Was bisher geschah: Von inländischen gelehrten Sachen berichtete das Geschichtsfeuilleton am 5. April 2013 kurz - nämlich von der unter diesem Titel vor einem Vierteljahrtausend publizierten Wissenschaftsbeilage unseres Hauses. Und die Zeitreisenden erfuhren: Die gelehrten Sachen ließen anno 1763, man höre und staune, einen Hauch Aufklärung spüren.

Was liegt näher, als nun in Exemplaren der damals als "Wienerisches Diarium" firmierenden "Wiener Zeitung" Nachschau zu halten?

Blättern wir fürs Erste in der Ausgabe vom Mittwoch den 1. Junii 1763, um in der Gazetten-Welt vor 250 Jahren zu schnuppern: Sechs Seiten im Buchformat (ca. ein Viertel dieser Zeitreisen-Seite) machen den eigentlichen redaktionellen Teil aus, sechs Seiten (vor allem amtliche) Einschaltungen folgen, dazu gibt es zwei Seiten Mittwochs-anhang (= Mittwochs-Beilage).

Herakles (l.) befreit Prometheus von dessen Qualen. - © Max Wulff
Herakles (l.) befreit Prometheus von dessen Qualen. - © Max Wulff

Der winzige Mittwochs-anhang trägt den erläuternden Titel Von inländischen gelehrten Sachen - hier also residiert das Wissenschaftsressort! Freilich nicht jeden Mittwoch. Zuweilen verschiebt sich die Doppelseite auf den Samstags-anhang, zuweilen kommt Gelehrtes am Mittwoch und am Samstag, zuweilen weder noch. Denn das Supplement gibt es seit 1762 meist wöchentlich, manchmal zweimal in der Woche, manchmal 14-tägig.

Ganz links: Mit Schildkröte gezierte Doppel-Drachme aus dem 6. Jh. v. Chr.; daneben Münzen späterer Zeit. - © Neyers Konv.-Lex, Lpz. 1885ff
Ganz links: Mit Schildkröte gezierte Doppel-Drachme aus dem 6. Jh. v. Chr.; daneben Münzen späterer Zeit. - © Neyers Konv.-Lex, Lpz. 1885ff

(NB. Bleibt in Erinnerung zu rufen, dass unsere Zeitung anno dazumal wegen der schlechten Nachrichtenverbindungen Wiens - Fernpost langte lediglich an zwei Wochentagen an - nur mittwochs und samstags erschien. Der geringe Blattumfang ist der frühen Drucktechnik geschuldet und war in ganz Mitteleuropa Usus.)

Leicht hatte es die Gelehrsamkeit nicht, doch Ideen machten viel wett; der Anhang war klein, aber fein.

Neue Werke stellte man prägnant vor, öfters gab es vor der Rezension eine Vorbesprechung. So auch im Exemplar vom 1. Juni 1763.

Erwähnt wurde darin das 1762 in Wien gedruckte lateinische Buch "Adpendicula ad numismata graeca (...)". Übersetzt heißt das: Kleiner Anhang zu den griechischen Münzen. Was den Verdacht nährt, dass Österreich damals der Wissenschaft generell keinen großen Anhang zubilligte.

Wie auch immer, die Beilage des "Wienerischen Diarium" bemühte sich jedenfalls um eine erste kritische Würdigung von Werk und Verfasser.

Auf diese Weise erfahren wir, wie sehr heimische Gebildete in den 1760ern die Antike schätzten.

Dem Buchautor, dem noch recht jungen Herrn Grafen Cristiani, wird ein Opus von einer ganz besondern Art konzediert: Denn es zeiget sich (...) nicht nur eine gründliche Kenntniß der griechischen Sprache und des entferntesten Alterthums (...).

Vielmehr, so heißt es in dem Text weiter, beweise der Urheber der Publikation auch in der Beur-theilung und Erklärung der schweresten Stellen alter Schriftsteller eine solche Fertigkeit, die man sich allein im reifen Alter und durch langwierige Uebung erwirbt.

Worauf das abzielt, wird wenige Zeilen später verraten: (...) man findet in dieser Schrift einige Züge, die man nur von der geübten Hand eines Hrn. P. (= Pater) Khells erwarten konte. Nachsatz: Der Herr Verfasser rühmet sich selbst in der Vorrede des Beystandes dieses großen Lehrers.

Mentor wie Schüler sind übrigens Angehörige der königl. theresianischen Ritterschule in der Vorstadt Wieden (nun Stiftung Theresianische Akademie, u.a. mit Gymnasium).

Details zum numismatischen Werk über Hellas finden sich im Mittwochs-anhang den 8. Junii 1763. Demnach gelang es Cristiani, eine gute Anzahl bisher nicht bekannt gemachter Münzen von 19 Städten zu präsentieren.

Wie sehr die Geldstücke Kultur widerspiegeln, zeigen etliche in der Rezension genannte Fragestellungen: der Kopf eines Wolfes wirft mit dem Monogramm APX Probleme in puncto Prägeort auf; das Bildniß der Pallas (Athene) führt in lokale Geschichte; ein Frauenbild (Figur in langer Kleidung) gibt Rätsel auf. Vor dem geistigen Auge derer, die einst den Ausführungen der "Diarium"-Beilage folgten, dürfte manche hehre Sagengestalt lebendig geworden sein. So lieferte die Redaktion schönste (Zaun-)Gäste frei Haus! Helena, deren Raub (oder war’s keiner?) den Trojanischen Krieg auslöste; Entführer Paris; dessen Bruder Hektor, der vor Troja durch Achill fiel; Achill, den Apolls Pfeil an der schwachen Stelle traf; Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte...

Intensive Beschäftigung mit der Antike stand am Beginn des Humanismus wie der Aufklärung. 1763 spürte man im Habsburgerreich noch wenig vom Anbruch einer neuen Geistesepoche. Wer unser Blatt las, konnte aber bereits etwas ahnen. Und 1766 Woche für Woche zur regulären vierseitigen Beilage "Gelehrte Nachrichten" greifen. Ihr Vorläufer war der kleine Anhang.

Kopfnuss: Welche griechische Münze steht bis heute für eine kleine Spende?

Die Lösung finden Sie auf der nächsten Seite.