelselbstmord seien die beiden der Monarchie "entflohen: Mary nach London, Rudolf zuerst nach Russland und dann nach China. Selbstverständlich gäbe es Nachkommen".
P.S.: Mehr zum Tatort Mayerling berichten in der nächsten Zeitreisen-Ausgabe am 1. Juli u.a. Klaus-Peter Josef, Tulln, und Håkan Lundén, Vallentuna/ Schweden.
Zusammenstellung dieser Seite: Andrea Reisner